50 Jahre Liturgiereform

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DRESDEN. (hpd/fowid) Vor 50 Jahren zelebrierte Papst Paul VI. In Rom die erste Heilige Messe in der Landessprache Italienisch. Dies war das sichtbarste Zeichen der Liturgiereform, mit der sich die katholischen Kirchenoberen seit Jahren beschäftigten. Auf Fowid.de gibt es ein neues Datenblatt, das einen Zusammenhang zwischen Liturgieerneuerung und Gottesdienstbesuch darstellt.

Bis in die 1960er Jahre war die Gestaltung des katholischen Gottesdienstes mehr oder weniger Sache der Priester und die Gläubigen blieben nur stumme Zuschauer. Bereits zu Anfang des Jahrzehnts kamen Bestrebungen auf, die Gläubigen bewusster an der Liturgie selbst teilnehmen zu lassen. Gottesdienst und Liturgie sollten Sache der ganzen Kirche sein, bei der die Menschen bewusst innerlich und äußerlich mitwirken können. Der neue Gottesdienst sollte darauf ausgerichtet sein, dass die Gläubigen verstanden, was der Geistliche sagt und sie somit in der Lage waren, sich die Worte zu eigen zu machen. Sie sollten verstehen, was aus der Heiligen Schrift vorgelesen wurde. Einzelne waren damit auch in der Lage Aufgaben als Lektoren oder Ministranten zu leisten, also mit ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten eine tätige Rolle zu übernehmen. Das Konzil wurde mit diesen Änderungswünschen beauftragt und legte innerhalb von drei Jahren ein neues Konzept vor.

Am 7. März 1965 zelebrierte zum ersten Mal Papst Paul VI. in der Pfarrkirche Ognisanti den Gottesdienst größtenteils in Italienisch und nicht mehr in Lateinisch. Er bekräftigte damit die wohl spürbar offenkundigste Neuerung, die das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) angestoßen hatte: die Liturgiereform.

Entwicklung der Zahl der Gottesdienstbesucher

Bemerkenswert ist, dass gerade ab der Zeit, als die Liturgien allgemein verständlich wurden, immer weniger Gläubige zum Gottesdienst gehen. In der Statistik der deutschen Bischofs­konferenz werden die Zahlen der Gottesdienstbesucher seit vielen Jahren erfasst. Auf Fowid.de gibt es dazu ein neues Datenblatt. Während von 1950 bis 1965 die Zahl kaum schwankt und etwa bei 50 Prozent der Katholiken liegt, ist in den folgenden Jahren ein deutlicher Abwärtstrend zu verzeichnen. Seit 1965 ist die Zahl der Gottesdienstbesucher auf ca. 22 Prozent im Jahr 2013 gesunken. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Katholiken in Deutschland um ca. 8 Prozentpunkte zurückgegangen. Wobei der tatsächliche Rückgang der Katholikenzahl erst ab 1990 einsetzte (Minus 15 Prozent zwischen 1990 und 2013). Damit geht 50 Jahre nach der Verbesserung der Verständlichkeit der Messen und mehr Volksnähe nur noch jeder zehnte Katholik zur Messe, obwohl der Besuch der Heiligen Messe als Sonntagsgebot für jeden Katholiken verpflichtend ist. Der Katechismus lässt da nur einige wenige Ausnahmen zu, wie Krankheit, unzumutbare Belastungen, Verpflichtungen bei der Pflege Schwerkranker oder Sorge für kleine Kinder. Der Gläubige ist verpflichtet, bei längeren Verhinderungen nach Alternativen zu suchen.

Mit der katholischen Liturgiereform wurde das „Geheimnisvolle” und „Erhabene”, was der Gesang in fremder Sprache und die dazugehörigen Handlungen des Geistlichen bot zum banalen und alltäglichen für die Gläubigen. Es hatte nichts mehr mit überirdischem Glanz, Opfer und Mysterium zu tun. Der Priester war nicht mehr länger die einzige Person, die wissend war.

