60-Jahrfeier der Landesgemeinde Hamburg

HAMBURG. (hpd) Am 10. Mai 1947 gründeten 15 Frauen und Männer unter der Leitung des Gründungsvorstandes Wilhelm Paysen im Restaurant Patzenhofer

die Hamburger Gemeinde der Freien Protestanten (Deutsche Unitarier). Bereits 1946 wurde ebenfalls eine Gemeinde in Hannover ins Leben gerufen und 1947 etablierten sich noch Gemeinden in Detmold, Hameln, Braunschweig, Lübeck und Kiel. In jener frühen Zeit nach dem Krieg gab es auch Gemeindegründungen in der damaligen Sowjetischen Zone. 1948 gab es 16 Gemeinden mit 800 Mitgliedern in ganz Deutschland.

Und am 29. September 1947 erkannte das Head Quarter der Britischen Militärregierung in Hamburg die Unitarier als freie Religionsgemeinschaft an. Diese nötige Genehmigung durch die Militärregierung wurde erleichtert, da den Briten und Amerikanern die Unitarier als humanistische religiöse Gemeinschaft von „zu Hause" bekannt waren.

Die Neugründungen nach dem 2. Weltkrieg sind zu einem nicht unerheblichen Teil Rudolf Walbaum zu verdanken. Er war es, der im vom Krieg verwüsteten Deutschland herumreiste und für eine Neugründung der Freien Protestanten unter Einbeziehung anderer Freireligiöser gesorgt hat. Nur wer die Ruinenlandschaft der deutschen Städte noch mit eigenen Augen gesehen hat und wiederum wohl auch nur, wer in jenen Jahren auf Hamsterfahrten mit der Bahn unterwegs war, kann ermessen, welche Leistung es für Rodulf Walbaum bedeutet haben muss, seine ehemaligen Mitglieder wieder zu finden, sowie für seine Ideen zu werben und neue Menschen als Mitglieder zu gewinnen.

Bereits 1876 in Rheinhessen gegründet

Es sei hier noch einmal erwähnt: die Hamburger Gemeinde der Deutschen Unitarier ist keine Neuschöpfung einer neuartigen Religionsgemeinschaft. Die Freien Protestanten wurden bereits 1876 in Worms gegründet. Es geschah als Reaktion auf die Gründung einer protestantischen Staatskirche und die Einführung einer Kirchensteuer - und sie haben sich mit dem Zusatz „Religionsgemeinschaft" bewusst von den herkömmlichen amtlichen Kirchen absetzen wollen. Sie haben mit dem Gedanken Gott steht nicht außerhalb, sondern ist Teil unserer Welt, die bewusste Loslösung vom dualistischen Christentum vollzogen.

Ursprünge im 16. Jahrhundert

Die Geschichte der Unitarier reicht noch weiter zurück. Die Ablehnung des Dreifaltigkeitsdogmas war in Italien besonders stark bei den Befürwortern der Erwachsenentaufe, die sich „Täufer" nannten. Diese „Antitrinitarier" traten vor allem um 1550 in Venetien organisiert auf. Ihnen waren schon ein humanistisches Weltbild und der Gebrauch der Vernunft in der Religion wichtige Anliegen. Vor der Inquisition flohen manche Antitrinitarier in die Schweiz und später nach Polen, z.B. Bernardino Ochino, Giorgio Biandrata und Lelio Sozzini.

Polen war zu Beginn des 16. Jahrhunderts durch den hohen Bildungsstand und die große politische Zersplitterung des Adels - wobei die Kirche eher als politischer Konkurrent denn als geistliches Gremium betrachtet wurde -, ein fruchtbarer Boden für die Reformation mit einem toleranten geistigen Klima. Innerhalb Europas war nur noch das geistige Klima in Siebenbürgen vergleichbar. Die ungarischen und rumänischen Unitarier sind die ältesten Gemeinden und bestehen seit fast 440 Jahren ohne Unterbrechung. Der Beginn war das Toleranzedikt von Torda (Thorenberg in Siebenbürgen) aus dem Jahre 1568. Es wurde vom weltweit einzigen unitarischen König Sigismund erlassen.

