Kommentar

Muss man als Humanist auch Pazifist sein?

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KONSTANZ. (hpd) Der Autor war längere Zeit Mitglied in einer Friedensorganisation. Vor kurzem ist er ausgetreten. Nicht, weil er weniger am Frieden interessiert sei, sondern aufgrund der Vorgehensweise der pazifistischen Bewegung. Denn nicht erst seit Margot Käßmann diskutiert Deutschland darüber, wie weit Friedenspolitik gehen kann und darf. Im hpd kommentiert er seine Entscheidung.

Für mich persönlich war es aber nicht Käßmann mit ihren doch eigenwilligen Vorstellungen, die mich daran zweifeln ließ, ob der uneingeschränkte und bedingungslose Pazifismus tatsächlich so realisierbar ist, wie es sich manche Visionäre vorstellen. In der Organisation, der ich angehörte, war das Thema der Waffenexporte zum zentralen Aspekt vieler Kampagnen geworden. Dass Aktionen dabei mit nicht weniger kriegerischen Symbolen betrieben wurden als das Verhalten derjenigen war, gegen die man protestierte, war letztlich unerheblich. Hauptsache Provokation, Antimilitarismus ohne Wenn und Aber. Es waren wieder die Extreme, die man heute an so vielen Stellen als Geheimrezepte verkaufen will. Und doch sind sie schlussendlich nicht nur populistisch, sondern vor allem kaum praxistauglich. Denn sie schaffen wiederum neue Feindbilder – eigentlich das, was überhaupt nicht im Sinne derer sein darf, die sich für einen nachhaltigen Frieden einsetzen wollen.

Da wurden in der Mitgliederzeitschrift Verteidigungsminister in übelsten Kriegsposen dargestellt, deutsche Politiker für Verbrechen verantwortlich gemacht, für die sie allemal über viele Umwege hätten Schuld tragen können. Da wurde die Abschaffung der Armee gefordert, Bündnisse schienen in Frage gestellt, weil – es mutet schon nahezu  verschwörungstheoretisch an – die Feinde generell im Westen sitzen. Weltfrieden sei möglich, unter dem Sinnbild der weißen Tauben.

Natürlich träume auch ich davon. Aber Utopist bin ich dennoch nicht. Und ich wusste nicht mehr, ob ich das wirklich ernst nehmen kann, was dort in der Friedeninitiative gefordert wurde. Denn selbstverständlich kann auch ich mir wünschen, dass der Selbstmordattentäter mir künftig die Hand gibt und wir uns zur Friedenspfeife verabreden. Ob er sich danach nicht doch in die Luft sprengt, weiß ich nicht. Immerhin will ich mich nicht derart naiv geben, sondern Friedenspolitik im Hier und Jetzt, in der absoluten Realität, betreiben. Und da helfen mir die Gebete der Margot Käßmann ebenso wenig wie ein blindes Vertrauen in mein Gegenüber.

Doch bin ich dadurch gleich inhuman, wenn ich nicht daran glaube, dass die "Peace"-Flagge an meinem Fenster eher eine ideelle Wunschvorstellung statt eines rationalen Beitrages zur Konfliktlösung ist? Was ich besonders vermisst habe in meiner Friedensorganisation, das war der Gegenentwurf. Alles, was mit Gewalt zu tun hatte, war schlecht. Ja, das ist es auch. Aber manches Mal ist es eben unvermeidbar. Das sehen Pazifisten zwar anders, aber sie können mir selten eine Antwort darauf geben, wie denn ihr "Wie" aussehen soll. Wie erreichen sie den Frieden, von dem sie derart schwärmen? Natürlich bin ich ein Anhänger der Diplomatie. Und sie hat für mich immer Vorrang. Ich bin auch jemand, der gar nichts davon hält, mit ferngesteuerten Drohnen Verbrecher auf dem Boden zu jagen. Das ist für mich unmenschlich. Und doch hadere ich mit der Gesinnung, wir könnten im Zweifel so lange verhandeln, bis das Problem aus der Welt geschafft ist. "Soziale Konfliktforschung" ist wichtig und gut. Mit ihr lassen sich gerade diejenigen Gewaltherde bekämpfen, bei denen es um handfeste Streitigkeiten geht.

