Kultur des Abschiednehmens

BERLIN. (hpd) „Trauerprozesse – Gibt es eine neue Kultur des Abschiednehmens?“ Unter diesem Titel fand im September 2007

eine Fachtagung statt, die nun als Dokumentation vorliegt.

In den europäischen Gesellschaften sterben die meisten Menschen am Ende eines langen Lebens. Anders als noch vor zwei Generationen sind die eigene Sterblichkeit und das Sterben der anderen nicht im Alltag gegenwärtig. Die Lebenserwartung von Frauen hat sich seit dem 19. Jahrhundert nahezu verdoppelt, der damals häufige Tod im Kindesalter gilt nun als Skandal. Vorherigen Generationen noch vertraute Umgangsformen und Rituale sind vergessen oder werden als unpassend empfunden. Um Verstorbene zu trauern, sich an Menschen die man verloren hat, zu erinnern, sind ein individuelles Bedürfnis und eine kulturbegründende Handlung. Auch wenn sich die Traditionen der Bestattungskultur und die Konventionen der Trauer verändern oder einige verschwinden, wird eine Erneuerung der Erinnerungskultur sichtbar.

Die Anstrengungen vieler Menschen, die Sterbende in die menschliche Gesellschaft zurückholen und in der letzten Lebensphase begleiten, ersetzen oder ergänzen die nachbarliche Gemeinschaft und familiale Unterstützung. Genannt seien hier die Hospizbewegung, kirchliche Seelsorge und weltliche Trauerhilfe. Initiativen aus der Selbsthilfe und aus bürgerschaftlichem Engagement begleiten unheilbar kranke oder alte Menschen und ihre Angehörigen auf ihren Lebenswegen. Neue Kulturtechniken ermöglichen andere Ausdrucksformen individueller und öffentlicher Trauer.

Die Veranstalter interessierte, ob sich die „Kultur des Abschiednehmens“ erneuert. Nimmt sie die Verschiedenartigkeit der Menschen beim Abschied vom eigenen Leben oder in der Verlusterfahrung auf. Lässt nicht vielmehr der Mangel an verbindlichen Gewissheiten die Sterbenden und die Trauernden notwendig hilflos zurück. Werden wir die erste Zivilisation der Weltgeschichte sein, die keinen Totenkult mehr kennt oder erleben wir gerade mit, wie sich die Ausdrucksformen des Gedenkens und der Trauer verwandeln und neue Orte schaffen.

Die Referentinnen und Referenten vermitteln, wie – im guten Sinne – alltäglich die Sorge für sterbende und trauernde Menschen werden könnte. So analysierte der erste Vortrag einen Wandel der Erinnerungskultur und zeigte Perspektiven für einen humanen Umgang mit Sterben und Tod auf. Drei der vorgestellten Projekte leisten individuelle Hilfen für Eltern, deren Kinder schwer oder zum Tode erkrankt sind oder die von ihrem Wunschkind schon vor seiner Geburt Abschied nehmen mussten. Die Trauerhilfe ist wichtiger Teil dieser Arbeit. Die Beiträge zu Kunst- und Klangtherapie in der Begleitung sterbender und trauernder Menschen zeigen, wie zum Lebensende – auch ungewohntes – kreatives Erleben das Selbstgefühl stärken und lindernd wirken kann.
Die Heilung der Trauer bedarf der Zeit zum Trauern. Dass Rituale den Abschied in einer ungewöhnlichen Situation erst ermöglichen und wie wichtig der Respekt vor den Verstorbenen für die menschliche Integrität ist, belegt der Vortrag über das Gedenken zu Ehren verstorbener Körperspender.

Gibt es eine neue Kultur des Abschiednehmens?

Veranstalter und Herausgeber:
Ingrid von Hänisch, Stiftung menschenwürdiges Sterben
Evelyne Hohmann, Theodor Springmann Stiftung

Dokumentation der Fachtagung am 7. September 2007 in Berlin

ISBN 978-3-00-023317-3,
7,00 € zzgl. Versand

Bezug: Theodor Springmann Stiftung (030) 44024079,

Evelyne Hohmann