Im Alleingang und gegen den Europäischen Gerichtshof

Bundesregierung will Vorratsdatenspeicherung einführen

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"Freiheit Statt Angst" - Demo 2014

BERLIN. (hpd) Der Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sowie der Innenminister Thomas de Maizière (CDU) haben gestern ihren Plan für eine Wiedereinführung des demokratiefeindlichen und verfassungswidrigen Überwachungsinstruments "anlasslose Vorratsdatenspeicherung" vorgestellt.

Die Vorratsdatenspeicherung bedeutet die anlasslose und systematische Speicherung der Telefon- und Internetdaten aller Bürger; hier vor allem der Metadaten. Diese Überwachung bedeutet vor allem, dass jeder Bürger, der ein Telefon nutzt, eine Mail schreibt oder im Internet surft, als potentieller Gefährder angesehen wird. "Vorratsdatenspeicherung heißt, dass die Informationen, wer wann wo mit jemandem gesprochen oder gemailt oder eine SMS geschickt hat, gespeichert werden. Egal ob jemand verdächtig ist oder nicht, es soll monatelang nachvollziehbar bleiben, wer mit wem wie oft geredet hat" erklärt die ZEIT.

Die Bundesregierung wollte die Vorratsdatenspeicherung schon einmal einführen, musste ihre Pläne dann aber schnell begraben, denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte die EU-weiten Vorgaben dazu im April 2014 gekippt, weil sie gegen die Grundrechte verstoßen. "Die Speicherung der Telefon- und Internetdaten und der Zugriff darauf ohne das Wissen der Betroffenen sei dazu geeignet, ein Gefühl der ständigen Überwachung des Privatlebens hervorzurufen, begründeten die Richter damals ihre Entscheidung." Das Bundesverfassungsgericht hatte die deutschen Regelungen bereits im Jahr 2010 verworfen.

Das allerdings ficht den Bundesjustizminister wenig an, der noch im Dezember vergangenen Jahres via Twitter verkündete: "#VDS lehne ich entschieden ab - verstößt gg Recht auf Privatheit u Datenschutz. Kein deutsches Gesetz u keine EU-RL!" (1) Doch frei nach Adenauer: "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern" hat sich innerhalb von nur vier Monaten die Haltung des Ministers um 180 Grad gedreht.

Doch "dabei geht es nicht nur um die gesellschaftliche Frage, ob ein Totalüberwachung der deutschen Bevölkerung angesichts der Geschichte unseres Landes mit dem Geist des Grundgesetzes vereinbar ist. Es geht natürlich auch um die schlichte Tatsache, dass der Beweis, dass Vorratsdatenspeicherung irgendetwas bewirkt, fehlt" schreibt der Blogger Thomas Knüwer und weist darauf hin, dass zum Beispiel im Fall der NSU-Morde mehr als 32 Millionen Vorratsdaten ausgewertet wurden - erfolglos. Daran ändert auch nichts, dass vor allem der (im Netz dafür verspottete) SPD-Chef Sigmar Gabriel versucht, mit abstrusen Begründungen das Umkippen seiner Partei in der Frage zu begründen. Im völligen Gegensatz zu den nachweisbaren Tatsachen wird immer wieder auch behauptet, dass "den Ermittlern übrigens nach dem Selbstmord der NSU-Terroristen" die Daten aus der Vorratsdatenspeicherung fehlten.

Knüwer weist ferner darauf hin, dass sich durch die Kosten der Vorratsdatenspeicherung die Internetzugänge für Wirtschaft und Verbraucher verteuern werden. Das Handelsblatt bestätigt diese Befürchtungen: "Telekom- und Internetfirmen fürchten eine hohe finanzielle Belastung durch die Befristung der Vorratsdatenspeicherung. Sie fordern daher eine Kompensation vom Staat."

Etwas Hoffnung machen die Aussagen von Nico Lumma, dem Vorsitzenden des SPD-nahen Vereins D64, der sich mit Netzpolitik und Datenschutz beschäftigt. In der TAZ sagt er: "ich glaube, 2015 gibt es für eine Vorratsdatenspeicherung keine Mehrheit mehr."

Die Opposition wirft dem Justizminster Maas vor, "eingeknickt zu sein und die Bürgerrechte auf dem Altar vermeintlicher höherer Sicherheit zu opfern." "Die Vorratsdatenspeicherung gehört nicht ins Parlament, sondern auf die Müllhalde der Geschichte", befand der grüne Fraktionsvize Konstantin von Notz. Maas habe massive verfassungsrechtliche Bedenken nicht ausgeräumt. Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender der Linken, beklagte eine Grundrechtsverletzung mit Vorsatz, die alle unter Generalverdacht stelle. Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) warf der Regierung vor, die Privatsphäre aus Populismus zu verschachern. Die Vorratsdatenspeicherung bleibe trotz aller Augenwischerei ein Überwachungsmonstrum."

Die Rechtsausschuss-Vorsitzende des Bundestags, Renate Künast (Grüne), fasst zusammen: "Erst knicke der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel vor der CDU ein, jetzt sei Justizminister Heiko Maas (SPD) vor Gabriel eingeknickt."

Volker Tripp, politischer Referent des Vereins Digitale Gesellschaft, erklärte: "Die Vorratsdatenspeicherung ist und bleibt grundrechtswidrig. Auch wenn Justizminister Maas bemüht ist, das Vorhaben nun mit einer dicken Schicht rechtsstaatlicher Kosmetik zu versehen, bleibt es eine anlasslose Bevorratung besonders sensibler personenbezogener Daten." In einer Analyse der Maas’schen Pläne heißt es: "Grundrechte erscheinen [der Bundesregierung] weiterhin nicht als schützenswertes Gut, sondern als lästige Hürde, die es trickreich zu überwinden gilt." Deshalb fordert Sascha Lobo in seiner Spiegel-Online-Kolume: Wehren Sie sich! und die beiden FDP-Politiker Wolfgang Kubicki und Gerhart Baum kündigten bereits an, gegen ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht klagen zu wollen.

 

PS: Dass man die Pläne der Bundesregierung auch ganz anders sehen kann, beweist Reinhard Müller in der FAZ. Er ist sich nicht zu fein, allen Kritikern der Vorratsdatenspeicherung zu attestieren: "Wer in [diesen Plänen] einen Untergang des Rechtsstaats sieht, der hat sich von ihm ohnehin längst verabschiedet." Damit erklärt er quasi einen Großteil der deutschen Bevölkerung zu Feinden des Rechtsstaats.

 


(1) #VDS = Vorratsdatenspeicherung; EU-RL = EU-Richtlinie