Eine Art Biografie

Joseph Ratzinger – Der Großideologe aus Bayern

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Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI. in München (2006)
Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI.

GRAZ. (hpd) Der Theologe Joseph Ratzinger (von 2005 bis 2013 Papst Benedikt XVI.) ist einer der einflussreichsten Theologen und Kirchenmänner des 20. und 21. Jh. Mit seinen globalen Netzwerken reicht sein Wirkungsfeld weit in die Politik und in die Wissenschaft auf allen Kontinenten hinein. Da er als stark ideologisch geprägter Denker agiert, darf er mit Recht als Großideologe bezeichnet werden, denn sein Wirkungsfeld sind immerhin 1,2 Milliarden Katholiken weltweit. Hier sollen kurz die Grundlinien seiner Ideologie des Glaubens, der Moral und der Politik nachgezeichnet werden.

Unter einer Ideologie verstehen wir in der kritischen Philosophie und in der Weltanschauungsforschung ein Denkmodell, das in sich abgeschlossen ist, das einen Monopolanspruch auf Wahrheit und Geltung erhebt, das die Welt und die Gesellschaft dualistisch bzw. dichotom (gut/böse) deutet, das stereotype Feindbilder pflegt und das Herrschaftsansprüche erhebt. Eine Ideologie fordert von ihren Anhängern blinden Gehorsam und strikte Unterwefung, denn sie bezieht sich ständig auf ein Geheimwissen. Alle diese Kennzeichen treffen auf das Denken von Joseph Ratzinger ganz offensichtlich zu. [1]

Das Modell für dieses autoritäre und totalitäre Denken und Handeln war in der westlichen Kultur das politische Reichschristentum, das im Römischen Imperium ab 381 n.Chr. mit Gewalt durchgesetzt wurde. Es wurde verbunden mit dem autoritären Staatsmodell des griechischen Philosophen Plato. Dieses monopolhafte Herrschafts- und Reichschristentum war bis ins 20. Jh. politisch wirksam. Aus ihm abgeleitet wurden im 19. Jh. die großen Ideologien des Traditionalismus, des Nationalismus, des Antisemitismus, der Rassenlehre, des Imperialismus, des Militarismus, des Marxismus, des Kommunismus, im 20. Jh. der Faschismus und zuletzt die NS-Ideologie. [2]

Das Gegenmodell zur religiösen und politischen Ideologie ist das offene, demokratische und kritikfähige Denken, das von den griechischen Sophisten (Alkidamas, Antiphon) angeregt wurde und in der europäischen Aufklärung zum Tragen kam. Diese Denker und Politiker verzichten auf Monopolansprüche der Weltdeutung, sie deuten die Welt pluriform, nicht dichotom, sie benötigen keine starren Feindbilder, denn sie akzeptieren die Relativität und Veränderbarkeit ihres Denkens. Deswegen verhalten sie sich tolerant zu anderen Denkmodellen, sie suchen den Austausch mit ihnen, sie verzichten auf Geheimwissen und auf Ansprüche der Absolutheit, sie üben das kritische und selbstbestimmte Denken (I. Kant). Sie suchen den Dialog der verschiedenen religiösen und politischen "Sprachspiele". [3]

Der politische Traditionalismus

Diese Großideologie entstand in Europa zu Beginn des 19. Jh. als Gegenbewegung zur rationalen Aufklärung und zur Französischen Revolution. Ihre Vordenker waren Edmund Burke, Joseph de Maistre und Bartolomeo Cappelari, sie wollten die aristokratische Ordnung der Staaten unbedingt aufrechterhalten. Für sie gab es keine Egalität der Menschen und keine allgemeinen Menschenrechte, alle republikanischen und demokratischen Strebungen wurden als Feinde gesehen. Die Menschen bräuchten wegen der "Erbsünde" feste Normen im Leben und ewige Wahrheiten im Denken und Glauben. Der Liberalismus im Denken und Glauben führe in den Nihilismus der Lebensdeutung und in die Selbstzerstörung des Daseins. Die höchste Autorität der menschlichen Kultur müsse der Papst in Rom sein. [4]

Andere Vordenker des politischen Traditionalismus im 19. Jh. waren Rene de Chateaubriand, Louis de Bonald und Vincenzo Gioberti, sie glaubten an ewige und göttliche Ordnungen, die von Menschen nicht verändert werden dürfen. Diese Lehren wurden von allen Päpsten im 19. Jh. vertreten (Gregor XVI., Pius IX., Leo XIII.), sie kämpften gegen die Zielwerte der rationalen Aufklärung, gegen das freie Denken und Glauben, gegen den Relativismus im Denken und in der Moral, gegen die allgemeinen Menschenrechte und alle Formen der Demokratie. Die Freiheit des Gewissens, der Wissenschaft und der Vernunft dürfe es nicht geben, alle Menschen müssten sich an die alten Traditionen der Weltdeutung halten. Diese Position vertrat im 20. Jh. auch der Philosoph Martin Heidegger. [5]

