Freigeist im Freiberuf: Trauerredner Michael Brade feiert mit Hinterbliebenen

Abschied statt Wiedersehen

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Michael Brade
Michael Brade

Michael Brade verwandelt Trauer in Dankbarkeit. Als humanistischer Trauerredner rückt er die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund, die die Hinterbliebenen mit dem Verstorbenen geteilt haben.

Er selbst spricht von Abschiednahmen, nicht von Beerdigungen, Bestattungen, Beisetzungen oder Begräbnissen. Menschen die Möglichkeit geben, Abschied zu nehmen, wichtige Wegstrecken und Augenblicke im Leben des Verstorbenen Revue passieren zu lassen, Raum geben für die eigenen Gedanken der Trauergäste. Das ist seine Arbeit. Der Blick auf das Leben eines Menschen hat Vorrang vor den Gedanken an das, was darauf folgen könnte. Das unterscheidet Michael Brade von seinen konfessionellen Kolleginnen und Kollegen, von Priestern, Pfarrern und Diakonen, die im Ablauf einer Trauerfeier gebunden sind an Jahrhunderte alte Riten und Zeremonien.

Dankbarkeit statt Trauer

Michael Brade wirkt klar und fokussiert. Heute trägt er Jeans, Hemd, schwarze Lederschuhe und eine Umhängetasche. Eine Sonnenbrille schützt seine Augen beim Spaziergang durch den Urnenhain Tolkewitz und über den angrenzenden Johannisfriedhof. Er ist ein scharfer Beobachter. Er entdeckt den Grabstein einer Namensvetterin von Frauke Petry, die bereits 2012 verstorben ist. Michael Brade denkt sich hinein in die Menschen, die ihn umgeben, fragt sich, was in ihnen vorgeht, wenn sie etwa laut telefonierend auf einem Grabstein sitzen. Ein außergewöhnlich gestaltetes Grabmal weckt sein Interesse. Er fotografiert es, bewegt sich dabei umsichtig, still und vorsichtig. Brade ist 38 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Görlitz. Sein Alter ist schwer zu schätzen. Seine Stimme ist fest, tief, warm und eindringlich. Er formuliert seine Gedanken langsam, nachdenklich und besonnen. Gelegentlich schweift er ab, geht ins Detail, doch greift stets wieder seinen ursprünglichen Gedanken auf. Brades Körperhaltung ist aufrecht, präsent, nicht steif.

Trauerredner trifft man selten privat. Wie man im Alltag damit umgeht, zu einer seltenen Berufsgruppe zu gehören, konnte Michael Brade bereits trainieren, bevor er Trauerredner wurde. "Ich bin studierter Chemiker. Wenn ich damals gesagt habe, dass ich Chemie studiere, gingen die Reaktionen von 'Oh Gott' bis 'aha'." Bewahrt hat er sich den analytischen Blick auf seine Umwelt. Brade benennt Dinge klar beim Namen, neigt aber nicht zu schnellen Urteilen. Alles Eigenschaften, die ihm im Arbeitsalltag von Nutzen sind.

Michael Brades Beruf ist es, einer Trauerfeier einen konfessionsübergreifenden oder konfessionsfreien Rahmen zu geben, eine Dramaturgie zu entwickeln und damit den Trauernden nach der Krise wieder Halt und Struktur zu geben. Die Abläufe der Zeremonien und Struktur der Reden bei Verabschiedungen ähneln einander. Eine Begrüßung, einige Gedanken zum Tod, zum Umgang mit Trauer, der Lebensweg des verstorbenen Menschen, Anekdoten aus seinem Leben. Doch Routine wie bei einem Fließbandjob schleicht sich beim freiberuflichen Trauerredner Brade nicht ein. "Bei mir gibt es keine Akkordarbeit nach dem Motto 20 Minuten Rede, fünf Minuten Weg ans Grab, fünf Minuten Beisetzung und dann gehe ich schon wieder in die Trauerhalle und halte die nächste Rede", sagt Michael Brade. Eine Rede am Tag sei das Maximum für ihn.