Aber mit welchen Argumenten will ich einem fanatisierten Anhänger des IS begegnen, der in seiner Wahnhaftigkeit davon ausgeht, der Welt seinen "Glauben" aufzwingen zu müssen? Der gar kein Interesse daran hat, einen Kompromiss zu finden oder Frieden zu suchen – solange nicht das Ziel erreicht ist, was er sich in seiner Radikalisierung in den Kopf setzt? Humanismus bedeutet, dass wir Leben bewahren. Der Mensch steht im Mittelpunkt aller Bemühungen. Und damit einher geht die Verpflichtung, jede Existenz zu schützen. Und dem Grunde nach will ich daher auch nicht, dass der Attentäter stirbt – egal, ob durch einen Selbstmordanschlag, durch gezielte Schüsse eines Sondereinsatzkommandos oder eine Bombardierung aus der Luft. Ja, ich meinerseits möchte Frieden mit ihm. Doch wenn er nicht will? Kann dann dieser Pazifismus wirklich so weit gehen, dass ich mein eigenes Leben aufs Spiel setze – nur um des Ideals der Gewaltlosigkeit willen?

Wenn wir keine Scheuklappen tragen, wissen wir, dass unsere Welt komplex ist. Die rosarote Brille, die ich bei manch antimilitaristisch eingestelltem Kollegen erkenne, hilft bei pragmatischer Friedenspolitik nicht weiter. Wir Menschen sind evolutionär unterschiedlich geschaffen. Und deshalb bringen wir Reibungspunkte mit, ob in kultureller, religiöser, ethnischer Hinsicht. Und es wäre paradiesisch, wenn wir all diese Verschiedenheiten nebeneinander und miteinander ausleben könnten, ohne uns gegenseitig zu stören, uns etwas wegzunehmen oder uns Gemeinsames streitig zu machen. Doch es ist eben nicht so. Und die Zeit, darauf zu warten, dass die betörenden Duftkerzen in der Koje von Frau Käßmann Erfolg bringen mögen, haben wir nicht. Zumindest dann nicht, wenn wir verhindern wollen, dass noch größeres Unheil entsteht. Und das ist aus meiner Perspektive der humanistische Auftrag: Einerseits das Hinwirken auf Frieden als die Verpflichtung für jeden, ob im persönlichen Alltag – oder eben auf der großen politischen Bühne. Und andererseits auch zu wissen, dass Mitmenschlichkeit nicht zwingend bedeuten muss, auf diesen Zustand der Harmonie zu vertrauen, sondern für möglichst Viele Sicherheit zu erreichen.

Wie gesagt, es kann nicht Ziel sein, Menschen zu töten. Doch wenn es um die Frage geht, wie wir die Unversehrtheit einer Mehrheit gewährleisten können, scheint manches Mal der Einsatz von Gewalt notwendig. Und das gilt besonders dann, wenn wir auf Feindseligkeit treffen, bei der keine Aussicht auf Einsicht besteht. Militärische Intervention ist immer das letzte Mittel. Doch wenn ein Mensch bereit ist, für seine abstrusen Überzeugungen andere mit in den Tod zu reißen und erkennbar nicht bereit ist, verhandeln zu wollen, dann bleibt es einem humanistisch geprägten Pazifisten anheimgestellt, im schlimmsten Falle eben doch zur Waffe zu greifen. Krieg darf nicht zum Mittel des Zwecks werden, Gewalt ist nichts, womit man spielt. Humanismus bedeutet auch Verantwortung. Ein fahrlässiges Bombardieren und unüberlegtes Einmarschieren ist damit nicht vereinbar. Es geht um Menschen – besonders, wenn uns das nicht immer unmittelbar bewusst wird. Deshalb sind auch Rüstungsgüter keine üblichen Wirtschaftsgüter, ihr Handel braucht ethische Abwägungen. Verteidigungshaushalte ihre Grenzen. Und Soldatentätigkeit keine Pflicht.

Ich tue mich schwer mit der Frage, wo ich denn nun stehe. Ich weiß nur, dass ich es mir nicht ganz so einfach mache wie manch ein Freund aus der Friedensbewegung, der die einfachen Antworten liefert, die auf dem Papier ihre Tiefe entfalten, in der Praxis aber doch einigermaßen klangvoll scheitern. Ja, man kann Pazifist sein, ohne Ursula von der Leyen zynisch mit Helmen und Maschinengewehren abzubilden. Man kann aber auch Humanist sein, ohne sich mit Frau Käßmann in ein Zelt setzen zu müssen