Skeptiker 2/2023 erschienen

Gemüse und Käse aus Demeter-Landbau gilt bei manchen Verbrauchern als das "bessere Bio", Waldorfschulen haben ein gutes Image als Alternative zur Regelschule. Erst bei näherem Hinschauen ist erkennbar, dass Demeter-Landbau und Waldorfschulen auf ein und derselben esoterischen Weltanschauung beruhen, der Anthroposophie. Doch was ist das überhaupt? Für die neue Skeptiker-Ausgabe haben sich zwei Autoren kritisch mit dieser Lehre und einigen problematischen Aspekten auseinandergesetzt.

Den Anfang macht der Anthropsophiekenner, Pädagoge und Buchautor André Sebastiani, der auch auf der "SkepKon" im Mai einen Talk zum Thema beitrug. In seinem Artikel zeichnet er die Geschichte der Bewegung nach, vom Begründer Rudolf Steiner (1861–1925) und seiner Zeit bis in die Gegenwart. Sein Fazit: Nicht nur das Konzept Waldorfschule ist fragwürdig und veraltet, auch das überholte Wissenschaftsverständnis der Anthroposophie bedarf dringender Korrekturen.

Steiners Weltbild war geprägt von angeblichen geistigen Ebenen, Karmaglauben und einer Art kosmischen Evolution. Demnach würde die Menschheit im Lauf der Geschichte mehrere Bewusstseinsstadien durchlaufen und sich immer höher entwickeln. Diese Idee verknüpfte der Anthroposophie-Begründer mit einer kruden Rassenlehre voller Klischees und angereichert mit "neuen abstrusen okkulten Rechtfertigungen", wie der Religionsphilosoph Ansgar Martins im zweiten Beitrag des Anthroposophie-Schwerpunkts schreibt. Bis heute taucht derart rassistisch-esoterisches Gedankengut immer wieder an Waldorfschulen auf, obgleich Kritiker seit Jahrzehnten auf die Problematik hinweisen. Dennoch tun sich Anthroposophen schwer, den Rassismus, Antisemitismus und Deutschnationalismus in den Werken ihres Gründervaters kritisch aufzuarbeiten. Zwar verspricht eine eigens eingerichtete Homepage "Informationen, Aufklärung, Stellungnahmen". Deren Macher belassen es jedoch weitgehend bei Apologien und Verharmlosungen, wie Martins darlegt. Eine vertane Chance, möchte man anmerken.

Einfach, plausibel und falsch – nach diesem Muster sind erfolgreiche Schwurbeltheorien gestrickt. Häufig kommt, vor allem in der Pseudomedizin, der Anspruch auf allgemeingültige Erklärungen hinzu, den ein weiterer Beitrag im Heft betrachtet. Wie der Autor Udo Endruscheit schreibt, spielt etwa in der anthroposophischen Medizin die Karmalehre eine bedeutende Rolle für die Erklärung individueller Erkrankungen, während die Traditionelle Chinesische Medizin dafür eher ein Ungleichgewicht der angenommenen Lebenskraft Chi verantwortlich macht. Die Bachblüten-Lehre wiederum sucht Krankheitsursachen ausschließlich in emotionalen beziehungsweise psychologischen Auffälligkeiten bestimmter Persönlichkeitstypen. So widersprüchlich diese Behauptungen auch sind, tauchen sie mitunter trotzdem nebeneinander im Repertoire desselben Anbieters auf. Diese Irrationalität werde teilweise sogar öffentlich gefördert, beklagt der Autor Udo Endruscheit. Deshalb ruft er zur Verständigung zwischen der (Medizin-)Wissenschaft und dem Publikum sowie zur skeptischen Aufklärung auf.

In der Debatte um "Satanic Panic" und Falscherinnerungen (false memories) warnen indes immer mehr Fachleute vor fragwürdigen Narrativen und Therapiemethoden, vor allem in Zusammenhang mit der Verschwörungstheorie vom satanistischen rituellen Missbrauch. Eine bedeutende Rolle spielen hier die Fehleranfälligkeit des Gedächtnisses und die Anfälligkeit für suggestive Beeinflussung. Beides gehört zum Forschungsgebiet der Psychologin Prof. Aileen Oeberst von der FernUniversität Hagen, mit der Skeptiker-Chefreporter Bernd Harder fürs aktuelle Heft ein Interview geführt hat. In ihren Studien konnte Oeberst belegen, wie einfach es ist, Menschen durch suggestive Gespräche falsche Erinnerungen einzupflanzen, etwa an ein erfundenes Ereignis in der Kindheit. Nach nur drei Sitzungen innerhalb von zwei Wochen hielten bis zu 56 Prozent der Probandinnen und Probanden die falsche Erinnerung für authentisch – viele glaubten, sie hätten sie lediglich zwischenzeitlich vergessen. Interessanterweise konnten viele falsche Erinnerungen in einer zweiten Studie wieder rückgängig gemacht werden, indem Oeberst und ihr Team die Versuchspersonen über das Phänomen der Falscherinnerung aufklärten. Echte Erinnerungen blieben von dieser Intervention weitestgehend unberührt, wurden also nicht "gelöscht".

Besonders bedeutsam sind diese Ergebnisse vor dem Hintergrund des Verschwörungsmythos vom satanistisch-rituellen Missbrauch, wie sie von einigen Traumatherapeutinnen und -therapeuten vertreten wird. Durch suggestive Behandlungstechniken induzieren sie bei ihren Klientinnen falsche Erinnerungen, sie seien in der Kindheit Opfer von sexuellem Missbrauch und anderen schweren Straftaten durch geheime mächtige Netzwerke geworden. Dann heißt es, die Erinnerungen seien lange verdrängt und erst in der Therapie wieder zutage getreten. Wie Oeberst betont, arbeiten die Therapeutinnen und Therapeuten mit besten Absichten, doch für die Klientinnen sind die Folgen gravierend. Viele brechen mit der Familie, fürchten eine Verfolgung durch die angenommenen Täter. Um die Handlungsweise dieser Traumatherapeuten zu verstehen, müsse man zunächst deren subjektive Wahrheit ernst nehmen. "Natürlich gibt es sexuellen Missbrauch mit einem großen Dunkelfeld. Niemand bestreitet das", betont die Psychologin. In keiner Weise gehe es darum, tatsächlichen Missbrauch zu verkennen oder zu relativieren. "Aber wir brauchen nicht noch zusätzliche Opfer, die eigentlich Opfer ihrer Therapeutinnen und Therapeuten sind. Und auch diejenigen, die sich selbst als Betroffene definieren, benötigen Hilfe. Da ist offenkundig echtes Leid dahinter, und zwar ganz massiv. Trotzdem müssen wir uns für bessere therapeutische Standards einsetzen, schädliche Behandlungsansätze identifizieren und vermeiden."

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