In diesem Prozess scheint es für viele Gläubige nicht mehr zwingend notwendig geworden zu sein, diesem außerordentlichen „Spektakel” Sonntag für Sonntag beizuwohnen. Es war nichts Besonderes mehr. Den Gottesdienstbesuchern wurden Woche für Woche dieselben Mahnungen und Belehrungen mit auf den Weg gegeben und es hatte nichts Geheimnisvolles und Verpflichtendes mehr an sich. Die „Offenbarung des Mysteriums Christi und das Werk der Erlösung” fand für viele nun nicht mehr statt, wenn sie es in Deutsch hörten. Der Priester war damit nicht mehr der weit über der Gemeinde stehende „Vertreter und Vermittler” der Heiligen Schrift, sondern stand plötzlich auf der gleichen Ebene wie die Gläubigen. Zu dieser Entwicklung kam die zunehmende Austrittswilligkeit der Menschen aus der Kirche, die auf der generellen gesellschaftlichen Entwicklung beruhte.

Menschen lassen sich immer weniger von Alltäglichem und Banalem berühren. Der Gottesdienst bietet ihnen immer weniger Impulse zur Besinnung und die Predigten sind oft langatmige Ausführungen, denen man nicht folgen kann, weil die Themen die Menschen nicht tangieren. Viele Menschen haben heute scheinbar auch gar nicht mehr das Bedürfnis sich ansprechen zu lassen. Nach Meinung einiger Gläubigen hat der Gottesdienst nach der Liturgiereform seine Erhabenheit und Würde verloren. Die Leute würden es nur noch als eine Art menschlichen Beisammenseins empfinden und würden sich ihrer Tradition beraubt fühlen, weil sie es als Verstümmelung der Messe empfanden.

Karl Rahner (katholischer Theologe) entgegnete den ewig Gestrigen bereits 1966 sehr drastisch:

„Die vom Konzil weitergeführte und auch für die Zukunft weiter gewünschte Liturgiereform ist in manchen Kreisen der Kirche auf Befremden und Widerstände gestoßen, wobei deren Ausmaß freilich übertrieben dargestellt wurde. Befremdet, nicht eigentlich verwirrt waren jene Schichten des vielzitierten und vielfach überschätzten 'gläubigen Volkes', die Liturgie primär als Brauchtum und Folklore ansehen und den direkten religiösen Anspruch einer erneuerten Liturgie als lästig empfinden. Es handelt sich um jene Schichten, denen die Heilssorge der Kirche zwar immer zu gelten hat. die aber keinesfalls zum Maßstab kirchlichen Selbstvollzugs gemacht werden dürfen, da sie ohnedies aus eingewurzelter Trägheit nie zum Selbstvollzug der Kirche beitragen. Die das konkrete Dasein der Kirche tragenden Schichten haben die Liturgiereform überall als längst fällige Besinnung und als Anerkennung ihrer eigenen christlichen Reife begrüßt. Widerstände erheben sich aus sogenannten akademischen Kreisen, deren Angehörige ihre Unfähigkeit zur Kommunikation, ihren Bildungsdünkel und ihr steriles Verhältnis zur Geschichte hinter dem Anspruch besonderer Kirchlichkeit zu tarnen suchen, indem sie ihre Ressentiments als Maßstab des Katholischen ausgeben. Dem Konzil war es leichter, als dies einzelnen Bischofskonferenzen und Bischöfen geworden wäre, diese wortstarken und teilweise einflussreichen, aber in der Humanität gescheiterten tragikomischen Randfiguren der Kirche völlig außer Acht zu lassen." (12)

Wenn man die Austrittszahlen und die Gottesdienstbesucherzahlen sieht, so ist augenscheinlich kaum jemand für den Besuch des Gottesdienstes gewonnen worden. Die Reform brachte nicht den gewünschten Effekt, der Entwicklung der Entkirchlichung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Selbst in eigenen Kreisen wird die Änderung des Ritus für die Erschütterung des Glaubens verantwortlich gemacht. Die Änderung der Liturgie als Form hat angeblich den Inhalt, den Glauben, zusammenbrechen lassen. Der Ernst des christlichen Lebens und die „göttlichen Forderungen” würden verharmlost werden und der katholische Gottesdienst würde sich kaum noch vom protestantischen unterscheiden.

Hinzu kommt, dass den Menschen durch Beruf und wirtschaftliche Entwicklung immer mehr Spontanität, Flexibilität und Eigenständigkeit abverlangt werden. Dazu passt eine Liturgie, ein Ablauf immer nach dem gleichen Muster, nicht mehr ins Lebenskonzept. Andererseits entwickeln sich in vielen Lebensbereichen (Sportveranstaltungen, Medien, Parteitagen) neue Gemein­schaftsrituale und Pseudoliturgien.

