Trauerspiel um Magdeburger Menschenaffenhaltung

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Laut Zoodirektor Perret gehen Schimpansen "niemals freiwillig ins Wasser"
Laut Zoodirektor Perret gehen Schimpansen "niemals freiwillig ins Wasser"

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Zoo Magdeburg: Neue Außenanlage mit noch nicht geflutetem Wassergraben
Zoo Magdeburg: Neue Außenanlage mit noch nicht geflutetem Wassergraben

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Hat noch nie Gras unter den Füßen gespürt: Schimpanse WUBBO
Hat noch nie Gras unter den Füßen gespürt: Schimpanse WUBBO

TRAIN. (hpd) Mit großem Brimborium wird am 18. Juli 2014 im Magdeburger Zoo eine neue Schimpansenanlage eröffnet. Anlaß genug, die Menschenaffenhaltung in Magdeburg als Geschichte eines auf Dauer gestellten Debakels einer näheren Betrachtung zu unterziehen.

1962 wurden die ersten beiden Schimpansen für den Magdeburger Zoo erworben, CHARLIE und CONCHITA, für die es bei ihrer Ankunft überhaupt kein Gehege gab: sie wurden zwei Jahre lang “hinter den Kulissen” des Zoos in einem winzigen Abstellraum des Wirtschaftshofes verwahrt. Erst 1964 wurde ein provisorisches “Schimpansenhaus” für sie erstellt, in dem sie nunmehr auch für das Publikum zu sehen waren.

Ein im gleichen Jahr vom Rat der Stadt verabschiedeter Entwicklungsplan sah für den Zoo verschiedene Baumaßnahmen vor, darunter auch die Errichtung eines ordentlichen Menschenaffenhauses. Tatsächlich wurde der Bau dieses Haus erst im Jahre 1998 in Angriff genommen, vierunddreissig Jahre nach Verabschiedung des sozialistischen Perspektivplans. Bis zur Eröffnung des Hauses im Jahr 2000 lebten die Magdeburger Schimpansen in dem völlig unzureichenden Provisorium aus dem Jahr 1964.

Die beiden 1962 erworbenen Schimpansen hatten fünf gemeinsame Kinder. Zwei davon starben im Alter weniger Wochen, die anderen drei, ROBI GANDO und DEMU, wuchsen als Handaufzuchten, sprich: ohne Kontakt zu ihren Eltern heran. 1970 wurden die beiden Elterntiere abgeschoben und die drei Jungtiere bezogen das für zwei Tiere schon viel zu kleine Schimpansenhaus. Mit dem Heranwachsen der drei wurde der beengte Raum immer noch beengter, was zu enormen Spannungen zwischen den Schimpansenbrüdern führte. Da sie auch ihren Pflegern gegenüber unkontrollierbar aggressiv wurden, entschied man sich im Jahre 1986, die mittlerweile 16, 18 und 20 Jahre alten Tiere an einen Zoo in Rumänien zu verhökern.

Da die Schimpansen aber zu den absoluten “Publikumsrennern” des Zoos gehört hatten, wurde das für die Unterbringung von Menschenaffen völlig ungeeignete Provisorium (aus dem die Tiere mehrfach auch entkommen waren) im Jahr darauf erneut besetzt: mit einem eineinhalbjährigen, in einem holländischen Zoo handaufgezogenen Schimpansenmädchen namens NANA, dem, nach zweijähriger Alleinhaltung (!), Ende 1989 der damals vierjährige WUBBO dazugesetzt wurde Auch diese beiden Tiere verbrachten 13 bzw. 11 Jahre - Nana ihre gesamte Kindheit und Jugend - in dem wenige Quadratmeter umfassenden Provisorium, bis sie in ein zeitgemäßeres Menschenaffenhaus umziehen konnten.

1994 startete der Zoo mit Hilfe einer lokalen Tageszeitung eine großangelegte Spendensammelkampagne mit dem Ziel, Geld für ein neues Menschenaffenhaus zu akquirieren. Hintergrund der Aktion war das für 1996 angekündigte bundesministerielle Säugetiergutachten, das Mindestanforderungen für die Haltung von Wildtieren – mithin von Menschenaffen – in Zoos festlegen würde, denen das Provisorium von 1964 unter keinen Umständen würde entsprechen können; da man insofern Sorge um die Verlängerung der Haltungserlaubnis für Große Menschenaffen hatte, wurden unter dem Motto “Unser Zoo braucht Hilfe” auf jede nur erdenkliche Weise Spendengelder zusammengekratzt. In relativ kurzer Zeit kamen 1,3 Millionen DM zusammen, die den Grundstock bildeten für das letztlich fast 8 Millionen DM teure Projekt (das insofern zu fast 85 Prozent über Aufbau-Ost- bzw. Steuermittel finanziert wurde.) 1998 wurde mit dem Bau begonnen, im Frühjahr 2000 war die neue Anlage bezugsfertig. Allerdings nur das Haus selbst: auf die Erstellung einer Außenanlage hatte man großzügig verzichtet (entweder weil man sie vergessen hatte oder weil sie nicht ins Bild des hochmodernen Designerobjekts passte, das man sich - angeblich ein “Meilenstein der Zoo-Architektur” - genehmigt hatte; an zur Neige gegangenen Mitteln konnte es nicht gelegen haben, da der Zoo parallel dazu eine Vielzahl weiterer Prestigeprojekte in Angriff nahm. Die Bedürfnisse der Affen spielten ohnehin keine Rolle.)

