Erwachsenwerden in Sachsen

DRESDEN. Auch in Sachsens Hauptstadt wird kräftig gefeiert, zurzeit natürlich, wie jedes Jahr im Frühling, nicht nur Dixieland, sondern unter anderem auch Jugendweihe.

Eine Besonderheit gibt es hier. Es sind zwei Vereine, die sich um den Schritt der Jugendlichen ins Erwachsenenleben kümmern. Nachdem der Jugendweiheverband nach der Wende die alte, 150jährige, proletarische Tradition in neuem Gewand fortsetzte und nun schon auf 17 Jahre neue Jugendarbeit zurückblicken kann, kam 1993 der Verein „Roter Baum“ hinzu. Beide Vereine bemühen sich, den Jugendlichen eine Vielzahl von interessanten Projekten, Kursen und Veranstaltungen im Vorfeld der Jugendweihe anzubieten. Diese erstrecken sich über vielfältige Themen z.B. Umgang mit Andersdenkenden, Spuren der Geschichte, Besuch von städtischen Einrichtungen und Betrieben, Wanderungen und Fahrradtouren, Musik, Tanz und Sport, Einblicke in Forschung und Wissenschaft, sowie auch das Nachdenken und Diskutieren über eigene Lebensvorstellungen und -pläne. Unter anderem gab es ein Diskussionsangebot mit Michael Schmidt-Salomon „Glaubst du noch oder denkst du schon?“) u.a.m. Natürlich gibt’s auch besondere Reiseangebote, vielleicht das erste Mal ohne Eltern oder Lehrer z.B. in Feriencamps oder gar über die Landesgrenzen hinaus. Auf jeden Fall darf die obligatorische Fahrt in die Gedenkstätte nach Buchenwald nicht fehlen.

Vom 14. April bis 26. Mai richtet der Jugendweiheverband jeweils samstags insgesamt 16 Feiern für etwa 1.100 Jugendliche und deren Eltern und Verwandte aus. Die Feierstunden finden in diesem Jahr in der „Komödie“ im Dresdner World Trade Center statt. Das Eineinhalbstündige, sehr abwechslungsreiche, bunte Programm wird von Dresdner Künstlern gestaltet. Die Moderatoren, Ernst Dollwetzel und Kathrin Wallner einerseits und Romy Hildebrand, Michael Seebold andererseits führen in lockerer Art und Weise durchs Programm und geben den Jugendlichen eine ganze Menge Lebensweisheiten mit auf den Weg. Dazwischen Musik und feuriger Tanz mit Künstlern der Dresdner Oper und einer Breakdancegruppe. Insgesamt ein sehr ansprechendes und interessantes Programm, das für alle Jugendlichen, Kinder, Muttis und Vatis, Omas und Opas, Onkel und Tanten, Nichten und Neffen was zu bieten hat. Die Gratulation erfolgt in drei Gruppen im Programm verteilt. Cool oder verlegen, Selbstbewusst oder doch noch unsicher, vielleicht das erste Mal in großer Garderobe, im Rampenlicht auf der Bühne stehend, bekommen die Jugendweihlinge die Urkunde, den „Großen Jugendweihe-Almanach“, sowie ein Blümchen und nicht zu vergessen: Es werden dabei die „berühmten“ Fotos „geschossen“. In ansprechender Mappe kann dann jeweils ein Gruppen- und ein Einzelbild erworben werden. Für die Schüler der Körperbehindertenschule und der Förderschulen Dresdens wird eine extra Jugendweihe in kleinerem Kreis angeboten. Die Räumlichkeiten des Kabaretts „Breschke und Schuch“ bieten dabei vor allem für Rollstuhlfahrer exzellente Bedingungen.

