OLG zwingt Konfessionslose in Reliunterricht

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Rainer Ponitka, Foto: Evelin Frerk

KÖLN. (hpd/MIZ) Seit dem Schuljahresbeginn 2012/13 in Nordrhein-Westfalen streiten sich konfessionslose und gemeinsam sorgeberechtigte Eltern gerichtlich um die Teilnahme ihrer Zwillinge am schulischen Religionsunterricht und Schulgottesdiensten.[1]​ Nun hat das Oberlandesgericht Köln entschieden, dass die konfessionslosen Kinder den Religionsunterricht besuchen sollen.

Die Kinder wohnen bei der Mutter Susanne W. in Kesternich in der Eifel; der seit fünf Jahren getrennt lebende Vater hat seinen Wohnsitz in Köln. Nachdem Amtsrichter Robert Plastrotmann in Monschau im Mai 2012 das Sorgerecht der Mutter einschränkte und dem Vater „während der Grundschulzeit die Entscheidung über den Besuch des Religionsunterrichts und die Entscheidung über den Besuch der Schulgottesdienste für die Kinder“[2] übertrug, bestätigte das Revisionsgericht in Köln die Entscheidung am 18. April 2013.[3] Ein zwischenzeitlich gestellter Eilantrag, die Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichtes Monschau auszusetzen, blieb erfolglos.

Dass die Uneinigkeit der Eltern über die Teilnahme am Religionsunterricht ihrer Kinder zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung führen konnte, folgt aus dem „Gesetz über die religiöse Kindererziehung“[4] von 1921. Dieses verlangt die Übereinstimmung der Sorgeberechtigten zu Fragen der religiösen Kindererziehung. Das auch, wenn die Eltern nicht oder nicht mehr zusammenleben. Die Erfahrung zeigt, dass sich im Streit trennende Eltern ihren „Rosenkrieg“ häufig über die Kinder austragen. Auch eine im Auftrag des Justizministeriums erstellte Studie[5] empfiehlt die leichtere Übertragbarkeit von Teilbereichen der Sorge im Trennungsfall. So würde nach hiesiger Ansicht das Sorgerecht bestenfalls dem Elternteil übertragen, bei dem Kinder im Trennungsfall ihren Lebensmittelpunkt finden. 

Im verhandelten Fall hält der Vater die Teilnahme der Kinder an Religionsunterricht und Gottesdiensten für integrativ. Gottesdienste sind nach seiner Ansicht wesentliche Gemeinschaftsveranstaltungen der Schule und der Religionsunterricht ermögliche den Kindern, unabhängig von den Eltern „Grundlagen für ihre eigene Weltanschauung zu legen“. Ebenso erwartet er vom Religionsunterricht, dass die Kinder dort Werte und Teile der Kulturgeschichte vermittelt bekommen. Die Mutter hingegen befürchtet durch die Teilnahme eine einseitige Beeinflussung der Zwillinge. So sieht es auch der Lehrplan für katholische Religion an der Grundschule[6] vor: „Der katholische Religionsunterricht ist theologisch geprägt aus der christlichen Überzeugung, dass Gott in der Geschichte der Menschen und zu ihrem Heil wirkt, das Evangelium diese Erfahrung in Person und Botschaft Jesu Christi unwiderruflich zum Ausdruck bringt, die Kirche diese Botschaft weitergibt und erfahrbar macht.“ Er hat die Aufgabe, „lebensbedeutsames Grundwissen über den Glauben der Kirche zu vermitteln“, er ist gebunden „an den Glauben der Kirche“ und wird „von Lehrerinnen und Lehrern erteilt, die im Besitz der kirchlichen Lehrerlaubnis sind und aktiv am kirchlichen Leben teilnehmen.“

Neutralitätspflicht im Religionsunterricht aufgehoben

Wem das noch nicht als Beleg für Indoktrination ausreicht, dem sei ein Blick in das Schulgesetz NRW[7] empfohlen. § 57 (4) sagt: „Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. … Das Neutralitätsgebot des Satzes 1 gilt nicht im Religionsunterricht…“

OLG tritt hinter Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zurück

Auch tritt der Beschluss des Oberlandesgerichtes Köln hinter einen des Bundesverfassungsgerichtes aus 1987 zurück. Das BVerfG versagte konfessionsfremden Schülern die Teilnahme am evangelischen Religionsunterricht.[8] In der Begründung des Beschlusses findet sich eine klare Definition der Aufgabe des Religionsunterrichtes: „Er (der Religionsunterricht) [ist] in ‘konfessioneller Positivität und Gebundenheit’ zu erteilen. Er ist keine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln ist seine Aufgabe. (…) Deshalb wäre eine Gestaltung des Unterrichts als allgemeine Konfessionskunde vom Begriff des Religionsunterrichts nicht mehr gedeckt und fiele daher auch nicht unter die institutionelle Garantie des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG.“

Paradestück religiöser Gerichtsbarkeit

Soweit die Revisionsrichter in der Urteilsbegründung anführen, die Teilnahme am Religionsunterricht ermögliche den Kindern „eine fundierte Kenntnis über die christlichen Grundlagen der abendländischen Kultur“ und ihnen auch „ein größeres Verständnis für hiesige Grundregeln des Zusammenlebens“ verschaffe, so finden diese Unterweisungen eben nicht neutral sondern permanent in dem eingeengten Blickwinkel des katholischen Bekenntnisses statt. Ebenso verkennen die Richter die Tatsache, dass die Grundregeln unserer Demokratie, wie die Meinungs- und Religionsfreiheit, die Gleichberechtigung und auch Kinderrechte nicht durch die Religion begründet, sondern im erbitterten Kampf gegen sie erstritten wurden.

Soweit die Urteilsbegründung Vorbehalte gegen die Erziehungsfähigkeit der Mutter erwähnt, da diese ihre Kinder in der Schule von Religion unbelästigt sehen will, belegt das nur den verschärften Eindruck eines Paradestücks religiöser – um nicht zu sagen: gottesstaatlicher – Gerichtsbarkeit. Das Oberlandesgericht ließ Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zu, da die Richter der Frage, ob religiöse Unterweisung bei nicht religiös erzogenen Kindern dem Kindeswohl diene, eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beimaßen. Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) prüft derzeit die Erfolgsaussichten einer möglichen Rechtsbeschwerde. [Mittlerweile hat ein Anwalt mit Zulassung beim Bundesgerichtshof den Fall übernommen.]

Rainer Ponitka

Anmerkungen

1 Siehe Integrationshindernis Konfessionslosigkeit. Wie ein deutsches Gericht zwei Kinder zwangsmissioniert, in:  MIZ 2/12, S. 22.
2 Beschluss des Amtsgerichtes Monschau vom 30.5.2012 – 6 F 59/12.
3 http://openjur.de/u/621005.html (Zugriff vom 23.4.2013).
4 http://www.gesetze-im-internet.de/kerzg/BJNR009390921.html (Zugriff vom 23.4.2013).
5 http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Zusammenfassung_Endbericht_Sorgerecht_final.pdf?__blob=publicationFile (Zugriff vom 23.4.2013).
6 http://www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/lehrplaene/lehrplaene-gs/katholische-religionslehre/lehrplan-kath.-religion/aufgaben---ziele/aufgaben-und-ziele.html (Zugriff vom 23.4.2013).
7 http://www.schulministerium.nrw.de/BP/Schulrecht/Gesetze/Schulgesetz.pdf (Stand 18.1.2013, Zugriff vom 23.4.2013).
8 1 BvR 47/84.

Dieser Artikel erschien zuerst in der MIZ 1/2013 - mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Herausgebers.