Podiumsdiskussion zur Landtagswahl in Hessen

MARBURG. (hpd) Welche Wege führen aus der rechtspolitischen Misere? Das fragte

der Arbeitskreis Justizreform des HU-Ortsverbandes Marburg.

 

Bei einer Diskussionsveranstaltung der Humanistischen Union (HU) im Historischen Saal des Marburger Rathauses saßen am Dienstag (8. Januar) fünf Marburger Landtagskandidaten auf dem Podium.

Vier konstruktive Vorschläge hatten Mitglieder des Arbeitskreises vorbereitet.

Die Kandidaten Anne Oppermann von der CDU, Dr. Thomas Spies von der SPD, Dr. Andreas Jürgens von den Grünen, Rainer Atzbach von der FDP und Pit Metz von den Linken sollten dazu Stellung beziehen.

Bestrafung der Rechtsbeugung?

Die erste Frage von Dr. Christian Zimmermann galt der Bestrafung von Rechtsbeugung. Praktisch sei es in Deutschland unmöglich, Richter wegen Rechtsbeugung zu sanktionieren.

Derartige Fälle kämen praktisch auch nie vor, meinte der ehemalige Kasseler Richter Andreas Jürgens. Schlamperei hingegen müsse über den Instanzenzug ausgemerzt werden.

Da die Richter für eigenes Fehlverhalten während der Prozessführung von den Gerichtspräsidenten als Dienstvorgesetzten nur selten Rügen erhalten, muss nach Ansicht von Horst Triflinger eine neue Instanz her. Mit einem "Justiz-Ombudsmann" bekäme man nach Einschätzung des Vorsitzenden des Vereins gegen Rechtsmissbrauch (VgR) einen niederschwelligen Ansprechpartner.

„Justiz-Ombudsmann"?

Vorteil sei, dass ein solcher "Bürgeranwalt" nicht in die Gruppendynamik der Richterkollegen eingebunden wäre, sondern tatsächlich unabhängig handeln könne. Erst damit gäbe es tatsächlich eine echte Beschwerde-Instanz für die Bürger, die heute fehle. Der übliche Verweis auf den Instanzenzug sei angesichts der vorherrschenden Mißstände ein Hohn.

Die meisten Landtagskandidaten mochten sich mit diesem Vorschlag nicht anfreunden. Das Vorhandene reiche doch völlig aus, meinten sie. Wenn eine solche Beschwerde-Instanz doch keine Urteile aufheben könne, dann sei sie überflüssig. Umgekehrt lehnten sie jeden Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit ab. Einzig der Linken-Kandidat Pit Metz zeigte sich nachdenklich, dass da vielleicht doch etwas dran sein könnte.

Richter auf Zeit?

Ob man sich vorstellen könne, Richterstellen statt auf Lebenszeit auf eine begrenzte Anzahl an Jahren zu vergeben, fragte Gudrun Hoffmann. Damit könnte ein Selbstreinigungsprozess in der Richterschaft Platz greifen.

Das wäre ein Dammbruch für die richterliche Unabhängigkeit, meinten die Vertreter von CDU, FDP, SPD und Grünen wiederum. Allenfalls bei Leitungsfunktionen konnten sich die meisten ein Richteramt auf Zeit vorstellen. Dafür gebe es auch Beispiele im europäischen Ausland sowie zeitweilig sogar in der bayrischen Rechtspraxis.

Ein Gegenargument lautete, dass die Richter in ihren Entscheidungen sehr beeinflusst würden durch die Notwendigkeit, gegebenenfalls ihre Wiederwahl abzusichern. Wohin man eventuell nicht wiedergewählte Richter beruflich integrieren sollte, war für Jürgens eine heikle Frage.

Qualitätsmanagement in der Justiz?

Hier entzündete sich die lebhafteste Diskussion der Landtagskandidaten. Spies meinte, dass Balint-Gruppen unter Ärzten ja eine erprobte, exzellente Sache wären. Etwas Ähnliches sollte man auch unter Richtern und Lehrern einführen, so dass ein gesundes Feedback unter Gleichen stattfinden könne.

Jürgens konnte sich eine Kultur vermehrter Rückmeldungen ebenfalls gut vorstellen. Allerdings verwies er darauf, dass unter Justizangestellten jedes QM unter dem Verdacht stehe, weiteren Stelleneinsparungen den Weg zu bereiten.

Metz bekannte sich zu Bauchgrimmen gegenüber sogenanntem QM, das vor allem mehr Bürokratie statt mehr Menschlichkeit einbringe. Sowohl die Erfahrungen seiner Frau als Krankenschwester als auch seine Arbeit als Betriebsratsvorsitzender der Deutschen Blinden-Studienanstalt (BliStA) ließen ihn zu Vorsicht oder gar Ablehnung raten. Bloße Vermehrung von Dokumentationspflichten seien Pseudo-Verbesserungen, brächten aber kein Mehr an Qualität.

Die Notwendigkeit, die für Normalbürger oft unverständliche Sprache der Juristen einer stetigen Überprüfung und Verbesserung zuzuführen, betonte Anne Oppermann. Sie rannte damit bei allen offene Türen ein. Atzbach dachte hingegen vornehmlich daran, alte Gesetze von "unnötigem Ballast" zu befreien.

 

In der anschließenden freien Fragerunde kamen aus dem Publikum mehrere hoch emotionale Klagereden. Menschen, die sich selber als Opfer von Schlamperei und Fehlern der Justiz fühlten, trugen ihre Erfahrungen vor.

Während die Landtagskandidaten die deutsche Justiz grundsätzlich für gut hielten, manifestierte sich in den Beiträgen der Fragesteller und des Publikums eine massive Kritik, die meist aus persönlichen Erfahrungen genährt worden war. Auch wenn die kritikwürdigen Fälle vielleicht nur einen prozentual geringen Anteil ausmachen mögen, können sie für den Einzelnen dennoch gravierende persönliche Folgen haben.

Diese Erkenntnis mag sich letztlich bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen als Ergebnis der Diskussion festgesetzt haben. Die Parteienvertreter versprachen, den Kritikern hier auch künftig ein offenes Ohr zu bieten.

Jürgen Neitzel