Vorgespräch statt Fragebogen

Statt Fragebögen zu versenden, führt er intensive Vorgespräche mit den Hinterbliebenen. Dabei lernt er immer mindestens zwei Menschen kennen – den Gesprächspartner und den Verstorbenen."Der erste Kontakt ist in der Regel telefonisch oder auch eine E-Mail-Nachricht", berichtet Michael Brade. Dann vereinbart er einen Termin. Die Treffen geht er unvoreingenommen an. "Manche sind emotional aufgelöst, manche sind zugeschüttet oder stecken mitten in der Arbeit." Keine Spur von Trauerbewältigung. Bemerkt Michael Brade, dass die Angehörigen von der Organisation der Trauerfeier überlastet sind, warnt er sie vor dem emotionalen Loch, in das Trauernde oft fallen, wenn die Abschiednahme vorüber ist. Während der Vorgespräche spielt Zeit für Brade keine Rolle. Er füllt Notizzettel mit den Eckdaten und Lebenswendepunkten der verstorbenen Person, versucht ein Bild von ihr in Worten nachzuzeichnen. Er gibt dem Redebedarf der Hinterbliebenen freien Raum.

Die Trauerrede formuliert Michael Brade später aus. Er sucht nach passender Poesie. Es müssen nicht immer Hermann Hesses "Stufen" sein. Manchmal wünschen die Hinterbliebenen nach der Abschiednahme eine Abschrift seiner Rede. Frei spricht Brade in der Regel nicht. "Ich habe es einmal ausprobiert, zwei Anekdoten frei zu formulieren. Das ist mir auch gelungen, aber das ist nicht meine Angewohnheit. Das war eine Abschiednahme, wo mir die Umstände selber sehr nahe gegangen waren", berichtet Brade aus seinem Redneralltag. Weniger ist es die Angst davor, einen Namen falsch auszusprechen als die Erwartungshaltung der Trauernden, die vor der Rede bei Brade für eine gewisse Grundspannung sorgt. Als Lampenfieber möchte er diese Spannung jedoch nicht bezeichnen.

Ehrlichkeit statt Schonungslosigkeit

Michael Brade setzt an seine Arbeit hohe Ansprüche. Ehrlichkeit ist ihm wichtig. Jedoch sagt er auch: "Eine Trauerrede ist der falsche Zeitpunkt, um schmutzige Wäsche zu waschen." Denn für ihn ist "Ehrlichkeit etwas anderes als Schonungslosigkeit."

Brade drückt nicht auf die Tränendrüse. Wichtig ist ihm, dass seine Rede frei von Pathos ist. "Ich lege keine Färbung in meine Stimme, um eine emotionale Betroffenheit auszudrücken oder zu suggerieren, die ich als Unbeteiligter, der letztendlich nur eine Dienstleistung erbringt, nicht haben kann. Das mache ich nicht. Ich habe das selbst schon erlebt, dass so weinerlich gesprochen wird."

Viel wichtiger ist es Brade, sich in die Bedürfniswelt hineinversetzen zu können. Das ist für ihn Teil seiner humanistischen Weltanschauung, die sich in seinen frühen zwanziger Lebensjahren ausgeprägt hat. "Das war so 2004", sagt Brade. Eine Zeit, die er heute mit Selbstfindung und Persönlichkeitsentwicklung in Verbindung bringt. "Ein großes Wochenmagazin hatte auf dem Titel: 'Die Atheisten sind an allem Schuld'". Er kaufte das Heft, las das Dossier und stieß auf große Namen, die sich ähnliche Gedanken machten wie er. Brade stieg tiefer in die Materie ein, suchte Gleichgesinnte und landete beim Humanistischen Verband Dresden. Heute ist er dessen Präsident. Er engagiert sich als Humanist nicht nur als Trauerredner, sondern setzt sich darüber hinaus für eine konfessionsfreie Seelsorge in Krankenhäusern und Justizvollzugsanstalten ein.

Die Arbeit mit Trauernden hat Brade gelassener werden lassen im Umgang mit befremdlichen Situationen. Seine Energie, sein Engagement, seine Neugier und Offenheit für andere Sichtweisen hat er bewahrt. Zu eigen machen musste er sie sich nicht. "Religion ist nur ein winziger Ausschnitt. Größere Probleme haben wir mit dem Wiederaufflammen von reaktionären, gegen Selbstbestimmung gerichteten Organisationen." Gedanken ans eigene Ableben sind für ihn nebensächlich. Was Michael Brade nicht will, weiß er genau: "Mit einem Brett vor dem Kopf und einer für alle Ewigkeiten dogmatisch versiegelten Weltsicht durchs Leben gehen."