EuGH kippt Vorratsdatenspeicherung

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Gerichtssaal im Europäischen Gerichtshof
Gerichtssaal im Europäischen Gerichtshof, Foto: "Stefan64" (CC-BY-SA-3.0)

LUXEMBURG. (hpd) Zur großen Erleichterung all derer, die für Menschenrechte und Datenschutz einstehen, stellte der Europäische Gerichtshof gestern fest, dass die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung rechtswidrig ist. Der Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff (FDP) nannte das Urteil einen “Gewinn für die Privatsphäre, den Rechtsstaat und die Liberalität unserer Gesellschaft”.

Die Eingriffe in die Grundrechte der EU-Bürger sei unverhältnismässig, stellten die Richter fest. Eine anlasslose Speicherung der Verbindungsdaten über einen Zeitraum von zwischen 6 und 24 Monaten würde die Bürger unter einen Generalverdacht stellen, der dem (bislang kaum nachgewiesenen) Erfolg bei der Ermittlung von schweren Verbrechen in keiner Weise angemessen sei.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erkennt zwar an, dass für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit die in der Europäischen Charta der Grundrechte garantierten Rechte auf Schutz personenbezogener Daten und auf Privatsphäre eingeschränkt werden können, aber nur dann, wenn ein Verdacht vorliegt. Das Gericht hält die Richtlinie vor allem deshalb für unverhältnismässig, da die Eingriffe in die Grundrechte nicht “auf das absolut Notwendige” beschränkt wurden.

Insbesondere die Tatsache, dass sämtliche Personen und alle elektronischen Kommunikationsmittel erfasst wurden, ohne dass eine Differenzierung mit Blick auf die Bekämpfung schwerer Straftaten vorgenommen wurde, wurde von den Richtern scharf kritisiert.

Zudem könne auf die Verbindungsdaten ohne richterliche Kontrolle durch Strafverfolgungsbehörden zugegriffen werden. Schon allein dieser Tatbestand dürfte genügen, um die Richtlinie für rechtswidrig anzusehen.

In der Urteilsbegründung heißt es: “Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass den auf Vorrat zu speichernden Daten insbesondere zu entnehmen ist, 1. mit welcher Person ein Teilnehmer oder registrierter Benutzer auf welchem Weg kommuniziert hat, 2. wie lange die Kommunikation gedauert hat und von welchem Ort aus sie stattfand und 3. wie häufig der Teilnehmer oder registrierte Benutzer während eines bestimmten Zeitraums mit bestimmten Personen kommuniziert hat. Aus der Gesamtheit dieser Daten können sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert werden, gezogen werden, etwa auf Gewohnheiten des täglichen Lebens, ständige oder vorübergehende Aufenthaltsorte, tägliche oder in anderem Rhythmus erfolgende Ortsveränderungen, ausgeübte Tätigkeiten, soziale Beziehungen und das soziale Umfeld.”

Und so kommt der EuGH zu dem Schluss: “Der Gerichtshof sieht in der Verpflichtung zur Vorratsspeicherung dieser Daten und der Gestattung des Zugangs der zuständigen nationalen Behörden zu ihnen einen besonders schwerwiegenden Eingriff der Richtlinie in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten.”

Die Grünen und die Liberalen im Europaparlament begrüßte das Urteil einhellig. Der Datenschutzexperte der Grünen, Jan Philipp Albrecht, erklärte die Entscheidung zu einem “Befreiungsschlag für die Bürgerrechte”. Alexander Graf Lambsdorff, der Vorsitzende der FDP im Europaparlament, warnte davor, dass “sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung […] sich nun davor hüten [sollen], ein neues Überwachungsmonster nach dem amerikanischen Vorbild der NSA zu kreieren.”

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD ist die Vorratsdatenspeicherung vorgesehen. Einen ersten Versuch im Jahr 2007, diese einzuführen, wurde vom Bundesverfassungsgericht gestoppt und für verfassungswidrig erklärt.

Auch deshalb sieht Bundesjustizminister Maas nun keinen Grund mehr für einen neuen Anlauf zu einem deutschen Gesetzentwurf: “Damit ist eine neue Situation eingetreten” und die deutsche Regierung sei nicht mehr unter Zeitdruck, ein (neues) Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zu erlassen.

Das sieht der Bundesinnenminister Thomas de Maizière jedoch anders. Er drängt weiterhin “auf eine rasche, kluge, verfassungsmäßige und mehrheitsfähige Neuregelung.” De Maizière nimmt das EuGH-Urteil offensichtlich nicht als das wahr, was es ist: eine Ohrfeige für “Sicherheitsexperten” wie ihn. Und so beharrt er weiterhin darauf, dass eine Vorratsdatenspeicherung “zum Zwecke der Aufklärung schwerer Straftaten” geboten sei.

Auch der CDU-Mann Wolfgang Bosbach hat das Urteil gründlich missverstanden. Für ihn stellt sich tatsächlich die Frage, “zur Abwehr welcher Taten diese Daten denn angezapft werden dürften”.

Solche und ähnliche Äußerungen dämpfen bei Datenschützern die Begeisterung über das gestrige Urteil. Denn es ist leider völlig klar, dass die Befürworter der Grundrechtseinschränkungen nach einem Ausweg suchen und es erneut versuchen werden. Auch “unsere amerikanischen Freunde werden das Urteil des EuGH keinesfalls goutieren”, wie Vera Bunse schreibt.