Die Industrialisierung und Verstädterung sowie Änderungen in der gesamten Gesellschaft hatten zur Folge, dass die Institution Kirche keine Vorherrschaft mehr hat. Die kirchlichen „Werte” verloren ihre Bedeutung in einer modernen Freizeit- und konsumorientierten Gesellschaft. Diese Tendenz ist besonders in Großstädten zu beobachten, die von der Entkirchlichung zeitiger und mehr betroffen waren als ländliche Räume.

Das Kirchenvolk schien bis in die 1960er Jahren „ziemlich zufrieden" zu sein. 50 Prozent kamen Woche für Woche zur Heiligen Messe. Nach dem rigorosen Umsetzen der Reformen mussten die Bischöfe und Priester den unvorbereiteten Gläubigen erklären, dass das, was kurz vorher noch gut für einen Katholiken war, nun plötzlich geächtet wurde. Die Veränderungen wurden so radikal durchgesetzt bis hin zu völlig abstrusen eigenmächtigen Gottesdiensten ohne Ordnung und Ritus, dass sich die Gläubigen mehr und mehr abwandten. Je mehr die aktive Beteiligung gefordert wurde, um so unwilliger schien die Gemeinde zu werden. Hinzu kommt, dass diese, wenn auch in Deutsch gehaltene Messe so viele formelhafte Bestandteile enthielt, die trotzdem von den Menschen nicht verstanden wurden. Und nichts ist für den Einzelnen schlimmer, als nichts zu verstehen. Solange es sowieso in einer fremden Sprache war, war es erträglich, denn das musste man ja nicht verstehen. Aber in der eigenen Sprache Sinn und Bedeutung einer Rede nicht zu verstehen hat schon etwas Erniedrigendes an sich.

In Folge der zunehmenden Entfremdung der Bevölkerung zu zentralen christlichen Glaubens­inhalten sank auch das Interesse an der Teilnahme an kirchlichen Ritualen und kirchlicher Zeremonien. Für beide Kirchen waren die durch die 1968er Studentenbewegung ausgelösten gesellschaftlichen Umbrüche eine Zeit, in der soziale Konflikte sehr deutlich hervortraten. In dieser Zeit sank die Teilnahme an den Gottesdiensten, die religiöse Praxis in den Familien und das Interesse an religiösen Fragen enorm und ließ die Menschen der Kirche generell fernbleiben. Ab 1967 hatten beide Kirchen gegen Austrittswellen zu kämpfen. Nochmalige „Höhepunkte” sind 1980 und 1992 zu verzeichnen. Da in diesen Jahren jedoch besonders viele auch aus der Evangelischen Kirche ausgetreten sind, kann es nur ein Indiz für eine generell wachsende Distanz gegenüber den Kirchen sein. Bei der Zunahme der Konfessionslosigkeit ist ein Generationen­wandel zu verzeichnen. In jeder nachwachsenden Generation finden sich in geringerer Stärke Kirchenmitglieder und in größerer Zahl Konfessionslose. Auffällig ist dabei, dass die höchste Zahl der Konfessionslosen in der Altersgruppe zwischen 20 und 40 zu finden ist.

Zunehmend sind in den letzten Jahren auch Skandale (Missbrauch, Geldverschwendung usw.) Gründe für Kirchenaustritte und damit weniger Gottesdienstbesucher. Die 1970 einsetzenden Verlustbewegungen der beiden Großkirchen sind somit bis heute nicht zum Halten gekommen.

Es treten in neuerer Zeit nicht mehr nur diejenigen, die sowieso schon lange nichts mehr mit der Kirche verbindet, aus, sondern auch viele, die sich zu dieser Kirche zugehörig fühlten, weil sie zutiefst enttäuscht wurden. Die strukturelle Unwahrhaftigkeit, die in diesen Skandalen sichtbar wurde, hat das Engagement zerstört und Sympathie in Ablehnung verwandelt und war vielen Katholiken zu viel.

Die Säkularisierung Deutschlands und der damit verbundene Traditionsabbruch in Großstädten wie Hamburg und Berlin geht aber auch ohne die entsprechenden „skandalösen Ereignisse” weiter und verschont auch nicht die ländlichen Regionen.

Die Kirchen haben an Glaubwürdigkeit verloren, was sich schwerlich wiedergewinnen lässt. Die automatische Erfassung der Kirchensteuer auf Kapitalerträge wird für die neue Austrittswelle aus den Kirchen verantwortlich gemacht.