Weihnachtsglosse

Wenn hohe Nasen Hochkonjunktur haben

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Weihnachtseinkaufsstress
Weihnachtseinkaufsstress

WIEN. (hpd) Weihnachten ist eine Zeit des kollektiven Wahnsinns, weiß jeder, der seine fünf Sinne beieinander hat. Nicht nur der kollektive Kaufrausch samt verordneter synthetischer Gemütlichkeit zehrt an den Nerven. Auch die soziale Trennung der Gesellschaft tritt so klar zutage wie nie, findet Christoph Baumgarten in seiner Weihnachtsglosse.

Plastikchristbäume? Pfui. Eine edle Nordmannstanne muss es schon sein. Wer der Welt, oder den Gästen dieser Feiertage, zeigen will, was für ein edler Weltenretter er doch ist, wird auch mit diesem Christbaum nicht glücklich sein. Es muss denn ein biologisch hergestellter Baum sein. Am besten aus der “Region”, was auch immer das heißen mag.

Das gute Gewissen kostet. 17 Euro pro Meter muss man für so ein Prachtexemplar verantwortungsvollen Kaufes gut und gerne berappen.

Bio ist nicht immer Öko

Wobei sich die Frage stellt, was an einem Christbaumkauf verantwortungsvoll sein soll. Bio oder nicht – die Bäume kommen fast ausnahmslos aus Baumschulen, für die echter Wald gerodet wurde. Der Bio-Baum hat nur weniger Kunstdünger und Pestizide gesehen als der konventionelle. Alle Bäume werden wild durch die Gegend transportiert, was einiges an CO2-Ausstoß verursacht. Feilgeboten werden sie in der Regel von unterbezahlten Migranten auf Verkaufsständen in der Stadt.

Holt man den Baum direkt beim Bauern ab (ach wie naturverbunden ist doch der bürgerliche Konsument), wird es sozial verträglicher. Und ökologisch noch unsinniger. Pro Kilo Baum wird deutlich mehr Benzin oder Diesel verbrannt, als wenn er mit dem Lkw gebracht worden wäre.

Ineffiziente Art der Heizmaterialbeschaffung

Weltweit dürfte gut und gerne 200 Millionen Bäume dieses Schicksal treffen. Genaue Zahlen gibt es nicht. In den USA wurden voriges Jahr mehr als 30 Millionen echter Christbäume verkauft, in Deutschland etwa genauso viel. In Österreich sind es 2,4 Millionen. In Großbritannien dürften es acht Millionen sein. Dort liebt man Plastikbäume. Das dürfte langfristig auch ökologisch sinnvoller sein.

Diesen Öko-Wahnsinn begeht man, um für ein paar Tage im Jahr ein bisschen Kitsch im Wohnzimmer stehen zu haben und einer vermeintlich authentischen Uralt-Tradition zu huldigen. Wenn das vorbei ist, geht der Baum den Weg allen Holzes. Die ineffizienteste Art der Heizmaterialbeschaffung, die vorstellbar ist.

Wer dem “aufgeklärten” Teil der Mittelschicht angehört, wird ob der Leute die Nase rümpfen, die sich keine Bio-Tannen leisten können. Der Pöbel, weiß der gebildete und gut verdienende Bürger, ist mit seinem Kaufverhalten verantwortlich für die Übel dieser Welt. Vergessend, dass er selbst gerade ein Stückchen Umwelt am Gewissen hat. Unter Umständen sogar mehr als der Käufer eines konventionellen Baumes.

Das vorausgesetzt, alle Bäume mit einer Bio-Schleife sind auch aus Bioproduktion. Ansehen tut man denen den Unterschied ja nicht.

“Verantwortungsvoll” einkaufen verursacht Stress

Das setzt sich bei dem fort, was unter dem Baum liegen wird. Der Autor verleugnet nicht die Schadenfreude bei dem Gedanken, welchen Stress man durchmachen muss, wenn man vermeintlich verantwortungsbewusst Weihnachtsgeschenke einkauft. Soll heißen: In der Regel das Gefühl habend, nicht weniger als die Welt zu retten und das mit Stolz gefüllter Brust der Welt auch mitteilend, vor allem dem Pöbel, der sich das nicht leisten kann oder will.

Nehmen wir einen Pullover als Beispiel. Wer die Welt retten will, darf nur einen aus reiner Schurwolle kaufen. Ob vom Schaf oder einem Lama, ist für diese Betrachtung zweierlei. Die Viecherl sollten möglichst biologisch gehalten werden und ökologisch sollte die Sache auch sein. Was sich freilich – siehe das Beispiel der Christbäume – spätestens zu dem Zeitpunkt ausschließt, wo das Bio-Material von weiter weg her beschafft werden muss.