Aber auch die große Mehrheit der protestantischen Theologen wollte bei den alten Traditionen der Theologie Martin Luthers bleiben. Daher kämpfte sie gegen das freie Denken in der Religion, der Moral und der Politik. Es durfte keine rationale Aufklärung, keine freie Vernunft und keine autonome Moral geben. Die konservativen Altlutheraner wollten die Bibel wörtlich auslegen, auch die Erweckungsbewegungen folgten dem traditionalistischen Denken. Die Vernunft und die Wissenschaft sollten sich der Religion unterordnen, denn sie bezog sich auf göttliche Offenbarungen und absolute Wahrheiten. [6]

Zu Beginn des 20. Jh. hatten sich in England und Frankreich bereits viele Theologen dem Denken der rationalen Aufklärung angenähert. Sie rezipierten den Liberalismus im Denken und in der Politik, sie erkannten den Wert der Demokratie und der allgemeinen Menschenrechte. Doch die große Mehrheit der deutschen Theologen hielt am Traditionalismus fest, sie sahen darin zum einen den Auftrag Martin Luthers, zum andern das Erbe des Deutschen Idealismus. Damit waren sie überzeugt, dass ihre Theologie der Gipfel der Religion für alle Menschen sei. Mit diesem Denkmodell entwarfen sie 1914 die großen Kriegslehren der Deutschen gegen die religiöse und moralische Dekadenz der Engländer und der Franzosen. Sie sprachen von einem "Kulturkrieg" gegen die Lehren der Französischen Revolution. [7] So schrieb der protestantische Theologe Ernst Troeltsch, der Krieg der Deutschen richte sich gegen die verweichlichte Humanität der Engländer und gegen die moralische Dekadenz der Franzosen. Die Deutschen hätten einen göttlichen Auftrag bekommen, die alten Werte des Glaubens und der Politik zu verteidigen. Der deutsche Geist werde nun über die Ziele der Französischen Revolution siegen, die deutsche Freiheit bestehe aber in Gehorsam und Unterordnung. [8]

Der katholische Theologe Joseph Mausbach schrieb zu Kriegsbeginn 1914, der große Krieg sei ein göttliches Gericht über die Völker Europas. Die Feinde der Deutschen müssten besiegt werden, damit sie wieder die Gottesfurcht und die Gerechtigkeit lernen. Im Krieg sei das Tötungsverbot aufgehoben, jetzt gelte eine Moral im höheren Licht. Den Soldaten sei alles erlaubt, was ihnen einen Vorteil bringt (N. Machiavelli). Denn sie kämpfen mit reinem Herzen und erfüllen einen göttlichen Auftrag. Damit werden die deutschen Heere siegen, denn sie kämpfen im Auftrag der göttlichen Vorsehung gegen die moralische Dekadenz ihrer Feinde. [9]

Der deutsche Sonderweg

Der Theologe Joseph Ratzinger steht noch heute in der Denklinie des Traditionalismus, denn er kämpft vehement gegen den Relativismus in der Moral und im Denken. Er fordert die "Entweltlichung" der Kirche, um nicht von der bösen Welt befleckt zu werden. Damit folgt er dem platonischen und neuplatonischen Denkmodell, vor allem im Anschluss an Aurelius Augustinus. Auch er kämpft fanatisch gegen das autonome und kritische Denken der rationalen Aufklärung, damit folgt er bis heute dem "Sonderweg" der deutschen Kultur. Sein Kampf richtet sich gegen den Utilitarismus in der Moral, gegen den Relativismus im Denken, gegen den Positivismus in der Erkenntnis, gegen demokratische Prozesse in der Kirche. Er sieht das wahre Christentum in den Lehren der Päpste und der Dogmen vorgezeichnet.[10]

Der Kardinal und Papst Joseph Ratzinger ist stark von seinen Lehrern (M. Schmaus, G. Söhngen, Th. Steinbüchel) geprägt, sein Vorbild ist der Bischof und Kardinal Michael von Faulhaber, der ihn zum Priester geweiht hat. Alle diese Lehrer waren strikte Gegner der rationalen Aufklärung, und sie waren "Brückendenker" zur NS- Ideologie. So schrieb M. Schmaus schon im Sommer 1933, mit der neuen Politik ende die Epoche des Liberalismus, die Willkür der Vernunft höre jetzt auf. Die Ideen der Französischen Revolution und das wirklichkeitsfremde Denken Immanuel Kants müssten überwunden werden. Denn der Liberalismus im Denken führe in den Nihilismus und zur Entwurzelung der Menschen. Die Wissenschaft und das Denken müssten sich voll der neuen nationalen Politik unterordnen. [11]