Auch ohne Außengehege wurde das mit zwei separaten Innengehegen ausgestattete Haus in Betrieb genommen: in eines der Gehege zogen NANA und WUBBO ein, das andere wurde mit drei neu angeschafften Orang Utans (aus den Zoos Heidelberg bzw. Dortmund) besetzt.

Schon kurz nach der Eröffnung des 8-Millionen-Baus traten erhebliche Probleme auf: bedingt durch eklatante Fehler in der Dachkonstruktion stagnierte der Luftaustausch, so dass es zu massivem Schimmelpilzbefall kam. Im Juli 2001 starb das 7jährige Orang Utan-Mädchen SA-PULOH an einer Lungenentzündung. Gleichwohl auch bei den beiden anderen Orang Utans Lungenschädigungen festgestellt wurden und die behandelnden Ärzte die Luftbedingungen in dem neuen Haus heftig kritisierten, passierte nichts. Der seinerzeitige Zoodirektor Michael Schröpel wiegelte ab, im Regenwald sei es nun mal stickig.

Im Januar 2003 starb der 10jährige Orang Utan BATAK während einer Zahnbehandlung. Die Autopsie ergab, dass auch er schwer lungenkrank war. Erneut wies die Zooleitung jeden möglichen Zusammenhang mit den stickigen Haltungsbedingungen zurück. Auch die 14jährige Orang Utan-Frau PUAN zeigte Symptome einer schweren chronischen Lungenentzündung; aber erst Monate später - und nachdem die Tierrechtsorganisation “Pro Wildlife” Strafanzeige gegen den Zoo erstattet hatte – wurde sie aus dem verseuchten Haus ausgelagert. Auch NANA und WUBBO wurden anderweitig untergebracht. Ende Juni 2003 wurde das Haus geschlossen und einer mehr als zwei Jahre dauernden Sanierung unterzogen. Erst im Oktober 2005 konnte es wiedereröffnet werden, erneut besetzt mit NANA und WUBBO (die aufgrund der Mängel an dem neuen Haus weitere zwei Jahre ihres Lebens unter völlig ungeeigneten Bedingungen hatten zubringen müssen). Das Orang Utan-Gehege blieb zunächst leer: PUAN war 2004 nach Heidelberg zurückverbracht worden, und neue Orang Utans erhielt Magdeburg nicht. Das Orang Utan-Gehege wurde insofern mit Meerkatzen besetzt.

Dem Vernehmen nach hat der Zoo mittlerweile Abstand von weiterer Orang Utan-Haltung genommen. Stattdessen wurde die Ausweitung der Schimpansenhaltung beschlossen: Das erst vor wenigen Jahren mit Millionenaufwand sanierte Menschenaffenhaus (das nach wie vor bestehender Baumängel wegen Ende 2011 erneut für längere Zeit gesperrt werden musste), soll zu einem reinen Meerkatzenhaus umgebaut werden. Parallel dazu wurde direkt nebenan ein neues Schimpansenhaus erstellt, in dem auf knapp 500qm Innenfläche bis zu 15 Tiere gehalten werden sollen. Zudem wurde ein Außengehege eingerichtet, das es für NANA und WUBBO, die seit nunmehr weit über zwanzig Jahren im Magdeburger Zoo sitzen, noch nie gab. Baukosten, großenteils finanziert aus Steuergeldern, 3,1 Mio Euro.

