Müller, Missbrauch, Meinungsfreiheit

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Gewitterwolken über Kathedale von Regensburg / Foto: pixelio.de

MARBURG/REGENSBURG (hpd) Wenn es darum geht, weltanschauliche Gegner zu diskreditieren, nimmt es der Regensburger Bischof Gerhard Müller mit der Wahrheit nicht immer so genau. Gegen Kritik geht er seinerseits häufig nicht mit Argumenten, sondern mit juristischen Mitteln vor. Nun hat das Bistum Regensburg eine Einstweilige Verfügung gegen den Verantwortlichen eines Blogs erwirkt. Die Umstände des Verfahrens sind skandalös. Konsequenz: ein Spendenaufruf.

Im Blog der Brights Marburg erschien im Dezember 2009 ein „Bischofs Rücktritt wegen Wegschaun beim Kindesmissbrauch“ betitelter Beitrag. Darin wurde der Regensburger Bischof wegen eines Falles kritisiert, der einige Jahre zuvor durch die Medien ging. Im Spätsommer 2007 war ein wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger vorbestrafter Priester unter dem Verdacht, sich an einem Ministranten vergangen zu haben, verhaftet worden. Bischof Müller hatte den Mann als Pfarradministrator in Riekhofen eingesetzt, obwohl das Bistum über dessen Vorgeschichte im Bilde war. Umstritten war seinerzeit, ob das Bistum angesichts dessen verantwortungslos gehandelt hatte, als es den Geistlichen Religionsunterricht erteilen ließ, und insbesondere, ob es eine ausdrückliche Warnung der Behörden gegeben hatte.

Zwei Jahre später griff der Brights-Blog im Zuge der neu entflammten Debatte über sexuellen Missbrauch und Erniedrigung in katholischen Einrichtungen die Sache auf und schrieb: „Das Oberlandesgericht Nürnberg hatte nach der Verurteilung eines pädophilen Pfarrers wegen Ministranten-Missbrauchs deutlich vor der Wiedereinsetzung des Priesters in der Jugendarbeit gewarnt. Das Bistum Regensburg ignorierte das Statement des Gerichts und der heimlich sexhungrige Pfarrer von Riekhofen wurde 2007 prompt rückfällig.“ Vier Wochen darauf erhielt der Verantwortliche Post von einer Kanzlei, die Müller des Öfteren vertritt. Darin wurde (unter Hinweis auf eine entsprechende eidesstattliche Versicherung) behauptet, die Aussage, dass das Oberlandesgericht Nürnberg eine deutliche Warnung ausgesprochen habe, den Pfarrer erneut in der Jugendarbeit einzusetzen, sei falsch. Der Betreiber des Blogs wurde aufgefordert, eine kostenpflichtige Unterlassungserklärung abzugeben.

Die Fakten: weniger eindeutig, als von Bistum behauptet

Wer sich die Mühe macht, die Fakten zu recherchieren, stellt zunächst fest, dass die Brights Marburg die Sache nicht erfunden haben; offenbar hatten sie sich – wie die meisten Bürger, die an einer öffentlichen Debatte teilnehmen – über die Massenmedien informiert. So meldete das Handelsblatt am 1.10.2007: „Das Oberlandesgericht Nürnberg hatte nach der Verurteilung eines Priesters wegen Kindesmissbrauchs eindeutig vor der Wiedereinsetzung des Geistlichen in der Jugendarbeit gewarnt. Das Bistum Regensburg ignorierte die Empfehlung des Gerichts und der Priester wurde prompt rückfällig.“ Spiegel online titelte seinerzeit sogar explizit: „Bischof Müller setzte sich über gerichtlichen Rat hinweg“. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, auf die beide Meldungen zurückgehen, wurde ebenfalls berichtet, dem Bistum sei mitgeteilt worden, es sei zwar „denkbar“, den betreffenden Geistlichen wieder in der Pfarrseelsorge einzusetzen, allerdings unter der Maßgabe, dass er keinen Kontakt mehr zu Kindern habe.

