„Das Ende der Geduld“

(hpd) Die Jugendrichterin Kirsten Heisig berichtet in ihrem Buch anhand von Fallbeispielen von ihren persönlichen Eindrücken über die größere Brutalität und Häufigkeit der Gewalt junger Menschen. Auch wenn man die Erfahrungen aus einem besonderen Problembezirk Berlins nicht verallgemeinern kann, verdienen die Schilderungen als Abbild einer möglichen Zukunft in Verbindung mit den Aussagen über Ursachen und Gegenstrategien große Aufmerksamkeit.

Drei Jugendliche treten brutal auf einen am Boden liegenden wehrlosen alten Mann ein: Derartige Vorfälle lösen immer wieder Bestürzung und Nachfragen aus: Besteht hier ein allgemeiner Trend? Bauschen die Medien auf? Handelt es sich um Einzelfälle? Steigt die Gewaltintensität an? Versagt die Gesellschaft? Welche Schuld haben die Eltern? Diese und andere Fragen erörtert Kirsten Heisig in ihrem Buch „Das Ende der Geduld. Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter“. Die Jugendrichterin war bis zu ihrem Tod Ende Juni 2010 am Amtsgericht Berlin-Tiergarten beschäftigt und galt als engagierte Verfechterin eines konsequenten Vorgehens gegen jugendliche Gewalttäter. Ihre Betrachtungen verstand sie als Ergänzung zu den Berichten der Medien und Ergebnissen der Wissenschaft eben aus der „Sichtweise einer Praktikerin“ (S. 17), die jeden Tag mit konkreten Fällen und konkreten Tätern zu tun hatte. Dementsprechend ziehen sich auch Heisigs persönliche Erfahrungen und Sichtweisen wie ein „roter Faden“ durch das Buch.

Zunächst geht es anhand von Fallbeispielen um das Phänomen der Intensivtäter und deren auffällige Lebensläufe: „Hierbei ist vor allem bei deutschen Jugendlichen der Alkoholmissbrauch im Elternhaus hervorzuheben. Wenn die Eltern trinken, sind sie mit sich selbst beschäftigt, haben keine Kontrolle über das eigene Leben und sind nicht in der Lage, auf die Bedürfnisse ihrer Kinder einzugehen“ (S. 17f.). Andere kriminogene Faktoren bestehen im Aufpuschen durch Gewalt verherrlichende Killerspiele und Rap-Videos und im Konsum von Drogen in der Gruppe. Darüber hinaus falle der hohe Anteil von Tätern mit Migrationshintergrund auf. Häufig könnten schon in einer sehr frühen Phase im Leben der Jugendlichen Tendenzen zur Gewaltneigung ausgemacht werden, doch häufig schaute man in den Sozialisationsinstanzen aus mangelndem Pflichtgefühl oder Problembewusstsein schlicht weg. So lasse sich etwa folgende Verhaltensweise ausmachen: „Die Schulen zeigen viele Taten nicht an, sondern versuchen, die Angelegenheit intern zu regeln“ (S. 43).

Bilanzierend bemerkte Heisig, dass die Gewalttaten von immer größerer Brutalität und Häufigkeit gekennzeichnet seien. Die Schwierigkeiten der Täter in ihrer persönlichen Entwicklung können bereits in frühester Kindheit ausgemacht werden. Man reagiere aber nicht nachhaltig auf entsprechende Zeichen. Am Rande ging die Autorin auch auf das hohe Aggressionspotential linksextremistisch motivierter Gewalt ein, welche „in den nächsten Jahren völlig entgleisen wird, wenn nicht bei den ‚Linken’ genauso konsequent reagiert wird wie bei den ‚Rechten’“ (S. 100). Heisig beschrieb aber nicht nur einzelne Taten jugendlicher Gewalttäter, sie ging auch auf die administrativen Probleme der Justiz- und der Polizeibehörden ein und berichtete über positive Erfahrungen mit neuen Modellen von Anti-Gewalt-Maßnahmen in Neukölln in Berlin und in anderen europäischen Städten. Dazu heißt es: „Der Zusammenhang zwischen Integration, sozialen Problemen, mangelnder Schulbildung und Jugendkriminalität ist überall sichtbar geworden“ (S. 175).

Heisigs Buch stellt eine sehr persönliche Betrachtung dar, entstand es doch aus der Perspektive einer Jugendrichterin in einem besonderen Problembezirk einer Großstadt. Man kann demnach die dortigen Entwicklungen nicht verallgemeinern. Gleichwohl zeigen die Fallbeispiele in eindrucksvoller Form eine Gefahr für die Zukunft auf. Sie konfrontieren die Leser auch mit einem Bereich der Gesellschaft, der ansonsten nicht im Focus des öffentlichen Interesses steht. Übrigens war Heisig keine „Richterin Gnadenlos“ wie ihr mitunter in den Medien unterstellt wurde, bemerkte sie doch: „Eine Verschärfung des Jugendgerichtsgesetzes halte ich im Wesentlichen nicht für geeignet, um die Jugendgewaltkriminalität in den Griff zu bekommen“ (S. 196). Bezüglich der Gegenstrategien blickte die Richterin auch weit über den Rahmen juristischer Möglichkeiten hinaus. So forderte sie etwa die Einführung von Sprachtests für alle Schüler, die Erhebung von Bußgeldern für Schulversäumnisse, das Erlernen von Sekundärtugenden oder die Verbesserung des schulischen Angebots.

Armin Pfahl-Traughber

Kirsten Heisig, Das Ende der Geduld - Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter. Freiburg 2010 (Herder-Verlag), 205 S., 14,95 €