„Separate but equal“ - Ethik in Österreich

bucher__plenum_0.jpg

Plenum / Alle Fotos © Parlamentsdirektion / Bildagentur Zolles / Mike Ranz

WIEN. (hpd) Die Diskussion um den Ethikunterricht in Österreich bringt zwei Dinge zu Tage: Den Einfluss der Religionsgemeinschaften auf die öffentliche Meinung. Und strukturelle Denkfehler zahlreicher Politiker und so genannter Experten.

Wenn ein Projekt auf einen Paul Zulehner angewiesen ist, kann es um die Argumente nicht allzugut bestellt sein. Dann legt der Promi-Theologe sein Soziologenmäntelchen an und versucht einen religionsfreundlichen Standpunkt mit seinen eigenen Studien zu untermauern. Mehr oder weniger willkürlich erhobene bis nichts sagende Zahlen werden willkürlich uminterpretiert, wenn es sein muss bis zum Gegenteil dessen, was sie bei distanzierter Betrachtung aussagen. Ein paar Platituden und Zirkelschlüsse weiter kommt man irgendwie zu dem, was das gewünschte Ergebnis sein soll. Auch ein Theologe kann keine Wunder wirken. Nur hoffen, dass das Publikum nichts gemerkt haben wird. Hilfreich ist, dass er sich gelegentlich mal sein anderes Mäntelchen umhängt. Das des „Kritikers“ oder „Liberalen“ – wobei das selbstredend nur religionsintern zu verstehen ist. Für die Öffentlichkeit reicht es im Allgemeinen. Die hält Theologie immer noch für Wissenschaft.

Ein klassisches Beispiel der Zulehner-Show konnte der geneigte Beobachter bei der parlamentarischen Enquete zum Ethikunterricht verfolgen. Der konfessionelle Religionsunterricht ist wichtig, postulierte Zulehner. Was er damit zu beweisen suchte, dass viele Österreicher ihn für wichtig halten. Aus Daten, dass Jugendliche immer autoritärer werden (zumindest ihm zufolge) leitet er ab – dass der Religionsunterricht ein unverzichtbarer Beitrag zur Pluralismus und Demokratie sei. Und dass er für die, die ihn nicht besuchen, durch einen Ethikunterricht ersetzt werden soll. Sonst, so die unterschwellige Drohung, würden Rassismus und Autoritarismus weiter wachsen. Dem geneigten Beobachter drängt sich eine andere Entwicklung auf. Knapp 90 Prozent der Jugendlichen in Österreich besuchen einen konfessionellen Religionsunterricht. Und werden immer rassistischer und autoritärer. Sonderlich effektiv scheint die Demokratieerziehung mittels konfessionellen Religionsunterrichts nicht zu sein. Da fallen die konfessionsfreien Kinder nicht mehr ins Gewicht.

Aufgefallen ist das niemandem. Das war auch strukturell gewollt. Das mitunter noch eher ständisch ausgeprägte Demokratiebewusstsein in Österreich hat dafür gesorgt, dass Religionsvertreter und ihre Befürworter überrepräsentiert waren. Man muss sich nur die Einladungsliste ansehen – die mutet an wie eine komplizierte Form der französischen Generalstände vor der Abstimmungsreform. Wenn die wenigen großen (tendenziell eher progressive) Organisationen und viele kleine (tendenziell eher konservative) je gleich viele Vertreter hinschicken, wer wird sich am häufigsten zu Wort melden? Die Stärke der Konservativen, überall mit kleinen Organisationen vertreten zu sein, wird hier zur erdrückenden Übermacht. Dass da schnell der Eindruck entstehen kann, die Mehrheit der Gesellschaft stünde hinter dem Konzept, ist klar. In den Medien wird das dadurch verstärkt, dass sich die Befürworter ständig mit jeder noch so kleinen Nebenorganisation zu Wort melden. Wie bedeutend ist etwa der katholische Laienrat, auf dessen Homepage beim Punkt Vorstand zuallererst der zuständige Bischof samt Bild genannt wird?

