Stuhl, Ritual und Humanismus

TOSSENS. (hpd) Am vergangenen Wochenende veranstaltete der Humanistische Regionalverband Weser-Ems  in der Nähe von Bremen und nahe am Deich ein vergnügliches Seminar,  in dem es darum ging, am Stuhl zu kleben, zu Stuhle zu kommen und Vorstandssitze zu besetzen.

 

Die 89. Arbeitstagung des Humanistischen Regionalverbandes Weser-Ems stand in diesem Herbst ganz im Zeichen des Einführungsvortrags des Referenten Dr. Horst Groschopp: „Humanismus und Rituale“.

Etwa dreißig Teilnehmer aus den Humanistischen Orts- und Kreisverbänden des HVD Niedersachsen zwischen Wilhelmshaven und Osnabrück kamen in  Tossens zusammen, um vom 8. bis zum 9. November das Spannungsfeld zwischen Humanismus und Ritualen auszuloten.

Mit Horst Groschopp kam ein passionierter Kulturwissenschaftler zur traditionellen Herbsttagung nach Tossens, der kompetent und anregend über Humanismus, Rituale und die Kulturgeschichte des Stuhls zu referieren wusste.

Was bedeuten Rituale in unserem Leben?

Der Referent lieferte mit seinem Einführungsvortrag den Teilnehmern eine gute Basis, um sich weit über das Wochenende hinaus mit dem für organisierte Humanisten zentralen Thema zu beschäftigen, praktische Ideen und eigene Positionen zu erarbeiten.
Groschopp erklärte, dass der Ritualbegriff ursprünglich nicht anders als religiös verstehbar gewesen sei. Hierin liege die freidenkerische Distanz allem Rituellen gegenüber begründet.

Heute bezeichneten Rituale ganz allgemein kulturelle Systeme symbolhafter Kommunikation, die das Leben strukturieren helfen und den Menschen auf diese Weise Orientierung bieten. Der Referent veranschaulichte dies beispielhaft an Ritualisierungen im Paar- und Sozialverhaltenverhalten, an Inszenierungen in der Politik, Dramen in der Familien- und Feierkultur sowie an Trinksitten, Tanzriten und Ansprachen.

Die Tatsache, dass moderne Ritualbegriffe inzwischen ohne Rückgriff auf religiöse oder gar kirchliche Kategorien auskämen, ermögliche eine neue Sicht auf "Humanismus und Rituale" und somit einen differenzierten Blick auf die eigenen Feiern und "Übergangsrituale", die der HVD anbietet: JugendFEIERn, Bestattungsfeiern, Namensgebungen und Hochzeiten, Gedenkfeste und  Welthumanistentag.

Arbeitskreise und Diskussion

Im Anschluss an diesen Vortrag nutzten die Teilnehmer die Möglichkeit, in Arbeitskreisen einzelne Themen zu vertiefen, z.B. „weltliche und religiöse Feierkultur“, „Kalenderrituale“ und die Frage, ob es Religionen leichter haben.

Die Ergebnisse dieser Arbeitskreise wurden am Sonntag diskutiert. Dabei wurde bald deutlich, dass ein zentrales Interesse an der Frage besteht, wie Humanisten mit Ritualen und Feiern umgehen, deren gegenwärtig populären Sinnzusammenhänge von den Kirchen übergestülpt wurden, wie z.B. Weihnachten samt entsprechenden Traditionen und Ritualen. Sollte man sich diesem völlig entziehen? Oder sollte sich darauf beschränkt werden, die positiven Aspekte solcher Feiern zu genießen, ohne einen tieferen Sinn sehen zu müssen? Falls man andere Traditionen fortführen will, hält man sich an vorchristliche Rituale, ohne deren mystischen Überbau anzunehmen? Oder besser an wiederkehrende Ereignisse der Natur, wie Sonnenwenden etc.?

Der Stuhl als Wert? Kulturbedeutung des Sitzens

In einem weiteren Vortrag erläuterte der Referent die Kulturgeschichte des Stuhls und des Sitzens. Die Teilnehmer waren erstaunt, welchen Wandel der Stuhl in seiner kulturellen Bedeutung durchschritten hat, wie interessant die Entwicklung eines uns so selbstverständlichen Möbels sein kann und nicht zuletzt, wie sehr die Kulturgeschichte des Stuhls auch eine Geschichte der Rituale ist.

Tradition von Bildung und Gemeinschaft

Die Veranstalter zeigten sich äußerst zufrieden mit dem Verlauf der Tagung. Die inzwischen 89. Arbeitstagung stünde ganz in der Tradition, humanistische Weiterbildung mit Geselligkeit in der weltanschaulichen Gemeinschaft zu verbinden. Dass dies auch jetzt wieder so gut geklappt hat, liege „nicht zuletzt an Horst Groschopp, der nicht nur für gute Vorträge und Diskussionen, sondern auch nach Feierabend noch mit Platon, Anekdoten und Trinksprüchen für gehaltvolle Geselligkeit sorgt“, so die zweite Vorsitzende des Regionalverbandes, Anne Fleßner, die den Referenten an den Jadebusen holte.

Lutz Renken