Es darf bezweifelt werden, ob es in deutschsprachigen oder überhaupt europäischen Gebieten genügend Bio-Wolle für die Biobewegten gibt. Irland vielleicht ausgenommen. Nur dort gibt’s seit der Wirtschaftskrise außer Schafen auch reichlich wenig.

Gehen wir vom Idealfall für die Öko-Bewegung aus, sollten die freundlichen Schäfer und ihre Helfer die Schafe (oder sonstwas) natürlich auch zum richtigen Mondzyklus geschoren haben. Alte mystische Tradition und so. Deswegen muss es ja stimmen.

Gehandelt werden sollte die Wolle selbstredend im Fairtrade-Modus. Was die Sache nicht gerade einfacher macht.

Handgestrickt sollte schon sein

Nicht zu vergessen: Handgestrickt sollte das Teil auch sein. Man will ja keine bösen Maschinen unterstützen. Macht die Sache etwas teurer. Wahrscheinlich kann sich das auch die weltenrettende Bürgersfamilie nicht mehr leisten, wenn eine europäische Strickerin das Teil näht. Griechenland vielleicht ausgenommen. Dort haben Weltbank und EU die Löhne derart gedrückt, dass es sich vielleicht sogar ausgehen könnte.

Ausgenommen sind wenige Pullover, die aus Kooperativen oder bäuerlicher Eigenproduktion stammen. Hier darf man Selbstausbeutung unterstellen.

Bei den leistbaren Varianten des handgestrickten Pullovers darf sich der edle Weltenretter höchstwahrscheinlich an dem Gedanken erfreuen, dass nur bengalische Kinderhände die Maschen so fein haben stricken können und er solcherart auch einen Beitrag gegen die grassierende Kinderarmut in jenem Teil der Welt geleistet hat.

Hoffentlich in der richtigen Größe und Farbe

Nachzuprüfen, ob diese Bedingungen alle eingehalten wurden, ist für sich eine tagesfüllende Aufgabe. Nur, es gilt auch den richtigen Händler zu finden, der so einen Pullover hat. In einem Großgeschäft oder Einkaufszentrum gar darf der seine Zelte nicht aufgeschlagen haben. Auch ideologisch sollte er passen. Bio-Schick halt, wenn geht, ein wenig reaktionär angehaucht und sich fortschrittlich vorkommend.

Da nimmt man es gerne in Kauf, mit dem Auto durch die Gegend zu fahren. So einen Händler gibt’s nicht an jeder Ecke.

Dann dürfen wir nur noch hoffen, dass es das Teil in der richtigen Größe und Farbe gibt. Sonst wird die Aktion mittelschwer sinnlos. Inwiefern man mit so etwas die Welt rettet, sei dahingestellt. Jedenfalls hat man das eigene Gewissen beruhigt und kann sich wieder vom Pöbel abgrenzen, der sich das nicht leisten kann. Und dem man das ganz paternalistisch noch erklären wird, indem man nur laut und oft genug herausposaunt, wie verantwortungsvolles Einkaufen geht.

Warum kein gesellschaftlich relevantes Engagement?

Würde auch nur halb so viel Energie in den Kampf gegen etwa das Lohndumping durch Hartz-IV gesteckt, in Deutschland kämen Millionen Menschen aus der Armutsfalle. Französische und polnische Schlachtbetriebe könnten wieder mit den deutschen mithalten und die Tiere müssten nicht mehr so weit transportiert werden. Was auch ökologisch sinnvoll wäre.

Zu Weihnachten könnte man auch Protestbriefe an Amazon schicken und die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafer von ver.di und die Beschäftigten des Online-Händlers in ihrem Kampf um faire Bezahlung und menschenwürdige Arbeitsbedingungen zumindest in Deutschland unterstützen. Dass man diese Ausbeuter boykottiert, sollte sich eigentlich von selbst verstehen.

Nur, die Suche nach dem Bio-Christbaum und dem Bio-Pulli zwecks eigener Gewissensberuhigung dürfte so viel Zeit binden, dass man für Überlegungen wie Solidarität zu erschöpft sein wird. Außerdem kann man sich mit solchen Aktionen auch weit weniger vom Pöbel abgrenzen als wenn man kurz mal eigenhändig die Welt rettet.

 


Hier gibt’s die bisherigen Weihnachtsglossen des Autors zum Nachlesen:
Wie man einen Amoklauf verhindert
Ich kaufe nie wieder Ölsardinen
Der Weihnachtsmann beißt nicht