„Wir mussten fast bei null beginnen“

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Manfred Isemeyer / Alle Fotos © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Dreißig Jahre in der Verantwortung, einen säkularen Verband zu führen. Einblicke in die Geschichte des HVD Berlin-Brandenburg, überwundene Schwierigkeiten, historische und neuere Ereignisse aber auch Humor und Nachsinnen… Ein Gespräch mit Manfred Isemeyer.

Hpd: Der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg ist der größte regionale Verband innerhalb der säkularen Organisationen und du bist der dienstälteste Geschäftsführer bzw. Vorstandsvorsitzende. Da fragt man sich doch: Hat das irgendetwas miteinander zu tun? (Lachen) Das soll ja nun nicht heißen, du alleine hast den Verband aufgebaut…

Manfred Isemeyer: Da muss man schon etwas in die Geschichte zurückgehen. Als ich hier anfing, 1983, war die Situation des Verbandes so, dass er sich aus der Arbeiterkultur und der sozialdemokratischen Orientierung, die es zumindest für die West-Berliner Freidenker damals gab, verabschiedet hatte.

Der Verband hatte bis auf die Jugendfeier, die damals noch Jugendweihe hieß, eine insgesamt ungünstige Prognose. Die Mitgliederzahl stagnierte. Was es gab, war ein wenig finanzielle Förderung durch das Land Berlin, mit der man die Verbandsarbeit aufrechterhalten konnte. Wer allerdings ernsthaft den Anspruch anmeldet, die Interessen von Konfessionslosen vertreten zu wollen, der benötigte neben der Weltanschauung konkrete Handlungsfelder.

Ich will nun nicht behaupten, dass ich ein Glücksfall für den Verband gewesen bin, denn es waren Mitte der Achtziger Jahre in den Verband junge Leute eingetreten, die im Kopf hatten, dass es so nicht weitergehen kann. Das waren Menschen, die aus der Friedens-, Öko- und Frauenbewegung zum Verband gestoßen waren. Das waren sozusagen Ein-Punkt-Unternehmungen, die sich politisch um eine Fragestellung gekümmert haben. Wenn sich dann die Frage nach dem Sinn des Lebens, nach der Zukunft von Natur, Mensch und Gesellschaft stellte, kommt man an den Punkt, an dem man sagt: „Friedensbewegung ist wichtig und gut…, Ökologie, da müssen wir weiter drum kämpfen…, die Emanzipation der Frauen haben wir noch nicht erreicht…, aber es gibt darüber hinaus ganzheitliche Sinnfragen, die können wir in diesen Bewegungen nicht bearbeiten.“ Mit meiner Einstellung als Geschäftsführer war dann die Erwartung verknüpft, dass jetzt auch neue Ideen und kreative Konzepte entwickelt werden. Mein Verdienst an dieser Stelle war, dass ich Personal gefunden habe, das für das, was neu angedacht wurde, brannte.

Die große Schwäche des Freidenkertums lag in der Nichtformulierung einer humanistischen Alternative, die auch Dienstleistungsangebote beinhaltete, begründet. Warum sollten religiös ungebundene Menschen in schwierigen persönlichen Situationen nicht Trost und Begleitung durch qualifizierte, humanistisch ausgebildete Fachleute erhalten? Warum sollte es nicht selbstverständlich sein, dass sich in Kitas, Jugendeinrichtungen, Krankenhäusern, Seniorenheimen und in der Bundeswehr humanistische Berater engagieren? Ein nahtloses Angebot für Konfessionsfreie – das sollte keine Utopie mehr sein. Diese Überlegungen entstanden in der Zeit 1983 bis 1989.

Das erinnert mich etwas an die Freidenker in Österreich, wie die heute noch vorrangig in der Volkshochschule Erwachsenenbildung betreiben. Darüber hinaus können sie auch kaum etwas bewegen. Das war hier in Berlin vor jetzt immerhin dreißig Jahren.

Ja.

 

Wow! Meinen Respekt. Hast du eigentlich eine niedrige Mitgliedsnummer?