Bischof Müller hatte sich seinerzeit hartnäckig dagegen verwahrt, irgendeine Mitverantwortung an den Vorfällen zu tragen (so hartnäckig, dass sogar der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Karl Lehmann vorsichtig auf Distanz ging). Seine Wahrheit sieht anders aus und ist in einer Erklärung auf der Webseite des Bistums Regensburg nachzulesen. Die Anfrage im Februar 2004 (also bevor der Mann als Pfarradministrator in Riekhofen eingesetzt wurde) sei telefonisch durch den Justitiar der Diözese erfolgt. Aus dessen „Telefonnotiz“ gehe hervor, dass die betreffende Richterin am Amtsgericht Viechtach aufgrund der Gutachtenlage und weil kein „Kontaktverbot“ ausgesprochen worden sei, keine Bedenken gegen einen Einsatz in der Seelsorge hatte.

Das Amtsgericht Viechtach wollte die uneingeschränkte Verwendungsfähigkeit in dieser Form nicht bestätigen. In einem Brief ans Bischöfliche Ordinariat wurde darauf hingewiesen, dass die Richterin keine Bedenken gegen den pastoralen Einsatz des Geistlichen gehabt habe – wenn dieser nicht mit Kindern und Jugendlichen zusammenkomme. Auf dieses Schreiben aus dem September 2007 beziehen sich also die Pressemeldungen.

Nach einem Bericht des Regensburger Wochenblatts hat dem Gericht seinerzeit ein Gutachten eines Forensikers vom Bezirksklinikum Straubing vorgelegen, das empfiehlt, den Mann nicht im Bereich der Jugendseelsorge einzusetzen. Zudem wird im selben Bericht ein Gerichtssprecher zitiert, der darauf verweist, dass Teil der Bewährungsauflagen gewesen sei, dem Verurteilten „in keiner Weise“ zu gestatten, „in der Jugendseelsorge und in der Jugendarbeit tätig zu werden“. So etwas nennt sich wohl Kontaktverbot (über den Bewährungszeitraum hinaus können Gerichte solche Maßnahmen nicht anordnen).

Wahrscheinlichkeitsrechnung

Was in dem Telefonat tatsächlich gesprochen wurde, ob sich die Richterin entgegen der Empfehlung des dem Gericht vorliegenden Gutachtens äußerte und ob die Notizen des Justitiars das Gespräch korrekt wiedergeben, wird sich kaum noch klären lassen. So steht Aussage gegen Aussage, und die Leserinnen & Leser müssen selbst entscheiden, welche Version glaubwürdiger wirkt und wo ein Motiv liegen könnte, die Unwahrheit zu sagen. (Auf einem anderen Blatt stehen die Fragen, warum eine solche Anfrage mündlich erfolgt und warum überhaupt erwogen wird, einen vorbestraften Sexualtäter in einem Bereich zu beschäftigen, wo er mit Kindern in Berührung kommt.) Insofern kann keineswegs als gesicherte Tatsache gelten, dass die Diözese hinsichtlich der Wiedereinsetzung des Priesters in der Jugendarbeit nicht gewarnt worden ist – die Anwälte des Bistums unterschlagen, dass dieser Sachverhalt umstritten ist. Offensichtlich falsch ist lediglich, dass es das OLG Nürnberg war, das seinerzeit eine Warnung ausgesprochen hat...

Widerspruch zur Auffassung der katholischen Kirche jedoch kommt in Müllers Welt nicht vor. Wer sich vor Augen führt, wie der Bischof in den letzten Jahren mit den Laien in seinem Bistum umgesprungen ist, erhält einen lebendigen Eindruck von dessen antidemokratischen Allüren. Zudem zählt er zu jenen Vertretern der katholischen Kirche, denen ich nicht abnehme, dass ihre an Opfer sexueller Übergriffe gerichteten Bekundungen des Bedauerns echt sind.

Wer dieses Urteil für zu hart hält, möge sich die Erklärung Müllers zum Thema „Sexueller Missbrauch“ – tatsächlich in Anführungszeichen gesetzt – und seine antikatholische Instrumentalisierung durchlesen. Der Bischof zeigt sich darin unfähig, kritisch über mögliche Ursachen der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche zu reflektieren, schweigt zum fragwürdigen Umgang mit bekannt gewordenen Fällen in der Vergangenheit und sieht in der derzeitigen Debatte „missbrauchte Pressefreiheit“ und den „totalitären Herrschaftsanspruch des Neo-Atheismus“ wirken. Für die Opfer findet er nur dürre Worte und wartet mit Allgemeinplätzen auf („Als Staatsbürger ist der Täter dem Zivil- und dem Strafrecht unterstellt“), der größere Teil des Textes bemüht sich darum, die katholische Kirche als das eigentliche Opfer erscheinen zu lassen.

