Religionen humanistisch erklären

BERLIN. (hpd) Das Kinderbuch „Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel“

wird im Lebenskunde-Unterricht des Humanistischen Verbandes in Berlin nicht eingesetzt. Dieser Unterricht ist ein freiwilliges humanistisches Wertefach in Verantwortung des HVD, dessen Schülerzahlen kontinuierlich steigen. Auch im gegenwärtigen Schuljahr 2007/2008 besuchen etwa 45.000 Schülerinnen und Schüler diesen Weltanschauungsunterricht. Das ist eine Steigerung gegenüber dem letzten Schuljahr um rund 2.200. In der Grundschule nehmen ca. 30% aller Schülerinnen und Schüler am Humanistischen Lebenskundeunterricht teil, insgesamt besuchen 13,63% der Berliner Schüler dieses Fach. In Brandenburg wird dieses Fach gerade eingeführt.

Dieser Unterricht ist so erfolgreich, weil er die Bedürfnisse der Eltern und Kinder trifft, vor allem weil er die humanistische Erziehung zur Toleranz fördert und entsprechende didaktische wie thematische Erfahrungen produziert. Vor diesem Hintergrund ging dem hpd folgende Stellungnahme zu „Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel“ und zum Antrag auf Indizierung zu:

Solidarisches Zusammenleben aller Menschen

„Der Unterricht im Fach Humanistische Lebenskunde fußt auf dem Humanismus als Bemühen um Humanität und solidarisches Miteinander, um eine der Menschenwürde und freien Persönlichkeitsentfaltung entsprechende Gestaltung des Lebens und der Gesellschaft.“ (Beschluss HVD Bundesvorstand 22. Juni 2007; im Anhang)

Humanismus gewinnt sein Selbstbewusstsein aus eigener Kraft und nicht aus der Abwertung Andersdenkender und Schwarz-Weiß-Malerei. Keine Frage, dass es religiöse Fanatiker gibt, und dass religiöse Erziehung zu Schuldgefühlen und Ängsten führen kann. Das ist aber nicht die Ausgangssituation des Buchs von Schmidt-Salomon. Ferkel und Igel werden nicht von kirchlicher Seite angegriffen, in dem z.B. gemischtrassige Freundschaften zur Sünde erklärt würden – Kirchen haben ja so ihre Vorstelllungen von gottgewollter Normalität.

Es ist auch nicht die Ausgangssituation des Buchs, dass Ferkel oder Igel durch religiöse Erziehung oder Sekten traumatisiert worden wären und sich jetzt befreien bzw. rächen müssten. Wobei sicherlich anzuzweifeln wäre, ob man traumatisierten Menschen, Ferkel oder Igeln durch Begegnung mit Schreckensfiguren helfen kann. Der Ausgangspunkt ist, dass Ferkel und Igel einfach keine Ahnung haben, was Religionen sind. Was könnten / sollten sie also lernen?

Religionskritik als Übersetzungsarbeit

In unserem „Rahmenlehrplan Humanistische Lebenskunde“ heißt es: „Zur humanistischen Bildung gehört auch ein Wissen über die Religionen. Kinder und Jugendliche sollen Kompetenzen entwickeln, mit gläubigen Menschen unvoreingenommen zu reden und die Grundlagen der wichtigsten Religionen kennen lernen. Religionen werden nicht diffamiert oder lächerlich gemacht. Im Gegenteil, sie werden als Versuche der Menschen interpretiert, Antworten auf ihre existenziellen Fragen zu formulieren. ...
Eine Kritik der Religion muss also eher eine Übersetzungsarbeit sein. Wenn die Kinder und Jugendlichen verstehen, welche menschlichen Konflikterfahrungen hinter den Religionssystemen stehen, sind sie in der Lage zu fragen, ob bessere Möglichkeiten der Befriedigung herstellbar sind als religiöse Heilserwartungen.“

Wenn man ein Kinderbuch macht, gibt man nicht einfach Fakten zur Kenntnis, sondern verfolgt durch Auswahl von bestimmten Inhalten und die ästhetische Gestaltung eine pädagogische Absicht. Die Ziele von Schmidt-Salomon und die des Lebenskundeunterrichts in Bezug auf Religion und Religionskritik liegen weit auseinander. Schmidt-Salomon scheint die Priesterbetrugstheorien des 18. Jahrhunderts zu favorisieren, der Lebenskundeunterricht orientiert sich an Feuerbach und der psychoanalytischen Religionsanalyse, um eine Erziehung zur Mündigkeit zu befördern.

Im Übrigen haben wir in Gesprächen mit Kindern und Jugendlichen, die religiöse Überlegungen anstellen, nicht unbedingt den Eindruck, dass sie „ziemlich verrückt“ sind und „ihnen etwas fehlt“, wie es im Buch über religiöse Menschen heißt. Religiöse Überlegungen von Kindern und Jugendlichen können sehr kreativ sein, religiöse Bindungen können Rücksicht fördern. Religion kann auch ein Beitrag zum Frieden sein.

