Glaube und Unglaube in Deutschland

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Grafik: kirchensteuern.de

BONN. (hpd) Die kürzliche Vereidigung einer Muslima als Landesministerin in Niedersachsen hat wieder einmal daran erinnert, wie vielfältig die religiösen Anschauungen in Deutschland geworden sind. Weniger beachtet wird die Tatsache, dass mehr Deutsche keiner Religionsgemeinschaft angehören als der evangelischen oder katholischen Gemeinschaft. Ein Aufruf zur Selbstklärung: Wo stehe ich wirklich und wofür möchte ich bezahlen?

So weist bereits der „Religionsmonitor 2008“ der Bertelsmann-Stiftung aus, dass nur 16 % der Deutschen unabhängig von ihrer Religion oder Konfession als „hochreligiös“ einzustufen sind, 30 % als nicht religiös. Leider wurde nicht gefragt, wie viele Mitbürger die zentralen theologischen Glaubensaussagen für zuverlässig wahr halten, so dass sie ihr Leben danach ausrichten; wenn man die Details der Untersuchung anschaut, dürfte dieser Prozentsatz im Bereich jener 15-20 % liegen, der auch für Hochreligiosität gefunden wurde. Umgekehrt gibt es ein spürbares Vordringen esoterischer Vorstellungen, Astrologie und schwärmerischer „Spiritualität“ auch unter Kirchenmitgliedern, so dass es nicht unfair erscheint, die Deutschen ganz überwiegend für „Heiden“ zu halten, die sich ihre ganz persönliche „Religion“ zusammengestellt haben, ob und wo auch immer sie Kirchensteuer oder ähnliche Spenden abführen.

Mitgliedschaft sagt also wenig aus, wenn man den religiösen Zustand Deutschlands erfassen will. Gibt es nicht auch Christen außerhalb der kirchlichen Gemeinschaften oder sogar noch mehr Menschen, die den Glauben an den Kern ihrer Religion längst verloren haben, aber den Austritt scheuen? Für eine solche Haltung mag es viele Gründe geben; in dörflichen Umgebungen, die es übrigens auch am Rande von Großstädten gibt, ist es häufig ein gesellschaftlicher Konsens, in der Kirche zu sein – ja, ein gesellschaftliches Muss mit der Gefahr von Nachteilen bei Austritten. Es wird auch berichtet – und glaubwürdig ist es allemal – dass viele Menschen Kirchensteuer bezahlen, weil sie glauben, dieses Geld komme in erheblichem Umfang „guten Werken“ im sozialen Bereich zugute, also Kindergärten, Jugendarbeit, Spitälern und Pflegeeinrichtungen im Inland sowie Hilfen für Arme in anderen Ländern. Dass dem nicht so ist, sondern dass es sich fast ausschließlich um staatlich mit nahezu 100 % geförderte Leistungen handelt, die nur in kirchlicher Trägerschaft erbracht werden, sollte bekannter werden, damit Mitgliedsentscheidungen auf besserem Wissensstand getroffen werden können. Die Kirchensteuer dient ganz überwiegend der Unterhaltung kirchlicher Hierarchie und Organisation – aber nicht einmal das zu 100 %, denn Bischöfe wie der gerade „berühmte“ Herr Mixa in Augsburg werden ebenfalls bis zum Tode vom Staat bezahlt; bei der Bundeswehr wird nicht einmal die „Seelsorge“ aus der Kirchensteuer bezahlt, sondern aus Steuermitteln vom Staat.