Nach Fertigstellung der Anlage Anfang Juli 2014 wurden acht Schimpansen aus dem Zoo Münster übernommen, der in Konflikt mit den Anfang Mai des Jahres vorgestellten neuen Vorgaben geraten war, das Säugetierhaltung in Zoos regelt. Schon im Vorfeld der Verabschiedung war den Zoos klargeworden, dass trotz des vehementen Widerstandes der an der Überarbeitung beteiligten Zoodirektoren die für die Haltung von Menschenaffen vorgegebenen Gehegeflächen erheblich erweitert werden würden. (Während Menschenaffen bislang ein Innen- sowie ein Außengehege mit einer Grundfläche von je 25qm für bis zu zwei Tiere plus zusätzliche 10qm für jedes weitere Tier zugestanden worden war - für eine vierköpfige Schimpansengruppe ein Innenraum von gerade einmal 45qm -, sehen die neuen Vorgaben Innen- und Außengehege von je 200qm für eine vierköpfige Gruppe plus 25qm für jedes weitere Tier vor. Die Zoovertreter hatten für eine dreiköpfige Schimpansengruppe im Innen- und Außenbereich je 70qm plus 10qm für jedes weitere Tier, sprich: 80qm für vierköpfige Gruppen gefordert.) Für den Zoo Münster bedeuteten die Vorgaben des neuen Säugetiergutachten ein unlösbares Problem, da an den viel zu kleinen Innengehegen des Betonbunkers, in dem die Tiere bislang untergebracht waren, keine baulichen Erweiterungen möglich waren. Man entschied sich letztlich dafür, die Schimpansenhaltung komplett aufzugeben und die acht vorgehaltenen Tiere an den Zoo Magdeburg zu überstellen, der aus nämlichem Grunde wir der Zoo Münster in Konflikt mit den neuen Vorgaben geraten war. Die bisherige Haltung von NANA und WUBBO in einem hierfür völlig ungeeigneten Gebäude ohne Außenanlage wäre nicht länger hinnehmbar gewesen. Der freiwerdene Platz im Münsteraner Zoo soll, um die bundesministeriellen Vorgaben zu erfüllen, den derzeit sieben dort vorgehaltenen Gorillas zugeschlagen werden. (Andere Zoos hinken hier massiv hinterher: In mehr als der Hälfte der 38 deutschen Zoos, in denen große Menschenaffen zur Schau gestellt werden, wird, teils massiv, gegen die neuen Vorgaben verstoßen).

Todesfalle Wassergraben

Während es grundsätzlich zu begrüßen ist, dass der Zoo Magdeburg nun endlich eine neue Anlage erstellt hat – wenn schon eine Beendigung der Haltung von Menschenaffen nicht in Frage kam -, ist insbesondere die neue Außenanlage erheblicher konzeptioneller Mängel wegen scharf zu kritisieren: Als Sicherung gegen ein Entweichen der darauf gehaltenen Schimpansen ist das gut 1200qm große Gelände mit einem Wassergraben umgeben. Wie Zoodirektor Dr. Kai Perret, promovierter Biologe und eigenen Angaben zufolge primatologischer Fachmann, öffentlich betonte, gingen Schimpansen “niemals freiwillig ins Wasser” , weswegen sie sich, so der Subtext seiner Ausführungen, aus eigenem Antrieb von dem begrenzenden Wassergraben fernhielten. Diese Aussage des Dr. Perret ist fachlich falsch: tatsächlich gibt es Schimpansen, die ausgesprochen gerne mit Wasser in Kontakt kommen und gerne im Wasser spielen. Es ist insofern nicht ausgeschlossen, dass die neu aus dem Zoo Münster übernommenen acht Schimpansen ebenso wie die bisher gehaltenen Schimpansen NANA und WUBBO sich dem Wassergraben mit Interesse nähern.

Da der Graben augenscheinlich nicht weiter gesichert ist, können die Tiere auf der abschüssigen Böschung in tieferes Wasser geraten und dort ertrinken, wie dies vor zwei Jahren im Tierpark Hellabrunn in München geschah: die Schimpansin PÜPPI überwand den elektrisch geladenen Drahtzaun, der den dortigen Wassergraben auf Seiten der Tiergeländes umgibt, geriet in tiefes Wasser und ertrank.

In der Tat sind bereits mehrfach Große Menschenaffen in deutschen Zoos in derartigen Begrenzungsgräben ertrunken. Es könnte solcher Unglücksfall jederzeit auch im Zoo Magdeburg passieren, wofür Zoodirektor Perret die Verantwortung trüge: Schimpansen ohne ausreichende Sicherung in ein von einem zwei Meter tiefen Wassergraben umgebenes Freigelände zu lassen, muss als als eklatanter Verstoß gegen die EU-Richtlinie über die Haltung von Wildtieren in Zoos (1999/22/EC) gewertet werden. Auch Unterlassenstäterschaft nach § 17 Nr. 1 Tierschutzgesetz mit Blick darauf, dass die für die Annahme eines strafrechtlich relevanten Unterlassens entscheidende Garantenstellung (§ 13 StGB) seitens Dr. Perrets gegeben ist, könnte diesem bei einem Unglücksfall zum Vorwurf gemacht werden, da er als Zoodirektor und Primatenexperte um die potentielle Gefährdung der Tiere durch den Wassergraben wissen und dieser abhelfen muss.

Längst wird international bei Neubauten von Außengehegen für Große Menschenaffen auf Wassergräben verzichtet, zumal diese, wie nicht zuletzt der Ausbruch einer Gruppe von fünf Schimpansen aus dem Außengehege des Zoos Hannover im Juli 2012 zeigte – die Tiere entkamen über einen umlaufenden Wassergraben – keinen ausreichenden Schutz der Besucher bieten. Bei dem Ausbruch wurde ein kleines Mädchen nicht unerheblich verletzt.