Anmerkungen zur Debatte über den Anschlag in Berlin

Wirkungsvolle Gefahrenabwehr statt Paragraphenbastelei

Die sicherheitspolitische Debatte nach dem Anschlag in Berlin hat mit voller Wucht begonnen. Es ist mühsam, mit Sachlichkeit und Vernunft zu argumentieren. Die rechte Mantra stetiger Gesetzesverschärfungen verunsichert die Menschen und macht ihnen vor, Paragraphen könnten alles richten. Es lohnt von daher den Versuch, falsche Argumente der aktuellen Diskussion herauszuarbeiten.

Auf der anderen Seite sollte sich die parlamentarische Opposition verstärkt der eigene Lösungsansätze entwickeln, die Sicherheit gewährleisten, ohne die Bürgerrechte aufs Spiel zu setzen. Es wird nicht genügen, unter Hinweis auf AFD mit Empörungsritualen zu reagieren. So brauchen wir bessere Nachrichtendienste und keine überflüssige Debatte über deren Abschaffung. Wer die Sicherheitsdebatte den Rechten überlässt, wird am Ende beides verlieren, die Sicherheit und das politische Mandat der Bürgerinnen und Bürger.

Tatsachen gegen Legenden

Eine Sachdebatte kann nur mit sachlich fundierten Argumenten und Fakten geführt werden. Wo wurden Fehler gemacht?

Die Informationen der deutschen Behörden über die Person des verurteilten Straftäters durch die italienischen Behörden waren skandalös schlampig. Ansonsten hätte der Verdächtige Amri nicht erst nach Deutschland einreisen können. Mit der Flüchtlingswelle des vergangenen Jahres aus Syrien hat diese Einreise aber nichts zu tun. AfD, CSU und ihre Genossen im Geiste führen mit ihrem Lamento über die Syrien-Flüchtlinge das Land hinter die Fichte. Schuld ist Italien, das nicht einmal in der Lage ist, eine Verurteilung zu vier Jahren Haft wegen Brandstiftung mitzuteilen.

Es liegt auch nicht an fehlenden Gesetzen, wenn bis heute noch nicht bekannt ist, unter wie vielen Identitäten sich der Verdächtige in Europa herumgetrieben hat. Jedenfalls wurde sein Antrag auf Asyl in Deutschland in relativ kurzer Frist abgelehnt, offensichtlich auch im Hinblick auf islamistische Umtriebe. Die USA haben ihn auf die Flugverbotsliste gesetzt, der Name war im Terrorabwehrzentrum in Berlin Treptow bestens bekannt. Er wurde als einer von rund 500 Gefährdern geführt. Der Tatverdächtige hat angeblich sogar versucht Waffen zu erwerben. Alles unter den Augen der Behörden. Eine gesetzliche Vorschrift für so viel Nachsicht werden wir im Gesetz wohl kaum finden. Solange aber jedes Bundesland eine andere IT benutzt und die Nachrichtendienste auf ihren Informationen sitzen wie der Gockel auf dem Misthaufen, brauchen wir über neue Gesetze nicht zu reden.

Noch ein Beispiel dafür, dass die Probleme primär im mangelhaften Vollzug bestehender Regeln liegen: Von deutscher Seite aus lagen gegen den Verdächtigen beim Versuch ihn abzuschieben keine Vollzugshindernisse vor. Das wäre beispielsweise der Fall gewesen, wenn dem Betroffenen im Herkunftsland Folter oder Tod hätten. Vielmehr waren es die tunesischen Behörden, die eine Rücknahme ihres bereits in deutscher Abschiebehaft befindlichen Staatsangehörigen abgelehnt haben. Auch Italien war zuvor auf gleiche Weise beim Versuch einer Abschiebung gescheitert. Die Frage, ob Tunesien ein sicheres Herkunftsland ist, hat für den vorliegenden Fall hingegen keinerlei Relevanz. Bei sicheren Herkunftsstaaten wird lediglich die Prüfung von – menschenrechtlichen – Abschiebehindernissen beschleunigt, was im Übrigen die Anerkennung eines Asylanspruchs keineswegs ausschließt.

Zielgerichtet handeln - Diskussion nicht reflexhaft führen

Wir müssen uns gesellschaftlich endlich über Grundlinien und Zielrichtung innenpolitischer Maßnahmen verständigen. Wichtig ist insbesondere, gezielt gegen bekannte Personen vorzugehen, nicht aber ganze Personengruppen unter einen Generalverdacht zu stellen. Es ist - auch gesellschaftspolitisch - völlig verfehlt, "den" Flüchtlingen mit Misstrauen und Verdächtigungen zu begegnen.