Dort, im Grenzgebiet zu den Türken, setzte sich die Reformation unter der deutschen und ungarischen Bevölkerung weitgehend durch. Die Deutschen (dort „Sachsen" genannt) waren meist Lutheraner, die Ungarn Calvinisten, und die Rumänen blieben bei der Orthodoxie. Angesichts der äußeren Bedrohung durch Türken und Habsburger konnten sich die verschiedenen Gruppen 1557 auf eine gegenseitige Tolerierung einigen.

Der Hofprediger Franz David (1510-1579) stellte 1566 in theologischen Streitgesprächen das Trinitätsdogma in Frage und es gelang ihm, den Fürsten und einen Teil des Adels von seinen Anschauungen zu überzeugen. Seine Anhänger organisierten sich in einer eigenen Kirche. Schon 1568 war die Bezeichnung „Unitarier" gebräuchlich, seit 1600 amtlich und seit 1638 als Selbstbezeichnung. Sie ist eine Umkehrung des Begriffs „Antitrinitarier" ins Positive und charakterisiert den Glauben der damaligen Unitarier an einen einzigen, ungeteilten, aber personifizierten Gott.

In der Folgezeit blieb der 1571 erreichte Rechtsstatus der unitarischen Kirche Siebenbürgens zwar erhalten, tatsächlich war sie jedoch vielfältigen Schikanen ausgesetzt. Erst 1781 erließ Kaiser Joseph II. ein Toleranzedikt. Volle Gleichberechtigung erhielten die siebenbürgischen Unitarier jedoch erst 1848. Seit 1820 standen sie im Kontakt mit den englischen und seit 1831 mit den amerikanischen Unitariern.

Als Siebenbürgen 1919 an Rumänien überging, teilten sich die Unitarier in eine rumänische und eine ungarische Kirche. Es gibt seitdem je einen unitarischen Bischof in Cluj und in Budapest. Die in Rumänien liegenden unitarischen Gemeinden umfassen cirka 80.000 Mitglieder und die zu Ungarn gehörenden unitarischen Gemeinden haben fast 25.000 Mitglieder.

„Deutscher Unitarierbund für freie religiöse Kultur"

1909 übernahm Rudolf Walbaum, der vorher Pfarrer der evangelischen Kirche gewesen war, die Leitung der freiprotestantischen Gemeinden. Bei den Weltkongressen für freies Christentum und religiösen Fortschritt (1910, 1913 und 1922) bekam er Kontakt zu den angelsächsischen Unitariern und gab der von ihm seit 1911 herausgegebenen Zeitschrift „Der Freiprotestant" den Untertitel „Deutsch-unitarische Blätter", der ab 1926 alleiniger Titel wurde. Ebenfalls seit 1926 wurde in der Freireligiösen Gemeinde Frankfurt/Main unter Leitung von Clemens Taesler der Begriff „unitarisch" als Wesensbezeichnung gebraucht. Taesler und Walbaum gründeten 1927 den „Deutschen Unitarierbund für freie religiöse Kultur". Im „Dritten Reich" blieb die kleine, relativ unbekannte Gemeinschaft der Freiprotestanten unbehelligt. Der Deutsche Unitarierbund wurde wie die Freireligiösen Gemeinden 1935 verboten.

Rudolf Walbaum fasste Anfang des 20. Jahrhunderts die Hauptprinzipien für alle Unitarier wie folgt zusammen:
1. Vollständige geistige Freiheit in religiösen Fragen
2. Uneingeschränkter Gebrauch der Vernunft in religiösen Dingen
3. Weitgehende Toleranz in religiösen Fragen sowohl bei eigenen Mitgliedern als auch bei anderen Weltanschauungen

Diese Gedanken finden sich - in etwas abgewandelter Form - in der Präambel der Grundgedanken
 der deutschen Unitarier von 1995 wieder.

