Forschungsstand Islamfeindlichkeit

(hpd) Der Islam- und Politikwissenschaftler Gerald Schneiders legt mit „Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen“ einen Sammelband mit wissenschaftlichen Beiträgen zum Thema vor. Das überaus informative und reflexionswürdige Werk unterscheidet aber nicht genug zwischen differenziert-sachlicher Islam-Kritik und hetzerisch-stereotyper Islamfeindlichkeit.

Seit den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 steigen nicht nur in Deutschland die Ressentiments und Vorurteile gegen den Islam und die Muslime. Man findet sie bei Alltagshandlungen und Einstellungen ebenso wie in der Politik und Publizistik. Gleichzeitig prägen stark emotionalisierte Debatten über die Frage der Integration von Muslimen, das Kopftuch an Schulen oder den Vergleich von Antisemitismus und „Islamophobie“ den öffentlichen Diskurs. Vor diesem Hintergrund hat der Islam- und Politikwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders einen umfangreichen Sammelband mit dem Titel „Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen“ zusammengestellt. Er enthält neben neuen Arbeiten eine Reihe von Beiträgen, die zuvor schon in Jahrbüchern oder Zeitschriften erschienen. Insofern liegt damit eine Bilanz des aktuellen Forschungsstandes zum Thema vor. Darin sollen die erwähnten Ressentiments und Vorurteile unter wissenschaftlichen Vorzeichen aufgespürt, dokumentiert und interpretiert werden.

Der Sammelband gliedert sich in vier große Teile: Zunächst geht es um „Ausgangspunkte islamfeindlichen Denkens in der deutschen Gesellschaft“, wobei Aufsätze zu den historischen und theologischen Gründen des „Feindbildes Islam“, der einschlägigen Propaganda in Kirchen des Mittelalters, der Angst vor der „Türkengefahr“ in der Frühen Neuzeit“, Islambildern in den Persienberichten des 17. Jahrhunderts oder die Stereotype in der Berichterstattung gegenwärtiger Medien im Zentrum stehen. Danach widmet man sich der „aktuellen Lage der Islamfeindlichkeit“: Präsentiert werden hier Ergebnisse der empirischen Forschung zur Islamfeindlichkeit, Analysen zum öffentlichen Umgang mit der Angst vor dem Islam, den christlich-abendländischen Traditionen als Problem für den Islam in deutschen Verfassungen, den Fehlannahmen in der Kommunikation zwischen muslimischen und westlichen Gesellschaften, der Kommentierung des Karikaturenstreits in der deutschen Presse oder dem „Islam-bashing“ für jedermann in Leserbriefen und Onlinekommentaren.

Der nächste Teil widmet sich der „institutionalisierten Islamfeindlichkeit“, wobei es um die Agitation von Weblogs wie „Politically Incorrect“, die ambivalenten Positionen der CDU/CSU, die Einstellung der evangelischen Kirche anhand der Erklärung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ und der katholischen Kirche anhand der bekannten Regensburger Rede des Papstes geht. Und schließlich steht im letzten Teil „personelle Islamfeindlichkeit“ im Zentrum der Betrachtung: Hier findet man ausführliche Analysen zu den allgemeinen Argumentationsstrategien von Publizisten wie Henry M. Broder, Necla Kelek oder Alice Schwarzer. Darüber hinaus erhalten auch die Publikationen einschlägiger Autoren wie Hans-Peter Raddatz, dem eine Geistesverwandtschaft mit dem Islamismus unterstellt wird, gesonderte Aufmerksamkeit. Im Sinne einer ausführlichen Analyse zu einem einzelnen Autoren ausgerichtet ist denn auch der letzte Beitrag, der die Entwicklung Ralph Giordanos von einer moralischen Autorität zum verbiesterten Ausländerfeind nachzeichnen will.

Wie bei allen umfangreicheren Sammelbänden mit ganz verschiedenen Autoren können nur schwer einheitliche Bewertungen abgegeben werden: Ganz allgemein gilt aber, dass hier wichtige Analysen zur „Islamfeindlichkeit“ versammelt sind. Sie unterscheiden sich gleichwohl in Inhalt, Methode und Qualität. So findet man etwa überzeugende Kritiken der Argumentationsstrategie und Stereotype einschlägiger Publizisten. Auch die Aufarbeitung von Fehlwahrnehmungen im interkulturellen Diskurs beeindruckt und regt zu Korrekturen weit verbreiteter Interpretationsperspektiven an. Darüber gibt es aber auch etwas verworrene Aufsätze wie zur mittelalterlichen Islamfeindschaft in den Kirchen oder Beiträge zur empirischen Erfassung von einschlägigen Vorurteilen mit zweifelhaften Einstellungsstatements. Der größte Mangel des Bandes besteht – trotz der Thematisierung im Untertitel - aber im Fehlen einer klaren Unterscheidung zwischen differenziert-sachlicher Islam-Kritik und hetzerisch-stereotyper Islamfeindlichkeit.

Armin Pfahl-Traughber

 

Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.), Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen, Wiesbaden 2009 (VS – Verlag für Sozialwissenschaften), 483 S., Euro 39,90.