Was ist der "Heilige Krieg"?

BERLIN. (hpd) Viele Menschen reagieren mit Empörung auf die Angriffe der islamistischen IS-Milizen im Irak und Syrien, die über Menschen herfallen, die in ihren Augen “Ungläubige” und “Feinde Allahs” sind. Die Taten der Anhänger dieses neuen Kalifats zur Ausbreitung des Islam werden hierzulande mit “Dschihad” übersetzt und als “Heiliger Krieg” von ihnen selbst begründet. Zeitgleich findet in den hiesigen Medien ein Kampf um die Köpfe statt, ob und wie der “säkular aufgeklärte Westen” gegen solch einen “religiösen Wahn” und überhaupt gegen den “reaktionären Islam” einschreiten soll. Aber hat das überhaupt noch mit Religion zu tun, was wir da sehen, fragen sich kritische Menschen, die erschüttert sind von Berichten über grauenhafte Handlungen der IS-Kämpfer? Ist der Islam wirklich grundsätzlich durch derartige “Heilige Kriege” mit solchen schrecklichen Taten vorprogrammiert? Findet man also doch im Christentum die bessere, friedlichere Religion oder betrieb auch sie von Anfang an solch “Heiligen Krieg”?

Schauen wir einmal genauer hin auf die Begriffe des Dschihad und des “Heiligen Krieges”. Unsere kleine Untersuchung ihrer Geschichte in beiden Religionen soll helfen, ein wenig mehr Klarheit über diese Fragen zu bekommen.

“Dschihad” - ein “Heiliger Krieg” des Islam?

Die Vokabel “Dschihad” findet sich im Lexikon als Verbform “dschahhaz” für “vorbereiten”, “ausstatten” und “ausrüsten”. In seiner der Substantivform kann sie daher z.B. sogar auch “die Aussteuer” bedeuten, steht aber ganz allgemein sinngemäß für “Anstrengung” und “Kampf”. Der Begriff des “Heiligen” ist darin überhaupt nicht enthalten. In den heutigen Leitmedien hat sich “Dschihad” mit der Übersetzung “Heiliger Krieg” bei uns eingebürgert. Das ist falsch. Der arabisch-islamische Begriff gibt diese Sinndeutung nicht her; er entspringt einer europäischen Begriffsdeutung. Untersuchen wir zunächst einmal, was “Dschihad” in seinem arabischen Kontext für den Islam und seine Geschichte bedeutet hat.

Mohammed (570–632), der Begründer des Islam, und seine Gefährten haben sich von Beginn an im religiösen wie im politischen Kampf mit ihren Gegnern auseinandersetzen müssen. Sein eigener Stamm der Koraischieten verjagte ihn aus Mekka. Nach Medina geflohen, suchte er sich unter befreundeten Stämmen und auch bei jüdischen Gruppen Anerkennung und Hilfe. In den normativen Quellen des Islam — dem Koran und der Hadith aus der frühislamischen Praxis — wird der “Dschihad” dabei zunächst ganz individuell für die Gläubigen als “das Bemühen auf dem Weg Gottes” interpretiert — heute von frommen islamischen Gläubigen als eine “vergessene Glaubenspflicht” wieder entdeckt — und gleichzeitig als Pflicht der Gefährten verstanden, sich durch militärischen Kampf seiner realen Gegner zu erwehren. Es ergeht an alle Glaubensgenossen der Auftrag, den “Dschihad” zu führen und sinngemäß werden dafür auch andere, ähnliche Worte und Begriffe verwendet. So in Sure 2, Vers 191: “Wenn sie euch töten, so tötet ihr sie”. Wenn die Gemeinschaft der Gläubigen für Gerechtigkeit auf Er­den zu sorgen hatte, dann waren konsequenterweise die Anführer der feindlichen Streitkräfte “Gefolgsleute des Teufels” und ein Kampf und Krieg zur Selbstverteidigung überlebensnotwendig.

Mohammed kehrt siegreich nach Mekka zurück und die Koraischieten übernehmen anstelle des arabischen Polytheismus den von Mohammed vertretenen alleinigen Gott Allah. Aber danach kehrt nun keineswegs Ruhe und Frieden ein, weder nach außen, noch nach innen. In diesem geschichtlichen Prozess wandelte sich im Laufe der Jahrhunderte der Begriff des Dschihad im Islam und der arabischen Welt erheblich. Nach der Eroberung der Stadt Mekka und dem dort errichteten religiösen Zentrum rund um den Kaaba-Stein ist es nun das erklärte Ziel Mohammeds, sämtliche arabischen Stämme im Islam zu vereinen und danach auch die christliche, jüdische und heidnische Welt für den islamischen Glauben in einem einigen Staatsgebilde zu gewinnen. Die dafür notwendigen Eroberungszüge werden als der neue Dschihad legitimiert.