Es hat sich gezeigt, dass Attentäter nicht als unbekannte "Schläfer" von außen geweckt werden und dann zu Anschlägen angestiftet werden. Das war noch das Bild nach dem 11. September 2001. Spätere Attentäter waren den Sicherheitsbehörden durchweg bekannt, allenfalls wurde ihre Gefährlichkeit unterschätzt. Es bringt keinen Zuwachs an Sicherheit, wenn mit großen Aufwand und noch mehr Schaden für den Rechtsstaat großflächig harmlose Informationen wie Telefonate Unbeteiligter mit der Oma abgehört werden, zugleich aber wirklich wichtige Informationen im föderalen Behördengestrüpp hängen bleiben und nicht weiter bearbeitet werden.

Ob zur Terrorbekämpfung die geltenden Befugnisse der Sicherheitsbehörden ausreichen oder an bestimmten Stellen tatsächlich Gesetzesänderungen nötig sind, sollte nüchtern und lösungsorientiert diskutiert werden. Die unselige Tradition, ständig auf Vorrat immer neue Befugnisse für die Sicherheitsbehörden zu schaffen, sie aber nie wieder einzusammeln, muss ein Ende haben. Derartige Änderungen stehen zudem erst dann an, wenn alle bestehenden Vollzugsmöglichkeiten tatsächlich ausgeschöpft sind. Symbolische Politik wie die bei Justizminister Maas wohlfeil gewordenen Strafrechtsänderungen greifen ohnehin ins Leere.

Behörden müssen handeln (dürfen)

Auch wenn es für eine strafrechtliche Verurteilung nicht reicht, sind die bestehenden Möglichkeiten des Gefahrenabwehrrechts, in diesem Fall des Ausländerrechts, ausschöpfen, um die Sicherheit im Lande zu gewährleisten.

Nach § 62 Aufenthaltsgesetz kann ein Ausländer bis zu sechs Monate in Haft genommen werden, wenn er abgeschoben werden kann und einer der Gründe nach Absatz 3 Nr. 1 - 5 vorliegt. Die Nr. 1 a verweist dabei auf § 58 a Aufenthaltsgesetz. Diese Bestimmung ermächtigt die oberste Landesbehörde "einen Ausländer auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr" abzuschieben.

In Deutschland leben nach Behördenangaben über 500 dieser „Gefährder“, d.h. Personen, von denen eine Gefahr für die innere Sicherheit ausgeht. Der Personenkreis ist recht unterschiedlich zusammengesetzt, was den Umgang mit diesen Leuten nicht gerade erleichtert; so haben sie einen höchst unterschiedlichen Aufenthaltsstatus. Eine Reihe deutscher Staatsangehöriger kehrt nach und nach aus Syrien und dem Irak zurück. Sie können nicht ausgewiesen werden, anders als abgelehnte Asylbewerber. Aber auch bei Personen mit deutschem Pass sind alle bestehenden rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um sie unter Kontrolle zu bekommen. Nicht redlich ist es dem gegenüber, sich nach Pannen bei der Überwachung ständig mit zu viel Datenschutz und zu wenigen Eingriffsbefugnissen rauszureden.

Was ist konkret zu tun?

Eine Bewachung rund um die Uhr stößt auch angesichts der wachsenden Zahl von Gefährdern an natürliche Kapazitätsgrenzen. Es überzeugt von daher nicht, sich allein auf die Aufstockung des Personals verlassen zu wollen.

Gerade Personen, die nur geduldet sind, d.h., nur zeitweilig nicht abgeschoben werden können, dürfen indes nicht sämtliche Sicherheitsbehörden der des Bundes und der Länder in Trab halten können. Das war bei dem Tatverdächtigen von Berlin offensichtlich der Fall. Zu allem Übel konnte Amri auch noch unerkannt abtauchen. Wirkungsvolle Maßnahmen sind hier die deutliche Ansprache der Verdächtigen, gezielte Mobilitäts- und Kommunikationsbeschränkungen, strenge Meldeauflagen sowie der Einsatz der sog. "Fußfessel". Gerade bei gefährlichen Personen ist auch eine längere Abschiebehaft gerechtfertigt. Es besteht in diesen Fällen leider immer die Gefahr, dass Menschen zu Unrecht eingestuft werden. Angesichts der Tiefe der hier genannten Eingriffe bedarf es für Anordnung und Durchführung der Maßnahmen selbstverständlich eines rechtsstaatlich sauberen Verfahrens.

Alle innerstaatlichen Bemührungen nützen aber wenig, wenn Länder wie Tunesien die Zusammenarbeit unterlaufen. Hier ist der Druck auf die Regierungen der Länder zu verstärken, die ihre Staatsbürger nicht zurücknehmen wollen.

Auch die offenkundigen Mängel in der europäischen Zusammenarbeit müssen dringend behoben werden. Das gilt auch für die Kommunikation der Behörden in Deutschland untereinander. Diese muss verbessert und der Kompatibilität der verschieden Datenverarbeitungssysteme hergestellt werden. Hier liegen die eigentlichen Probleme. Gute Politik ist etwas anderes als Pargraphenbastelei.