Das Turiner Grabtuch: Fragen und Antworten

ROSSDORF (gwup/hpd) Wahre Besucherströme erwartet die norditalienische Stadt in den nächsten Wochen: Vom 10. April bis 23. Mai 2010 wird das Turiner Grabtuch im Turiner Dom ausgestellt. Das Leinen mit der schemenhaften Abbildung eines männlichen Körpers gilt manchen Gläubigen als Leichentuch Christi.

Angeblich sollen dafür sogar wissenschaftliche Belege existieren. Aber was ist wirklich dran an dem geheimnisvollen Leinen?

1. Warum die Ausstellung?

Ursprünglich hatte Papst Johannes Paul II. die nächste Ausstellung auf das Jahr 2025 festgelegt. Mit der Vorverlegung will die Kirche nach eigenen Angaben den Gläubigen Gelegenheit bieten, den Zustand des Tuchs nach der jüngsten, umfangreichen Restaurierung in Augenschein zu nehmen. Die Restaurierungsarbeiten waren nach einem Brand 2002 notwendig geworden. Allerdings sollen keinerlei wissenschaftliche Experimente oder Untersuchungen zugelassen sein.

Ohnehin dürfte die Restaurierung künftige Untersuchungen von Alter und Herkunft des Leinens erschweren. Von Nonnen im Jahr 1534 geflickte Teile wurden entfernt, Brandstellen gesäubert und Falten geglättet. Inwieweit dabei auch Hinweise auf Farbstoffe entfernt worden sind, bleibt unklar.

Einerseits hat die katholische Kirche keine offizielle Stellungnahme zur Authentizität des Tuches verfasst, vielmehr verweist sie zur Klärung dieser Frage auf die Wissenschaft. Dennoch werden fortwährend Aussagen aus Kreisen „vatikanische Forscher“ veröffentlicht, welche klar in Richtung eines wissenschaftlichen Nachweises der Authentizität gehen, während kritische Stellungnahmen aus diesen Kreisen unbekannt sind. Benedikt XVI. selbst bezeichnet die Ausstellung als gute Gelegenheit, „um jenes geheimnisvolle Antlitz zu betrachten, das in der Stille zu den Herzen der Menschen spricht und sie dazu einlädt, in ihm das Antlitz Gottes zu erkennen."

Es ist wohl zu erwarten, dass angesichts der derart vagen offiziellen Position des Vatikans und enthusiastischer Stellungnahmen aus vatikanischen und katholischen Kreisen die Ausstellung die öffentliche Wahrnehmung des Tuches als „echt“ verstärken wird. Der Wunderglaube wird gestärkt. Und: Natürlich ist diese Ausstellung eine erneute, große Werbemaßnahme für die katholische Kirche.

2. Wie beurteilen Skeptiker den Status des Grabtuchs?

Die Sachlage ist klar und der Fall wäre längst ad acta gelegt, gäbe es nicht eine große Schar von Gläubigen, welche die Legende am Leben erhalten. Das Tuch stammt aus dem Mittelalter und das Abbild ist das Werk eines Künstlers aus dieser Zeit.

Es fängt schon damit an, dass das Tuch viel zu gut erhalten ist, um 2000 Jahre alt zu sein. Die Webart war im Mittelalter in Europa üblich, nicht aber im Jerusalem um den Beginn unserer Zeitrechnung. Das Tuch taucht zudem nachweisbar erstmals Mitte des 14. Jahrhunderts auf, und Bischof Pierre d' Arcis gibt 1389 in einem Bericht an den Papst an, das Tuch sei auf „listige Art und Weise“ gemalt, und der Künstler habe dies auch gestanden. Walter McCrone weist in den 70er- und 80er- Jahren nach, dass die Abbildstellen Eisenoxyd als Farbstoff sowie Tempera als Bindestoff enthalten (siehe Skeptiker 2/2000, S. 76-85). Eine Radiokarbondatierung durch drei unabhängige Labors bestätigte 1988 schließlich eine Entstehung des Tuches um das 14. Jahrhundert.

3. Gibt es neue Befunde zum Tuch?

In den letzten 20 Jahren wurden sowohl Belege für die Echtheit des Tuches als auch für eine Entstehung im Mittelalter angeführt. In der wissenschaftlichen Qualität unterscheiden sie sich jedoch erheblich.

Zunächst zu den Befürwortern der Echtheit: Sie versuchen einerseits, wissenschaftliche Ergebnisse in Frage zu stellen, zum anderen Belege für ihre These vorzubringen. Während der Nachweis von Farbstoffen durch Walter McCrone von Befürwortern weitgehend ignoriert wird, gab es verschiedene Versuche, die Ergebnisse der Kohlenstoffdatierung infrage zu stellen. Als Ursachen für das unerwünschte Ergebnis wurden Verunreinigung über die Entnahme „geflickter Stellen“ und die Veränderung des Kohlenstoffs durch einen „Neutronenblitz“ während der Auferstehung vorgeschlagen. Sie halten alle einer kritischen Prüfung nicht stand (siehe Skeptiker 2/2000). Auch eine „alternative“ Altersbestimmung durch die wenig gebräuchliche Vanillin-Methode (siehe Skeptiker 1/2006, S. 13-19) ist wenig überzeugend. Das Vorgehen ist typisch bei Parawissenschaften: Ändere die Methoden solange, bis das erwünschte Ergebnis eintritt. Verschiedene Autoren glauben auf dem Tuch Schriftzüge zu erkennen oder auch Abdrücke von Blumen, die im vorderen Orient verbreitet sind (siehe Skeptiker 2/2000). Der Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt.

Im vergangenen Jahr erbrachten Wissenschaftler zwei weitere starke Hinweise gegen die Authentizität des Leinens. Zunächst konnte der italienische Skeptiker Luigi Garlaschelli erstmals ein vollständiges Replikat des Tuches herstellen. Dazu verwendete er ausschließlich Materialien,die bereits im Mittelalter zur Verfügung standen. Zuvor hatten sowohl Joe Nickell als auch Walter Sanford gezeigt, dass dies für den Gesichtsteil möglich ist. Das halte ich deswegen für so wichtig, weil die Echtheitsbefürworter nie müde werden, die angebliche Unmöglichkeit eines solchen Kunstwerkes zu betonen. Ein häufiger Einwand lautet, dass sich ein derartiges Bild nicht mit Hilfe von Farbstoffen erzeugen lasse, und tatsächlich reichen die von McCrone nachgewiesenen Farben nicht aus, um die Färbung des Tuches zu erklären. Jedoch konnte Garlaschelli zeigen, dass die Farbstoffe (Eisenoxyd) eine Vergilbung wie beim Original durch eine künstlich herbeigeführte Alterung des Tuches entsteht.