Häftling Nr. 181 970

BYTOM. (hpd) Zum Tod des Auschwitz-Überlebenden Henryk Mandelbaum.

 

Am 17. Juni 2008 verstarb im Alter von 85 Jahren

der Auschwitz-Überlebende und Zeitzeuge des berüchtigten Sonderkommandos Henryk Mandelbaum. Henryk Mandelbaum wurde am 15. Dezember 1922 in der polnischen Stadt Olkusz geboren und im April 1944, im Alter von 21 Jahren, in dem Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau interniert. Dort war er dem Sonderkommando zugeteilt, welches direkt mit der Vernichtung der KZ-Häftlinge zu tun hatte. Er war an dem berühmt gewordenen Aufstand des Sonderkommandos am 07. Oktober 1944 beteiligt, bei dem das Krematorium IV zerstört werden konnte. Auf dem im Januar 1945 begonnenen Todesmarsch von Auschwitz in die westlich gelegenen Konzentrationslager konnte Mandelbaum, verkleidet als einfacher Häftling, fliehen. Er blieb nach 1945 in Polen.

Als jüdischer Häftling wurde Henryk Mandelbaum dem Sonderkommando - die so genannten „Sklaven der Gaskammer" - in Birkenau zugeteilt, dessen Aufgabe darin bestand die Vernichtung der deportierten Häftlinge nach festgelegten Regeln vorzubereiten und durchzuführen. Sie führten die KZ-Häftlinge in die Gaskammern und holten die vergasten Leichen aus den Kammern heraus. Zwecks „Verwertung" entnahmen sie den Leichen die verbliebenen Wertgegenstände (z.B. Goldzähne) und schnitten ihnen die Haare ab. Während in der Anfangsphase der Vernichtungspolitik die ermordeten Häftlinge in Gruben verscharrt wurden, verbrannte man die Leichen später, um Spuren zu verwischen.

Die uns vorliegenden Quellen (u.a. Zeitzeugenberichte) lassen den Schluss zu, dass im Mai 1944, als der Großteil der ungarischen Juden getötet wurde, ca. 870 jüdische Häftlinge zum Sonderkommando gehörten. Die Zahl nahm bis zum Winter 1944 stark ab. Von den etwa 2.000 Mitgliedern des Sonderkommandos, welches ausschließlich aus jüdischen KZ-Häftlingen bestand und nach kurzer Zeit immer wieder zwecks ‚Zeugenvernichtung‘ selbst vergast wurde, überlebten etwa 100. Die meisten verließen Europa mit der Befreiung Auschwitz‘ 1945 und lebten danach in den Vereinigten Staaten und in Israel. Kaum einer der Überlebenden sprach danach von der Zeit als Mitglied dieses jüdischen Sonderkommandos. Viele Überlebende empfanden es als „Strafe" bzw. als „Unrecht", dass sie überlebt hatten, andere jedoch, vor allem eigene Familienmitglieder, in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern ermordet wurden. Von einzelnen (jüdischen) Überlebenden wurde ihnen zudem der Vorwurf gemacht, sie hätten sich aktiv an der Vernichtung der Juden beteiligt. Dieser Vorwurf fand bei ehemaligen KZ-Aufsehern Gehör, die sich von der Verantwortung zu entziehen versuchten.

In Deutschland wurde erst in den letzten Jahren das jüdische Sonderkommando zu einem Untersuchungsfeld der Sozial- und Geisteswissenschaft. Mit dem Fall der Mauer und der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in den osteuropäischen Staaten, rückte immer mehr die (pädagogische) Arbeit mit überlebenden Zeitzeugen in den Mittelpunkt der Gedenkstättenarbeit.

Henryk Mandelbaum bot sich als wichtiger Zeitzeuge an, um vor Schulklassen, Kursgruppen und Studierenden von den Erlebnissen in dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau zu berichten. Er trat insbesondere in Deutschland und Polen auf. In den zahllosen Begegnungen mit interessierten Jugendlichen und Erwachsenen ermahnte er die ZuhörerInnen immer wieder daran, dass nicht nur die Erinnerung an das Geschehene in Auschwitz wichtig sei, sondern auch die Gegenwart und Zukunft von diesem Erlebnis geprägt werde. Oder um es mit Theodor W. Adorno zu formulieren: „Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen. Ich kann nicht verstehen, dass man mit ihr bis heute so wenig sich abgegeben hat. Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug." Mit Henryk Mandelbaum verlieren wir einen wichtigen Freund und Zeitzeugen im Kampf gegen das Vergessen.

 

Christoph Lammers

 

Nachtrag: 

Vielleicht einen der letzten Vorträge von Henryk Mandelbaum findet man im
2009 erscheinenden Buch: Lass-uns-ueber-auschwitz-sprechen