Internationale Kontakte

Ein wesentliches Verdienst des ersten Gemeindeleiters Wilhelm Paysen war die Wiederherstellung der durch den Krieg verloren gegangenen Kontakte zu amerikanischen und englischen Unitariern, zur American Unitarian Association in Boston und der General Assembly der britischen Unitarier.

Die Geschichte der Hamburger Gemeinde zeichnet sich durch eine hohe Kontinuität bei den jeweiligen Gemeindeleitern aus. So war Adolf Lübcke von 1949 bis 1973 - also beinahe ein Viertel Jahrhundert -, der Leiter der Gemeinde und von 1973 bis 1976 hatte Walter Bade dieses Amt inne, von 1976 bis 1994 hatte Helmut Kramer die Landesleitung übernommen und von 1994 bis 2001 war es dann Eike Möller, der die Geschicke der Gemeinde prägte.

Die Hamburger Gemeinde hat mit ihrer Existenz alle widerlegt, die glaubten, dass aus der Forderung nach Eigenständigkeit und Selbstverantwortung des Individuums ein Auseinanderbrechen der Gemeinschaft folgen müsse. Unitarier wissen: richtig verstandene Individualität basiert immer auf einer funktionierenden, d.h. lebendigen Gemeinschaft; denn beide bedingen einander.

In der Hamburger Gemeinde findet deshalb jeder die unabdingbare Geborgenheit und Akzeptanz bei gleichzeitig kritischer Auseinandersetzung mit ähnlich denkenden Menschen.

Ein Glanzpunkt in der Arbeit der Hamburger Gemeinde für die Gesamtheit aller deutschen Unitarier war die Ausrichtung des Unitariertages 1985 im CCH mit dem Thema „Frieden durch Verständigung".

Zeit der Veränderungen

Die zeitlichen Veränderungen haben allerdings auch die Unitarier nicht unbeeinflusst gelassen. So gibt es seit etwa 2005 eine intensive Diskussion über eine Namensänderung. Dabei geht es allerdings nicht um den Begriff „Unitarier", sondern um die Streichung der Wörter „Deutsche" und/oder „Religionsgemeinschaft" oder die Umbenennung in „Humanistische Unitarier".

Ebenso gibt es neue Gedanken und Überlegungen zum Zeichen der Deutschen Unitarier. Es symbolisiert „die Einheit von Werden und Vergehen im Kreise des Alls". Für Viele stellen die sechs Strahlen einen Lebensbaum dar, der mit den Wurzeln fest in der Erde steht und seine Äste zum Himmel streckt. In seinem Ursprung ist der Sechsstrahl aber eine Kombination alter Symbole, die in der Gemeinschaft schon lange als Zeichen für Leben und Sterben, für Geburt und Tod als Alternative zu dem christlichem * und † benutzt werden. Das Ganze wurde in einen Kreis gesetzt als Symbol für die Unendlichkeit. Innerhalb der Deutschen Unitarier gibt es eine fortwährende Diskussion über die Änderung des Zeichens, besonders intensiv seit 2006, als mehrere Neuentwürfe ins Spiel gebracht wurden.

Während einige Unitarier diese Diskussionen eher als Irritationen empfinden, sind es für andere kraftvolle Anzeichen einer lebendigen Gemeinschaft, die sich ihre eigenen Gedanken macht und sich ebenso verändert, wie ein Mensch sich in seinem Leben verändert. Mit dieser Zuversicht wird die Hamburger Landesgemeinde das 60-jährige Jubiläum der Wiederbegründung am 16. September offiziell feiern.

 

Manfred Tepel
Landesgemeindeleiter
Deutsche Unitarier Hamburg