Grundrechte für Menschenaffen

Kant gegen Bentham

gorilla_dame.jpg

SPIEGEL/CH. (hpd) In Deutschland ist eine heisse Kontroverse um Grundrechte von Menschenaffen entbrannt. Dabei stehen sich mindestens zwei philosophische Schulen gegenüber. Über die philosophisch-historischen Hintergründe informiert Kurt Marti in diesem Artikel.

“Grundrechte für Menschenaffen” lautet der Titel einer Petition, welche im letzten April die Giordano-Bruno-Stiftung GBS und deren Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon sowie mehrere Tierrechtsverbände beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags eingereicht haben. Darin fordern sie, dass das Recht der großen Menschenaffen auf “persönliche Freiheit, auf Leben und körperliche Unversehrtheit” ins Grundgesetz aufgenommen wird, und zwar mit der Begründung: Die wissenschaftliche Forschung habe in den letzten Jahrzehnten eine “hohe genetische Übereinstimmungen von Großen Menschenaffen (Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang-Utans) und Menschen belegt”.

Die Menschenaffen seien “ähnlich empfindungs- und leidensfähig wie der Mensch”, besässen “Selbstbewusstsein” und seien “zu vorausschauendem Denken und intelligentem sowie altruistischem Handeln befähigt”. Deshalb müssten sie einen Rechtsstatus erhalten, der der “Menschenwürde” nahe komme und folglich brauche es eine Grundgesetzänderung, die dem “Entwicklungs- und Personenstatus” der Menschenaffen gerecht werde.

Menschenaffen vegetieren in Zoos dahin

Anlässlich einer Pressekonferenz von Mitte Mai unterstrich die GBS ihre Forderung und prangerte das “schreiende Unrecht” in 38 Zoos in Deutschland an. Dort würden rund 400 große Menschenaffen “in Gefangenschaft gehalten” und fristeten “ihr Dasein unter unwürdigen Umständen, gänzlich ihres Lebens, ihrer Freiheit und Selbstbestimmung beraubt”. Der Psychologe Colin Goldner hat alle deutschen Zoos besucht und über seine Beobachtungen das kürzlich erschienene Buch “Lebenslänglich hinter Gittern” veröffentlicht.

Nach dem Erhalt der Petition kam dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags nichts Besseres in den Sinn, die Publikation der Petition kurzerhand zu verweigern, indem er festhielt, die Grundrechte seien allein den “natürlichen Personen vorbehalten”. Trotz der “hohen genetischen Übereinstimmung von großen Menschenaffen und Menschen” handle es sich bei “diesen Affen um Tiere”. Mit dieser saloppen Antwort lief der Petitionsausschuss dem GBS-Vorstandsprecher Schmidt-Salomon ziemlich naiv ins Messer. Dieser scherzte, er wäre ja “im Leben nicht darauf gekommen, dass es sich bei diesen Affen um Tiere handelt!”

“Menschenaffen mit allen Eigenschaften natürlicher Personen”

Und er machte die Mitglieder des Petitionsausschusses sarkastisch auf eine Reihe “trivialer Tatsachen” aufmerksam, die “hochrangige Vertreter des Staates eigentlich wissen sollten”, etwa dass “Menschen ebenfalls Tiere” seien und “Menschenaffen alle Eigenschaften natürlicher Personen” aufwiesen. Sie würden wie die Menschen “über ein Bewusstsein ihrer selbst verfügen”, könnten sich “in die Lage anderer hineinversetzen und die Zukunft antizipieren”. Wer aber natürlichen Personen ihre Rechte vorenthalte, einzig weil sie nicht unserer Art angehören, mache sich des “Speziesismus” schuldig, vergleichbar dem Rassismus und dem Sexismus.

Die Giordano-Bruno-Stiftung ist nicht irgendein esoterisches Grüppchen, sondern hat wissenschaftliches und politisches Gewicht. Im GBS-Beirat sitzen namhafte Wissenschaftler, beispielsweise der Wissenschaftstheoretiker Hans Albert, der Philosoph Dieter Birnbacher, Vorsitzender der Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, der Anthropologe Volker Sommer, der Soziobiologe Eckart Voland, der Physiker und Philosoph Gerhard Vollmer und der Evolutionstheoretiker Franz Wuketits. GBS-Vorsitzender und gleichzeitig Hauptsponsor ist der ehemalige Unternehmer Herbert Steffen, der einst vom Paulus zum Saulus mutierte: Zuerst fundamentalistischer Christ, dann feuriger Atheist. Erklärtes Ziel der GBS ist die Aufklärung und die Religionskritik. Der Kampf um Tierrechte ist Teil dieser Strategie.

Kampf der Giganten: Bentham gegen Kant

Jeremy Bentham
Jeremy Bentham

Die aktuelle Tierrechts-Debatte ist Ausdruck einer 200-jährigen Konkurrenz zweier philosophisch-ethischer Systeme, einerseits der Empfindungsethik, andererseits der Vernunftethik. Erstere ist mit dem Namen des englischen Philosophen Jeremy Bentham (1748 - 1832) verbunden, letztere mit dem preussischen Philosophen Immanuel Kant (1724 - 1804). Es ist der Widerstreit zwischen angelsächsischer und kontinentaleuropäischer Philosophie, zwischen Utilitarismus und Vernunftphilosophie. Die beiden zentralen Werke der beiden Vordenker erschienen fast zur selben Zeit: Kants “Kritik der praktischen Vernunft” im Jahr 1788, Benthams “Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und Gesetzgebung” im Jahr 1789.

Für Bentham ist die entscheidende Frage, ob Tiere moralisch berücksichtigt werden müssen, nicht das Vorhandensein von Vernunft, sondern von Empfindung: “Die Frage ist nicht: können sie denken?, sondern: können sie leiden?” Damit untergrub Bentham die gottgefügte, absolute Sonderstellung des Menschen. Erst Jahrzehnte später unterstützte ihn Charles Darwin mit dem explosiven Zündstoff seiner beiden Hauptwerke “Über die Entstehung der Arten” (1859) und “Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl” (1871). Darin stellte Darwin den Menschen als physiologisch und moralisch als Weiterentwicklung der Tiere dar. Zum Entsetzen der Vernunftphilosophen und der katholischen Kirche.