Über Sinn oder Unsinn einer Behauptung wird dann kaum mehr debattiert. Auch bei der Enquete nicht. Die offiziellen und inoffiziellen Religionsvertreter behaupten, Religionsunterricht sei wichtig und müsse ersetzt werden, wenn er nicht besucht wird. Punktum. Bei so vielen Wortmeldungen kommt man kaum dazu, das hinterfragen. Und die österreichischen Politiker berauschen sich parteienübergreifend seit Jahr und Tag ohnehin an der Illusion, Staat und Kirche müssten zum Wohl der Gesellschaft kooperieren. Das sei der österreichische Sonderweg, der viele Konflikte erspare. Beim gemeinen Österreicher mit seiner Abneigung gegen offene Konflikte kommt so was gut an. Auch unsere Soldaten, heißt es, seien bei internationalen Einsätzen besonders gute Verhandler. Überprüft hat diese Behauptung bis jetzt niemand. Die UN wird nicht widersprechen. Österreichs Bundesheer stellt verlässlich Kontingente für Friedensmissionen. So jemanden will man nicht verprellen, indem man Lebenslügen entlarvt.

Segregation nach formalen Religionszugehörigkeiten fördert keine Toleranz

Da hält sich auch die Mär, ein konfessioneller Religionsunterricht trage zu Pluralität und Demokratie bei. Man erzieht dieser Logik zufolge Kinder zu demokratiefähigen und toleranten Menschen, indem man ihnen vom ersten Schultag an erklärt und vor Augen führt, dass sie sich in einem wichtigen Merkmal unterscheiden. „Der darf nicht hierbleiben. Der ist evangelisch und hat einen anderen Religionsunterricht. Die glauben an etwas anderes.“ Abgesehen davon, dass Schulkinder eher kein eigenständiges religiöses Bewusstsein entwickelt haben werden, bevor man es ihnen sagt – diese offene Segregation nach (vermeintlicher) Religionszugehörigkeit soll Toleranz fördern? Man kapselt sich grüppchenweise ab, wird zum Katholiken, Protestanten, Muslim etc. ausgebildet – und das soll einen Menschen toleranter machen?

In Religionsfragen herrscht in Österreich offen die Doktrin „separate but equal“. Dass „separate“ nie „equal“ sein kann, hat sich hierzulande noch nicht herumgesprochen. Gesellschaftlich konstruierte Unterschiede hervorzustreichen und Menschen danach unterschiedlich zu behandeln ist das Gegenteil von Gleichheit. Man müsste nur wenige Begriffe in der Religionspropaganda austauschen und man könnte mit ihr jede Art von Trennung rechtfertigen: Das Ende der koedukativen Schulen und die Rassentrennung. „Liberalere“ Befürworter der Segregation in den Südstaaten und der Apartheid in Südafrika haben kaum wesentlich anders argumentiert. Ein Kernsatz des Urteils „Plessy v. Ferguson“ des US-Supreme Court aus dem Jahr 1896 lautet paraphrasiert: Es ist legitim, wenn man das Aufeinandertreffen von Angehörigen verschiedener „Rassen“ verbietet, wenn das Aufeinandertreffen zum gegenseitigen Nachteil sein kann. Aus diesem Urteil stammt auch die Doktrin „separate but equal“. (Es dauerte bis 1954, bis die Höchstrichter erkannten, dass „separate“ und „equal“ einander ausschließende Begriffe sind. Im Urteil „Brown v. Board of Education“ hoben sie die Rassentrennung auf.) In Österreich (und Deutschland) herrscht bis heute die Erkenntnis, dass es vorteilhaft ist, das Aufeinandertreffen von Kindern verschiedener Religionszugehörigkeit zu verbieten, wenn das Aufeinandertreffen zum gegenseitigen Nachteil (aus klerikaler Sicht) sein kann.

Man muss, anders als der Autor dieser Zeilen, nicht einmal ein Befürworter eines laizistischen Staatsmodells sein, um zu erkennen, dass das nicht funktionieren kann. Man macht aus Menschen keine Demokraten, wenn man sie nach sozial konstruierten Unterschieden trennt. Man sorgt dafür, dass diese vermeintlichen Unterschiede den Kindern erst bewusst werden. Und sie einen Teil ihrer Identität danach ausrichten. Das mag im Interesse von Religionsgemeinschaften liegen. Im Interesse einer pluralistischen Demokratie ist es nicht. Der US-Supreme Court hat das erkannt. Österreichs politische Klasse noch nicht.

Christoph Baumgarten