 

Nein, ich habe nicht die Mitgliedsnummer 1, denn vor mir gab es ja auch schon viele Verbandsmitglieder. Nein, es war so, dass diese Anstellung, die mir damals angeboten wurde, für mich persönlich gar keine leichte Entscheidung war. Ich wusste damals ja auch nicht, ob das vielleicht ein Pferd ist, das man demnächst zum Schlachthof führen muss, wo ich jetzt sozusagen in den Sattel steige. Von Hause aus bin ich Sozialpädagoge und Politologe und hatte ein attraktives Angebot vom Justizsenator, im Jugendstrafvollzug konzeptionell als Referent zu arbeiten. Ich habe mich damals aber aus zwei Gründen dafür entschieden Geschäftsführer des Freidenker-Verbandes zu werden. Auf der einen Seite sah ich das inhaltlich als weltanschauliche und politische Herausforderung. Im Studium am Otto-Suhr-Institut waren marxistische Theorie und Geschichte der Arbeiterbewegung Standardthemen und da gab es eine gewisse Affinität zum Freidenker-Verband. Andererseits hätte ich eine Karriere in der Berliner Senatsverwaltung perspektivisch als persönliche Einengung empfunden. Das Gestalten können bei einem Verband erschien mir reizvoller.

Im Nachhinein war es eine richtige Entscheidung. Diese Jahre beim Verband haben mich in vielen Arbeitsbeziehungen persönlich sehr weit gebracht. Und wenn ich zurückblicke, dann bin ich mit meinen beruflichen Lebenszielen sehr nahe gekommen. Ob der Verband mit mir zufrieden ist, das müssen andere beurteilen. (Lachen)

Aber du sprichst immer noch vom Freidenkerverband? Für die, die es nicht wissen: Es gab die Trennung zwischen den West-Berliner Freidenkern und dem westdeutschen Freidenker-Verband mit Sitz in Offenbach, die sich auch politisch auseinander entwickelt haben. Ich glaube, der Berliner Verband ist dann aus dem Freidenker-Verband ausgetreten oder wie war die Entwicklung?

Die Entwicklung hatte bereits viel früher eingesetzt, gleich nach 1945. Da sind die emigrierten alten Freidenkerfunktionäre aus der Zeit vor 1933 zum Teil in die Hauptstadt, die keine Hauptstadt mehr war, also nach Berlin zurückgekehrt und haben die Arbeit 1947 wieder aufgenommen. Mit der Gründung der Bundesrepublik und der DDR standen sich dann zwei verschiedenen Machtblöcken angehörenden Staaten gegenüber. An einem Miteinander von Sozialdemokraten und Kommunisten für ein gemeinsames Freidenkertum war unter diesen Bedingungen nicht mehr zu denken. 1958 trennte sich der Berliner Verband dann endgültig vom Deutschen Freidenker-Verband, der 1951 gegründet worden war. Neben persönlichen und technisch-organisatorischen Gründen spielten insbesondere politische Unterschiede eine Rolle. Während sich die Berliner Freidenker um eine kritische Auseinandersetzung mit marxistischen Positionen bemühten und eine eindeutige antikommunistische Linie in enger Anbindung an die SPD einforderten, hielt der Deutsche Freidenker-Verband an seinem Konzept einer sozialistischen Weltanschauung mit DKP-Orientierung fest.

Als ich dazu kam, haben wir darauf gesetzt, dass eine Annäherung möglich ist. Bei Treffen der Weltunion der Freidenker haben wir mit Funktionären des Deutschen Freidenker-Verbandes geredet und versucht, Brücken zu bauen. Schlussendlich hat dies nicht funktioniert. Eine entscheidende Wende im Verhältnis der Freidenker untereinander hatte es bereits 1979 gegeben: Eine große Gruppe von Mitgliedern des Freidenker-Verbandes NRW warf deren Bundesvorstand vor, Diskussionen über die Ausbürgerung von Wolf Biermann und über die DDR zu boykottieren. Nachdem es zu Ausschlussverfahren gegen „oppositionelle“ Freidenker kam und zudem bekannt wurde, dass Verbandsfunktionäre sich Direktiven aus Ost-Berlin abholten, gründeten 800 Freidenker aus 12 Ortsgruppen einen eigenen Landesverband. Dieser schloss sich später dem Berliner Verband an. Damit war gewissermaßen auch die Isolierung der West-Berliner Freidenker beendet.

Ist dann diese Abspaltung der Freidenker in NRW der spätere Humanistische Verband in Nordhein-Westfalen geworden?

Richtig. Es gab dort die Freireligiösen als Landesverband. Die haben sich mit den Freidenkern zusammengetan und daraus ist dann der Humanistische Verband Nordrhein-Westfalen geworden.