Die „offene Wunde“

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"Mahnwache" / Foto: Maja Bačer

WIEN. (hpd) Anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Wiener „Ambulatorium am Fleischmarkt“ – dem Symbol der Fristenlösung -, gibt es einen Empfang der Stadtregierung und Vorstöße der Kirche, die Abtreibung in Österreich wieder zum Thema zu machen.


Von Christoph Baumgarten

Das Wiener „Ambulatorium am Fleischmarkt“ führt wieder einmal zu einem Konflikt zwischen der katholischen Kirche und der österreichischen Politik. Die Wiener Stadtregierung gibt zum 30-jährigen Jubiläum der Abtreibungsklinik einen Empfang. Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz nimmt das zum Anlass, um die Fristenregelung infrage zu stellen. Eine Einmischung in die Politik, wie sie seit längerem nicht mehr vorgekommen ist.

Die Feier zum 30-jährigen Bestehen der renommiertesten Abtreibungsklinik soll abgesagt werden, fordert Kardinal Christoph Schönborn in einem offenen Brief an den Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ). Diese Veranstaltung mache deutlich, dass es "offenbar keinen Konsens im Hinblick auf den Schutz des menschlichen Lebens von der Empfängnis an gibt", schreibt der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz in Österreich. Stattdessen solle es einen „Runden Tisch“ geben, an dem diskutiert werden soll. Eine diplomatische Formulierung, wie sie Schönborn liebt. Er möchte wieder eine politische und gesellschaftliche Debatte in Österreich entfachen, ob Abtreibung wieder ein Fall für den Strafrichter werden soll oder nicht. Damit die diplomatische Formulierung nicht als allzugroße Verhandlungsbereitschaft interpretiert wird, ergänzt Bischof Klaus Küng von der Diözese St. Pölten: Das 30-jährige Bestehen einer Abtreibungsklinik, "in der tausende Kinder ums Leben gekommen sind, kann doch kein Grund zum Feiern sein“. Küng gilt als reaktionär und ist Opus Dei-Mitglied. Nach außen interpretiert er oft die eher zurückhaltenden Botschaften Schönborns.

So weit hinausgelehnt hat sich ein formales Oberhaupt der klerikalen Hierarchie der katholischen Kirche schon seit langem nicht mehr.

Vielleicht erinnert das 30-jährige Bestehen der Klinik den Klerus, dass es ebenso lange nicht gelungen ist, sie in die Knie zu zwingen. Das Ambulatorium gilt als das Symbol der Fristenlösung in Österreich. Seit Jahrzehnten wird es von Abtreibungsgegner belagert. Tag für Tag halten sie „Mahnwachen“ oder „Gebete“ vor dem Gebäude ab, belästigen Frauen, die dort Hilfe suchen, halten ihnen Plastikföten vors Gesicht. Immer wieder wird von Übergriffen berichtet. Die Veranstaltungen sind mal größer, mal kleiner. Human Life International, eine Vereinigung radikaler Abtreibungsgegner organisiert den Dauer-Protest seit Jahren. Die Klinik hat einen privaten Sicherheitsdienst engagiert, um die Patientinnen wenigstens einigermaßen zu schützen. Ein Wiener Landesgesetz, das Abtreibungskliniken schützen soll, wird nur selten angewandt. Weise man die Fundis weg, wie es das Gesetz vorsieht, wenn Patientinnen belästigt werden, seien sie nach einer halben Stunde wieder da. Ein prominenter Unterstützer der Straßenkämpfer ist das Salzburger Weihbischof Andreas Laun. Er vergleicht schon mal die so genannte Fristenlösung mit dem Holocaust. Ungestraft. Derartige Vergleiche gelten in Österreich trotz Verbotsgesetzes nicht als Verharmlosung des Holocaust.

Laun mag sich durch Verbalrabaukentum hervortun. In der Sache weiß er sich einig mit der Spitze des katholischen Klerus in Österreich. Wie auch der Brief Schönborns an den Wiener Bürgermeister beweist. Seit 1974 bekämpft der Klerus die Straffreiheit der Abtreibung. Dabei war diese damals als Kompromiss eingeführt worden. In einer Art Gnadenakt beschloss der österreichische Nationalrat damals, dass Frauen, die innerhalb von drei Monaten nach Eintritt der Schwangerschaft eine Abtreibung vornehmen lassen, nicht bestraft werden dürfen. Vorausgesetzt sie nehmen vor dem Eingriff eine medizinische Beratung in Anspruch. Anders als in Frankreich sind aber keine Fristen dafür vorgesehen. Weitere Ausnahmen bestehen, wenn die Schwangerschaft die Mutter gefährdet oder beim Kind schwere Behinderungen zu erwarten sind. Verboten ist der Schwangerschaftsabbruch nach wie vor. Selbst das ist dem katholischen Klerus zu liberal. Die Lösung ist aus Sicht der katholischen Kirche eine offene Wunde.

Auch auf lokalpolitischer Ebene wird die Fristenlösung infrage gestellt. In Österreichs zweitgrößter Stadt Graz etwa läuft die traditionell kirchennahe ÖVP (auch stärkste Partei in Graz) Sturm gegen eine Broschüre der Stadträtin Elke Edlinger (SPÖ). Die Broschüre bietet umfassende Informationen für Frauen, die ungewollt schwanger sind. Unter anderem auch mit Informationen, wie und wo Abtreibungen vorgenommen werden können. Als Reaktion fordern Vertreter der Grazer ÖVP Verschärfungen bei der Fristenlösung. Frauen sollten zusätzlich eine psychologische Beratung in Anspruch nehmen müssen und eine Wartefrist von mehreren Tagen einhalten, bevor sie eine straffreie Abtreibung vornehmen lassen können. In Ländern wie Frankreich haben sich ähnliche Lösungen als große Hürden erwiesen. Die Grazer FPÖ, wie die Bundespartei seit kurzem auf einem national-klerikalen Kurs, bezeichnet die Fristenlösung gar als Gefahr „für die Substanz unsere Volkes“. Die Grazer SPÖ weist die Angriffe zurück und weigert sich, die Broschüre zurückzuziehen.

Zumindest in Wien weist die Politik die Einmischungsversuche des Klerus zurück. Die zuständige Stadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) richtete Schönborn aus, dass sie nicht daran denke, die Feier für das Ambulatorium am Fleischmarkt abzusagen. Der Wiener Bürgermeister Häupl fühlt sich vom Brief Schönborns nicht angesprochen. Und der Klubobmann der SPÖ im Wiener Gemeinderat Siegi Lindenmayr verweist auf seinem Blog auf die Situation vor der so genannten Fristenlösung. Frauen, die es sich leisten konnten, ließen Abtreibungen bei Ärzten vornehmen. Die anderen waren auf die Engelmacherinnen angewiesen. Ein Wiener Ausdruck für Frauen, häufig Hebammen, die illegale Abtreibungen z.B. mit Stricknadeln vornahmen und die es überall gibt, wo Abtreibung illegal ist. An den Folgen starben unzählige Frauen. Solche Zustände wolle man nie wieder, schreibt Lindenmayr.

 

Alle Fotos: Maja Bačer