Schon im Bekanntenkreis und noch viel mehr im öffentlichen Leben fällt auf, dass Menschen sich als Christen bezeichnen, obwohl sie den Christuskern überhaupt nicht glauben, nämlich, dass er als Gottes Sohn Mensch auf Erden war, dort gelitten hat – ja, dass er den Foltertod am Kreuz erleiden musste, weil – so die Lehre – nur so Sünde und Tod der Menschheit überwunden werden konnten. Und an den verheißenen Lohn des Glaubens, das ewige Leben, glauben nicht einmal 100% der Pfarrer; noch viel dünner dürfte die gläubige Zustimmung sein, wenn „fleischliche“ Wiederauferstehung versprochen wird. Da könnte es sein, dass auch in Deutschland mehr Menschen an eine Wiedergeburt auf Erden glauben als an ein Leben nach dem Tode als Fortexistenz ihrer fleischlichen oder nur „seelischen Identität“.

So sind denn die meisten „Christen“ in Wahrheit nur Gott-Gläubige; sie glauben, dass es „irgendwie“ einen Gott gibt, über den man nicht so genau Bescheid weiß; was die kirchlichen Autoritäten darüber erzählen, wird von diesen Menschen meist nur belächelt, aber sie scheuen den konsequenten Schritt, die Finanzierung dieser kirchlichen Organisation zu beenden.

Darüber hinaus gibt es einige intellektuelle Zumutungen der Theologie wie etwa die christliche Dreieinigkeit dreier Gottwesen, die verschieden und identisch zugleich sein sollen, und die bei Katholiken und zumindest auch von Luther noch vertretene Abendmahlslehre, nach der Hostie und Wein nicht nur Jesu Fleisch und Blut bedeuten, sondern sind! Die Füllung von Himmel und Hölle mit Heiligen und Teufeln verweist ebenfalls auf den schon erwähnten heidnischen Charakter dieser Glaubenswelt.

Besonders auffällig ist, wie wenige Katholiken der religiös gebotenen Sexuallehre gehorchen, dem Papst als Stellvertreter Gottes auf Erden also nicht folgen; da der Umgang mit Sexualität in den meisten Religionen zum Kern religiöser Werte gehört, muss es überraschen, dass der klare Wille, in diesem Punkt Gott nicht zu gehorchen, keine Folgen für Mitgliedschaft und finanzielle Leistungen hat.

Aber selbst der „nur“ Gott-gläubige Mensch frage sich, ob er wirklich an einen Gott glaubt, der immer für ihn da ist, mit dem er sprechen kann und der ins Weltgeschehen eingreift, also Gebete „hört“ und Bitten erfüllt.

Gegenüber der beobachteten geringen Zustimmung von Gläubigen zu diesen zentralen Glaubensinhalten ihrer jeweiligen Gemeinschaft, sind Behauptungen wie etwa Jungfrauengeburt oder das teilweise schreckliche Bild des Gottes im Alten Testament eher Randfelder der Glaubensverweigerung durch ansonsten „bekennende“ Gläubige der drei sich auf Abraham berufenden Religionen, auf die sich die neue niedersächsische Ministerin bei ihrem Amtseid bezogen hat.

Nun wird die Entwicklung weiter gehen; wahrscheinlich wird die Zahl der getauften Kinder immer geringer und Kirchenaustritte häufiger, insbesondere wenn sich mehr Menschen darüber klar werden, dass sie der Glaubensgemeinschaft, in die sie einst ungefragt hinein geboren und getauft wurden, eigentlich längst die geistige und spirituelle Gefolgschaft verweigern und mit ihren Beiträgen im Wesentlichen nur die „geistliche“ Organisation und nicht „gute Werke“ finanzieren. Gibt es da nicht glaubwürdigere Organisationen, die ohne religiösen Hintergrund helfen, wo Not und Hoffnungslosigkeit regieren?

Es kann für niemanden ein Schaden sein, überholte Mitgliedschaften zu beenden. Die Religionsgemeinschaften werden stärker durch Konzentration auf die wirklich Gläubigen und die religiöse Gesellschaftsstruktur wird ehrlicher, weil von falschen Zugehörigkeiten bereinigt. Also prüfe jeder sich selbst, wo er mit seiner Überzeugung steht und weiter stehen (und zahlen) will.

Gerd Eisenbeiß