Kirchliches Arbeitsrecht vor Gericht

Wie lange wollen die Kirchen noch gegen die Wand laufen?

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Ingrid Matthäus-Maier (GerDiA)

Die Kündigung eines Chefarztes einer katholischen Klinik wegen einer Wiederheirat kann eine verbotene Diskriminierung darstellen, urteilt der Europäische Gerichtshof. Das Bundesverfassungsgericht sah das anders. Nun war wieder das Bundesarbeitsgericht gefragt. Ingrid Matthäus-Maier, Sprecherin von GerDiA ("Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz") zum Urteil des BAG vom heutigen Tag.

Wie lange wollen die Kirchen noch gegen die Wand laufen, ehe sie das menschenrechtswidrige "Kirchliche Arbeitsrecht" aufgeben? Und wie lange will sich die Politik dieses Trauerspiel noch anschauen?

Obwohl die katholische Kirche schon 2010 eine Niederlage gegen die Kündigung eines Organisten wegen Ehebruchs (Schüth-Urteil) erlitten hatte, ließ ihr das keine Ruhe. Nach Urteilen zugunsten des Chefarztes bei den Arbeitsgerichten erhob sie Verfassungsklage. Das Bundesverfassungsgericht hob das Urteil auf und verwies die Sache an das Bundesarbeitsgericht zurück. Diese berüchtigte Chefarzt-Entscheidung vom 22.10.2014 zeigt besonders eindrucksvoll die Verquickung von Staat und Kirche. Liest sie sich doch seitenweise wie ein katholischer Katechismus.

Das BAG ersuchte den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg um Auslegung der europäischen Gleichbehandlungsrichtlinie. Dieser entschied, die Anerkennung des katholischen Eheverständnisses durch den Arzt sei keine wesentliche Voraussetzung für seine Tätigkeit. Also sei die Kündigung als verbotene Diskriminierung nach Art. 21 der Charta der Europäischen Union zu werten. Dem ist das BAG jetzt gefolgt.

Das Kirchliche Arbeitsrecht diskriminiert über 1,3 Millionen Menschen in den Kirchen, Caritas und Diakonie. Ob Kirchenaustritt oder Nichteinstellung Konfessionsfreier Menschen (bei der katholischen Kirche auch noch Homosexualität): keinen Millimeter gibt die Kirche freiwillig auf. Auch jetzt noch behält sie sich eine Verfassungsbeschwerde vor. Auch die evangelische Kirche beharrt auf der Kirchenmitgliedschaft bei Einstellung trotz eines anderslautenden BAG-Urteils.

Auch das Streikrecht lehnen die Kirchen trotz eines gegenteiligen Urteils des BAG ab. Es ist ein Trauerspiel, dass sich die Politik dieses Unrecht über Jahrzehnte anschaut, ohne aktiv dagegen vorzugehen. Und das, obwohl die Kirchen enorme Mitgliederverluste haben und die Konfessionsfreien schon jetzt über 37 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Und es namhafte Stimmen in den Kirchen gibt, das Kirchliche Arbeitsrecht zumindest in den verkündigungsfernen Bereichen abzuschaffen.

Die Adenauer-Regierung hat 1952 den § 118 Abs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes eingeführt eingeführt, wonach dieses Arbeitnehmerschutzgesetz für Kirchen nicht gilt. Dieser Absatz kann ohne weiteres vom Bundestag abgeschafft werden. Denn gemäß Abs. 1 gilt der sogenannte Tendenzschutz auch für konfessionelle Einrichtungen. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum Kirchen anders behandelt werden als AWO, Rotes Kreuz oder der Paritätische Wohlfahrtsverband. Die Politik muss jetzt handeln.