Wer weiß, dass das Bistum Regensburg, wie Spiegel online meldet, zu den nur drei Bistümern gehört, die sich geweigert haben, der Öffentlichkeit Auskunft zu Missbrauchsfällen zu erteilen; wer zudem liest, wie im Bistums Regensburg mit jenen umgesprungen wird, die Hinweise auf Missbrauchsfälle melden, und sich die selbstherrliche Erklärung des Bischofs zur Kritik der Bundesjustizministerin an der mangelnden Kooperationsbereitschaft katholischer Einrichtungen ansieht, kann eine Strategie des Abwiegelns und Verdrängens erkennen, die zuallererst das Interesse der eigenen Organisation im Auge hat. In diesem Zusammenhang muss auch das juristische Vorgehen gegen den Brights-Blog verstanden werden.

Solidarität gegen demokratiefeindliche Rechtsauffassung

Mittlerweile ist eine Einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg ergangen. Da der Gerichtsort Hamburg bekannt dafür ist, dass dort die Meinungs- und Informationsfreiheit gering geachtet wird, sah Bastiaan Zapf ein zu hohes Prozessrisiko und verzichtete darauf, gegen die Entscheidung Rechtsmittel einzulegen. Er darf nun also nicht mehr schreiben, was bei Spiegel online und Handelsblatt – bis heute offenbar unbeanstandet – nach wie vor zu lesen ist.

Hierin liegt der eigentliche Skandal: Wenn Bürger frei zugängliche Berichte als seriös geltender Massenmedien nicht mehr ohne die Furcht, juristisch belangt zu werden, als Grundlage für Diskussionsbeiträge in öffentlichen Debatten heranziehen können, wird dies Folgen haben für die Demokratie. Denn diese lebt von politischen Auseinandersetzungen, die unabdingbar sind für den Meinungsbildungsprozess, der wiederum Grundlage für politische Beteiligung ist. Und eine gängige Informationsquelle sind nun mal Massenmedien. Wenn Voraussetzung für eine Meinungsäußerung ist, intensiver recherchiert zu haben als eine Zeitungsredaktion, und anderenfalls Abmahnung, Gerichtsprozesse und einige tausend Euro Kosten drohen, werden sich viele überlegen, wie oft sie sich eine eigene Meinung leisten können. Dass Bischof Müller sich eine solche Gesellschaft herbeisehnt, kann ich mir vorstellen. Dass deutsche Gerichte derlei Sehnsüchte bedienen, ist bezeichnend für den Zustand dieses „Rechtsstaats“.

Bastiaan Zapf hat sein Engagement bislang etwa 1.500 Euro Anwalts- und Gerichtsgebühren gekostet. Der Bright sieht die juristischen Schritte gegen ihn als „wenig souveränes“ Vorgehen des Bistums. „Die Redefreiheit nimmt dadurch Schaden“, meinte er gegenüber dem Humanistischen Pressedienst. Einschüchtern will er sich dadurch aber nicht lassen.

Gunnar Schedel

 

Spendenaufruf

Die Verteidigung der Grundrechte Meinungs- und Informationsfreiheit kann nur gelingen, wenn sich viele beteiligen. Deshalb haben der Humanistische Pressedienst, die Giordano Bruno Stiftung und der Alibri Verlag eine Spendenaktion gestartet, mit dem Ziel, das Geld einzusammeln, das Bastiaan Zapf an Anwalts- und Gerichtskosten aufbringen musste. Wer sich an dieser Solidaritätsaktion finanziell beteiligen möchte, überweise bitte einen entsprechenden Betrag auf das Spendenkonto der Aktion bei helpedia.

Sollte mehr Geld eingehen, als dafür notwendig ist, soll der Überschuss als Grundstock für einen zukünftigen Solidaritätsfonds verwendet werden.

 

Artikel: Bischof verleumdet Bürgerrechtler (13.3.2010)

Kommentar: Der Bischof lässt das Lügen nicht (15.10.2009)

Artikel: Keine Wiederholungsgefahr? (24.9.2009)