Jihadisten aus Deutschland

(hpd) Der Journalist Wolf Schmidt präsentiert Fallstudien zu in Deutschland aufgewachsenen Muslimen oder zum Islam konvertierten Deutschen, die den Weg in Richtung Gewalt im Namen Gottes gefunden haben. Die Fallstudien machen ohne Dramatisierung auf das besondere Gefahrenpotential einer islamistischen Jugendszene aufmerksam.

Bei den Attentätern vom 11. September 2001, die eine gewisse Zeit in Hamburg lebten, handelte es sich um Gaststudenten. Sie waren nicht in Deutschland aufgewachsen, sondern nur für ein Studium eingereist. Betrachtet man den Lebenslauf späterer islamistischer Terroristen, die in Deutschland einen Anschlag planten, so handelte es sich nicht selten um einheimische Aktivisten. Entweder entstammten sie der hiesigen islamischen Community oder sie waren zuvor zum Islam konvertiert. Für diese Form des islamistischen Terrorismus hat sich die Formulierung „home grown“ eingebürgert. Es handelt sich jeweils um Personen, die in Deutschland aufgewachsen sind und sich ebendort in Richtung einer politisch motivierten Gewaltneigung entwickelten. Diesem Personenkreis und ihrem Umfeld widmet sich der Journalist Wolf Schmidt, Redakteur für Innere Sicherheit bei der taz, in seinem Buch „Jung, deutsch, Taliban“. Es will, in den Worten des Autors, eine „Skizze dieser neuen Generation von Jihadisten aus Deutschland zeichnen“ (S. 22).

Dazu liefert Schmidt eine Reihe von Berichten über einzelne Personen, die eben aus diesem religiösen und sozialen Milieu stammen und den Weg zur Gewalt im Namen Gottes gewählt haben. Bereits im ersten Kapitel geht es um Eric Breininger, der aus einer kleine Stadt stammte, zum Islam konvertierte, einen schnellen Radikalisierungsprozess durchmachte und bei Kämpfen in Waziristan den Tod fand. Schmidt zeichnet seinen Entwicklungsweg nach und betont dabei den Missbrauch von dessen Person zu politischen Zwecken. Hier wie in den anderen Fällen geht es dem Autor aber nicht um die moralische Verdammung einschlägiger Personen, die mitunter als die Verkörperung des puren Bösen gesehen werden. Demgegenüber bemerkt er: „Damit ist von vornherein die Möglichkeit eines Verstehens vertan. Dabei wäre mehr analytische Nüchternheit angebracht“ (S. 13). Diesem Ansatz folgt Schmidt, sieht er darin doch die einzige Möglichkeit, die Entwicklung früherer Nachbarskinder zu späteren Terroristen beschreiben und deuten zu können.

Genau dies unternimmt der Autor in den folgenden Kapiteln seines Buches, wobei es um bekannte und weniger bekannte Fälle einschlägiger Aktivisten geht. Am Beispiel der „Hamburger Reisegruppe“, bestehend aus mehreren Personen, die nach Waziristan ausreisen wollten, macht er deutlich, „dass es inzwischen überhaupt kein festes Profil mehr gibt. Die Bewegung ist längst multiethnisch geworden. Schichtübergreifend. Global“ (S. 64). Auch andere Fallbeispiele wie das Ex-Al-Qaida-Mitglied Rami Makanesi oder der Flughafen-Attentäter Arid Uka machen deutlich, dass es kaum noch soziale Gemeinsamkeiten der Djihadisten gibt: Zu ihnen gehören formal geringer und höher gebildete, sozial integrierte und isolierte, länger Arbeitslose und kontinuierlich Berufstätige. Überwiegend handelt es sich um Männer, aber mittlerweile neigen auch Frauen stärker zum bewaffneten Kampf im Namen Gottes. All dies veranschaulichen die Fallbeispiele in den unterschiedlichen Kapiteln des Buches, die auch das Internet und die Musik als Propagandaformen thematisieren.

Es handelt sich um eine journalistische Arbeit, d.h. man darf hier weder eine inhaltliche Struktur noch eine problemorientierte Stringenz im Sinne einer wissenschaftlichen Publikation erwarten. Schmidt reiht Berichte über einzelne Personen und Vorfälle aneinander, ergänzt um eigene Reflexionen und Einschätzung von Experten aus den Sicherheitsbehörden und der Wissenschaft. Dadurch zeichnet er ein beachtenswertes und informatives Bild von der Entwicklung in einem religiösen und sozialen Milieu, das der Öffentlichkeit durch eine bewusste Selbstisolation verborgen bleibt.

Der Autor reißt mehr Fragen an als er beantwortet. Dies hängt aber auch schlicht mit dem Fehlen einschlägiger Forschung und der Komplexität des Gegenstandes zusammen. Er macht ohne Dramatisierung und Pauschalisierung auf die besondere Dimension des Gefahrenpotentials aufmerksam. Dies gilt etwa für die Aussagen zur Selbstradikalisierung „vor allem zu Hause über das Internet“ (S. 155). Inhaltlich falsch oder zumindest schief ist im Titel des Buches der Hinweis auf die „Taliban“.

Armin Pfahl-Traughber

 

Wolf Schmidt, Jung, deutsch, Taliban, Berlin 2012 (Ch. Links-Verlag), ISBN-13: 978-3861536635, 207 S., 16,90 €