Meinungsfreiheit als wertvolles Gut

Wir sind nicht gerade glücklich, dass das Buch auf dem Markt ist und ggf. auch Einfluss auf das Bild hat, das sich Eltern und KollegInnen von Humanistischer Lebenskunde machen. Wir werden es im Lebenskundeunterricht nicht einsetzen und dies auch Eltern gegenüber deutlich machen. Sollen wir deshalb staatliche Verbote von Werbung, Verkauf, Weitergabe etc. unterstützen?

Meinungsfreiheit ist für uns ein wertvolles Gut, weil es zum Selbstverständnis des Humanismus gehört, aber auch, weil Weltanschauungen, die die Freiheit des Denkens durch Unterdrückung eingeschränkt haben, abschreckende Beispiele sind.
Auch in der Verfassung (Art. 5) ist sie ein hohes Gut, weshalb sie zu den sog. Grundwerten zählt. Grundwerte können nur in bestimmten, eindeutigen Fällen eingeschränkt werden. Dazu zählen z.B. Kriegstreiberei, Rassenhass oder Kinderpornographie (Verbot nach Strafgesetzbuch). Die sogenannte Gotteslästerung ist ebenfalls eine Einschränkung, die nach § 166 aber daran gebunden ist, dass sie „geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.“

Eine mögliche Einschränkung sind „die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend" (Art.5.2). Dort wird ausgeführt, dass Medien „die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden“, zu indizieren sind. „Dazu zählen vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende Medien.“ (Jugendschutzgesetz § 18)

Wenn man nun das Jugendschutzargument ernst nimmt und nicht nur als vorgeschoben, geht es nicht um Schutz von Imamen, Rabbis, Priestern oder Muslimen, die im Buch als graue Masse erscheinen, vor verzerrenden Darstellungen. Es geht auch nicht um „Karikaturenstreit“, Kunstvorbehalt oder die Erwartung, dass der Staat für gute Bücher sorgen soll. Es geht um den Schutz der Kinder.

Urteil aus pädagogischer Sicht

Das Buch trägt zwar nicht dazu bei, dass Kinder ihr Weltbild klären und weiterentwickeln können, oder dass sie lernen, sich in einer pluralistischen Welt zu orientieren. Es gibt ihnen nicht das, was sie brauchen. Daraus den Umkehrschluss zu ziehen, dass es ihnen schadet, so dass der Staat eingreifen muss, finden wir unangemessen.

Wir fördern die Selbstbestimmung und Urteilsfähigkeit von Kindern. Dazu gehört auch immer ein „Vertrauensvorschuss“, dass sie dazu in der Lage sind. Dass Kinder sich auch an Vorbildern orientieren, die wir aus pädagogischer Sicht problematisch finden, gehört zu unserer Alltagssituation.

Dass Kinder „verdorben“ werden, wenn sie die falschen Bücher lesen, ist eine Vermutung, die meistens vernachlässigt, wie Kinder das, was sie lesen, auf dem Hintergrund ihrer Alltagserfahrung interpretieren. Und da macht es vermutlich auch einen Unterschied, wer ihnen ein Buch schenkt, empfiehlt etc.

Kinder müssen dann – auch durch den Staat – geschützt werden, wenn sie selbst bedroht sind, z.B. durch entwürdigende Darstellung in Kinderpornographie oder Instrumentalisierung durch Erwachsene, wenn sie z.B. als Selbstmordattentäter verkleidet werden.

Schlussfolgerungen

Es liegt uns daran, dass Eltern, KollegInnen und die an Lebenskunde interessierte Fachöffentlichkeit uns nicht mit der Position des Anti-Religion-Agitators verwechselt.

Es liegt uns außerdem daran, dass das Ziel, den Kindern ein angemessenes und klärendes Bild von Religionen durch Bilder, Texte, Gespräche und Begegnungen zu vermitteln, die gemeinsame Verantwortung von Eltern und Lebenskundelehrern ist, die wir nicht an den Staat delegieren.

Schließlich liegt uns daran, dass wir uns nicht als zähnefletschende Atheisten in das Gerangel von Priester, Imam und Rabbi schmeißen, wie das Buch sie zeigt. Den Kindern bringen wir bei, dass das Argument, der andere habe angefangen, wenig zu einer Bearbeitung von Konflikten beiträgt, die allen Beteiligten nützt. Viel Feind, viel Ehr, heroische Opfermentalität oder Gier nach Skandalöffentlichkeit ist nicht unsere Maxime.

Peter Adloff

Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fort- und Weiterbildung Humanistische Lebenskunde im Humanistischen Verband Berlin.