Der „Rote Baum e.V.“, als zweiter Anbieter und ausschließlich ehrenamtlich geführter Verein, steht dem kaum nach. Auch sie richten 16 Veranstaltungen für ca. 450 Jugendliche aus.
Vom 5. Mai bis 10. Juni sind die Samstag- und Sonntagvormittage (außer Pfingsten) im Kabaretttheater „Herkuleskeule“ für die jungen Leute und deren bisherige Wegbegleiter reserviert. Hier wird im Programm vor allem auf Mit-Tun Wert gelegt. Kurze Beiträge und Reden sollten von jeder Klasse beigesteuert, sowie die Ausgestaltung des Bühnenbildes mit Material aus dem Jugendweihejahr mit arrangiert werden. Aus der Vielzahl der angebotenen Veranstaltungen, die über das Jahr verteilt sind, gibt es fünf Pflichtbesuche, deren Auswahl bei der Unterschiedlichkeit der Themen kaum schwer fallen dürfte, jedoch mit Blick auf das künftige Leben wohl den Vorgeschmack auf gewisse Pflichterfüllung liefern soll. Auch hier werden die Körperbehinderten und Förderschüler mit einbezogen, um auch für sie die Jugendweihe zu einem besonderen Höhepunkt werden zu lassen.

Für die Feierstunden des „Roten Baum“ konnten interessante Leute als Festredner gewonnen werden wie Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange, den Schauspieler Daniel Minetti, Pantomime Ralf Herzog oder den Schriftsteller Mathias Biskupek. Und je nach Redner fällt das Programm mal tiefgründiger oder mal lockerer aus. Auf jeden Fall haben sie alle den jungen Leuten was zu sagen, geben Anregung und Erfahrung weiter, begleiten sie ein winziges Stück auf dem schwierigen Weg des Erwachsenwerdens. Zum Beispiel erzählte Daniel Minetti am vergangenen Sonntag Berthold Brechts Geschichte des Lao Tse und gab den Jugendlichen „Lao Te King“ als Taschenbuch, sowie eine Originalgrafik von Jürgen Bruchwitz als ständige Wegbegleiter mit. Der Liedermacher Jürgen Kokott macht mit seiner Gitarre den guten Ton dazu. Und: Alles wird zur Erinnerung im Video festgehalten, welches dann bestellt werden kann. Übrigens werden die Urkundenmappen individuell gestaltet und in Handarbeit gefertigt, also jeder Persönlichkeit seine eigene Mappe.

Eine schöne Tradition ist es, dass die Jugendweihlinge neben dem Buch, das der entsprechende Redner aussucht, ein kleines Ahorn-Bäumchen mit liebevollen Pflegetipps erhalten. Möge es für die Jugendlichen positives Symbol für Wachsen, Gedeihen, Verantwortung und Selbständigkeit sein.

Jugendweihe in Dresden hat Tradition, und gleichgültig, wer der Veranstalter ist, bietet sie den Konfessionslosen und areligiös Eingestellten die Möglichkeit, den Jugendlichen den Schritt vom Kindsein zum Erwachsenwerden als ersten großen Höhepunkt im Leben zum unvergesslichen Erlebnis zu machen. In diesem Jahr sind es immerhin 1.550 junge Leute von ca. 2.513 Kindern (lt. Statistischem Landesamt Sachsen) dieses Alters in Dresden. Nicht vergleichbar zwar mit den Höchstzahlen von etwa 5.000 in 1996, aber auch hier macht sich der Geburtenrückgang in den 90er Jahren deutlich bemerkbar.

Natürlich werben auch die großen Konfessionen für den feierlichen Schritt ins Erwachsenendasein mit anderer Begleitung. In den 41 evangelischen Gemeinden Dresdens werden dieses Jahr 448 Konfirmanden eingesegnet. In den 13 Pfarreien des Dekanats Dresden findet erst nächstes Jahr wieder Firmung statt. Und es gibt noch eine weitere „Alternative“ für konfessionslose Jugendliche, die sich weder von Jugendweihe noch von kirchlichen Feiern angesprochen fühlen, aber der Kirche Nahe stehen. Die „Dresdner Jugendfeier“ wird von Seelsorgern der katholischen Kirche seit 2004 erprobt. In diesem Jahr nehmen 13 Jugendliche mit ihren Eltern dieses Angebot in der Dresdner Kathedrale war.

Bei aller Festlichkeit und Feierstimmung darf eines nicht vergessen werden, es gibt auch in Dresden einen erheblichen Anteil von Armen und Mittellosen, Ausgegrenzten, die ihren Kindern weder die eine noch die andere Feier „bieten“ können.


Elke Schäfer