Die den umliegenden, von Feudalismus und Unterdrückung geplagten Völkern verkündete neue Moral der Gemeinschaft und Gerechtigkeit, des Anstandes und der Harmonie, der Gleichheit und des Mitgefühls, sowie einer neuartigen Beteiligung an politischen Entscheidungen, finden bei den unteren Schichten bald große Zustimmung. Zumal ihre religiösen Organisationen - vor allem bei Juden und Christen als geachtete Schriftreligionen - nicht angegriffen, sondern geduldet werden. Vom Staat bzw. dem Kalifat des Islam werden sie lediglich zu Abgabenzahlungen verpflichtet. Den Herrschenden allerdings, wenn sie sich nicht freiwillig unterwerfen, wird der Kampf angesagt. Und so breitet sich im Laufe weniger Jahrzehnte die islamische Religion und Herrschaft blitzartig über die ganze östliche „Welt der Mitte“ bis an die Grenzen Chinas aus, erreicht den Norden Afrikas und den südlichen Teil der Westlichen Welt in Spanien, Frankreich und Italien. Dabei wird die militärische Eroberung - die “Einladung mit Hilfe des Schwertes” - strikt von der religiösen Bekehrung getrennt.

Mohammed im Kreise seiner Gefährten

Mohammed (den Regeln des Islam entsprechend ohne Gesicht dargestellt) im Kreise seiner Gefährten. Shiraz (Iran, Persien) 1577 (Orientabteilung, Staatsbibliothek zu Berlin)

Auch in der inneren Organisation und Struktur des Islam, vor allem bei der Errichtung eines einheitlichen Kalifats, bleibt der Auftrag zum Dschihad lebendig. Nach Mohammeds Tod im Jahr 632 übernehmen die nachfolgenden Kalifen dieses Prinzip der berechtigten Verteidigung fast “automatisch”, auch wenn der Kalif Omar im 7. Jahrhundert versöhnlerisch betont, dass “nach innen” Frieden herrschen und die anfänglichen Stammeskriege aufhören sollen. Islamische Rechtsgelehrten kommen nicht darum herum, jetzt auch solche Kämpfe als berechtigt anerkennen, in denen sich verschiedene Fraktionen des Islam blutig gegenüber stehen. Die Ausgangsfrage: “wer soll Mohammeds Nachfolger sein?” spaltete die islamische Welt der Gläubigen in zwei große Lager, die bis heute gültige Trennung zwischen Sunniten und Schiiten nimmt hier ihren Anfang. Sollte eher ein naher Verwandter Mohammeds oder lieber einer seiner ersten Anhänger dazu legitimiert sein? Nach arabischer Sitte wurden Erbrecht und Nachfolge der männlichen Verwandtschaft zugeteilt. Sollte nun jetzt lieber danach entschieden werden, wer ideologisch der treueste Gefährte Mohammeds gewesen war?

Einen Sohn hatte Mohammed nicht, so setzte sich bei den Sunniten zunächst sein Schwiegervater Abu Bakr, sein Cousin und Schwiegersohn und Otman und ein weiterer Verwandter Omar durch — alle waren sie aber auch treue Gefährten gewesen. Die Schiiten dagegen billigten nur die direkte Erblinie über Mohammeds Tochter Fatima hin zu den Enkeln Hassan und Hussein. Im blutig ausgetragenen Dschihad siegten zunächst die Sunniten. Im Laufe der Jahrhunderte wurden daraus ganz „gewöhnliche“ Kämpfe und Kriege von verschiedenen Dynastien wie die der Omajaden, Abbasiden, Fatimiden, Almohaden und von regionalen Herrschern in Damaskus, Bagdad, Kairo oder Granada. Der Begriff des Dschihad wurde dafür kaum noch verwendet. Nur in den vier verschiedenen Schulen der Rechtsgelehrten wurde darüber weiter heftig diskutiert.

Dschihad - ein Begriff wandelt sich

Als ab dem Jahre 1095 die europäischen Kreuzfahrer mordend und brennend in das damals wenig geeinte Reich der Muslime in Kleinasien und Palästina einfallen, kommt es zu einem Wiederaufleben des Dschihad-Gedanken. Saladin schaffte es - allerdings auch erst nach einem blutigen Massaker gegen die islamischen Fatimidenherrscher in Kairo - sein Volk gegen die Frandsch, die aus Franken, bzw. Frankreich stammenden Feinde in der Dynastie der Ajjubiden erfolgreich zu vereinen. Nach der bedeutenden Schlacht - dem Dschihad von Hattin (1187) - werden die “Ungläubigen” vernichtend geschlagen und sind ein Jahrhundert später fast gänzlich aus dem arabischen Reich vertrieben. Nur als christliche Pilger dürfen sie weiterhin nach Jerusalem kommen.