Abschlussbericht der Kommission "Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat" von Bündnis 90/Die Grünen

Ein Fortschritt, doch es bleiben Wünsche offen

BERLIN. (hpd) Der Bericht sollte nach dem Einsetzungsbeschluss der Kommission auf der BDK der Grünen im Oktober 2013 "das Verhältnis Staat, Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften auf eine neue Grundlage stellen" und ein umfassendes Konzept für eine Reform dieses Verhältnisses vorlegen. Diese weitreichende Zielsetzung löst das Papier aber nur bedingt ein.

Es bleibt festzuhalten, dass auf insgesamt 39 Seiten etliche Forderungen enthalten sind, die in der Diskussion um das Verhältnis von Kirche und Staat seit langem erhoben werden und leider bis heute nicht verwirklicht worden sind. Ich erinnere an das Kirchenpapier der FDP "Freie Kirche im Freien Staat" von 1974 oder die Forderungen von GerDiA (Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz) zum kirchlichen Arbeitsrecht aus den letzten 5 Jahren oder das Forderungspapier der sozialdemokratischen Laizisten aus dem Jahre 2010. Hinter diesen Papieren bleibt die Kommission der Grünen erkennbar zurück. Aber zu begrüßen sind insbesondere folgende Positionen:

  1. Der Bericht stellt stellt zutreffend fest, dass die sog. Negative Religionsfreiheit, d.h. "die Freiheit, keinen Glauben oder keine Weltanschauung zu haben, in der Religionspolitik bislang meist vernachlässigt oder gar ignoriert worden ist." Da dies in der politischen und juristischen Diskussion überwiegend geleugnet wird (als konfessionsfreie Bürgerin in NRW weiß ich, wovon ich rede), ist diese Klarstellung schon einmal positiv zu bewerten.
  2. Die beiden großen Kirchen haben den Satz in Art. 137 Weimarer Reichsverfassung (WRV), der durch Art.140 GG Bestandteil des GG geworden ist ("Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes") mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts zu einem "Selbstbestimmungsrecht" uminterpretiert, mit dem sie die Rechte ihrer Mitglieder, aber auch der Konfessionsfreien z.B. im kirchlichen Arbeitsrecht trotz der Schranken anderer Gesetze massiv einschränken. Es ist zu begrüßen, dass das Papier diese Uminterpretation nicht mitmacht und durchgängig von Selbstordnung und -verwaltung spricht.
  3. Die Forderung, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)sei effektiver zu gestalten, ist zu begrüßen. Dies reicht aber nicht aus. Der geltende § 9 widerspricht m.E. unserem Grundgesetz und auch der Europäischen Richtlinie, aufgrund derer das Gesetz eingeführt wurde. Deshalb hatte die EU-Kommission schon vor Jahren ein Verfahren gegen die BRD in Gang gesetzt, das aber beendet wurde, nachdem die deutsche Regierung der EU-Kommission zugesagt hatte, den § 9 AGG "richtlinienkonform" auszulegen – was natürlich zeigt, dass der Wortlaut eben nicht richtlinienkonform ist. Das Wort "Selbstbestimmungsrecht" muss im AGG in § 9 gestrichen werden. Immerhin kann sich der Bericht dazu durchringen, den Paragraphen enger zu fassen.
  4. Da in vielen Regionen fast keine öffentlichen Einrichtungen vorhanden sind, sondern große Teile der Wohlfahrtspflege in kirchlicher Trägerschaft organisiert sind, wird "die pluralistische Fortentwicklung von Angeboten unterstützt", damit den Menschen möglichst plurale Angebote zur Verfügung stehen. Eine Mindestforderung!!
  5. Im Bestattungswesen soll den unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen Rechnung getragen werden, z.B. kein Friedhofszwang bei Urnenbeisetzungen mehr.
  6. Bei Gedenk- und Trauerritualen (z.B. nach einem Unglück) wird die Ausschließlichkeit, mit der der Staat das Trauerritual den beiden großen Kirchen überlässt, kritisiert. Konfessionsfreie würden dadurch ausgegrenzt. Dies solle überprüft werden mit dem Ziel die gesellschaftliche Pluralität angemessen abzubilden.
  7. Zur Thema "öffentlich-rechtliche Körperschaft" fragt der Bericht, "ob das geltende Recht pluralitätsfreundlich und zeitgemäß ist", stellt aber dazu keine konkreten Änderungsforderungen auf. Immerhin stellt er fest, dass die 4 großen muslimischen Verbände (Ditib, Islamrat, Zentralrat der Muslime, V.I.K.Z.) nicht die Voraussetzungen erfüllen, um als ö-r Körperschaft anerkannt zu werden.
  8. Es wird die Einrichtung eines Lehrstuhls für Humanistik gefordert. Das wäre mittlerweile dringend erforderlich.
  9. Die Forderung nach Pluralität in den ö-r Medien ist ebenfalls zu begrüßen. Es wird kritisiert, dass bei der Neufassung des ZDF-Staatsvertrags z.B. Humanisten wieder nicht berücksichtigt worden sind. Da das vor wenigen Tagen neu gegründete Säkulare Netzwerk in NRW sich gerade um einen Platz im WDR-Rundfunkrat bemüht, wird interessant sein zu sehen, wie der Rot-Grün dominierte Landtag entscheidet. Auch die Forderung nach Sendeplätzen ist zu begrüßen.
  10. Bei der Feiertagsregelung wird eine Lockerung empfohlen wie z. in Berlin und Bremen.
  11. Der Blasphemieparagraph § 166 StGB soll gestrichen werden. Auch eine alte Forderung der Säkularen Verbände.
  12. Zum Dritten Weg (kirchliches Arbeitsrecht) werden Reformen gefordert. Die Kommission sieht dringenden Reformbedarf. Wohl wahr. Aber bei den Forderungen bleibt das Kapitel merkwürdig weich. So soll § 118 II Betriebsverfassungsgesetz "überprüft" werden. Wie der Bericht später feststellt, würde eine Streichung des 2. Absatzes des § 118 BetrVerfG durch Abs. 1 den Kirchen den Tendenzschutz für verkündigungsnahe MitarbeiterInnen erhalten. Also nicht prüfen, sondern streichen.
  13. Zu den Kirchenfinanzen steht die Forderung nach Transparenz im Vordergrund. Zwar gebe es bisher keine gesetzliche Rechnungslegungspflicht. Es sei zu prüfen, ob dies gesetzlich geändert werden kann, da man von ö-r Körperschaften eine Offenlegungspflicht verlangen kann.
  14. Zur Kirchensteuer gibt der Bericht zu, dass es sehr unterschiedliche Meinungen in der Kommission gibt: zwischen Beibehalten und Abschaffen liegt die Bandbreite. Diese Mutlosigkeit ist zu bedauern. Angesichts der unterschiedlichen Meinungen hat man sich auf Reformen innerhalb des bestehenden Systems geeinigt, die aber nicht immer genau formuliert sind. Verwirklichung des Datenschutzes: Arbeitgeber und Banken sollten nicht ohne zwingenden Grund Informationen über die Religionszugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit erhalten. Ja, was denn nun?? Also müsste der staatliche Kirchensteuereinzug abgeschafft werden. (So war es übrigens in Weimar bis etwa 1925). Und dass der Arbeitgeber die Kirchensteuer einzieht, gibt es erst seit 1934, eine Regelung, die in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Reichskonkordat geschaffen wurde. Da hat die Kommission der Mut verlassen. Immerhin ringt man sich dazu durch, den Kirchenaustritt zu erleichtern: keine Gebühren!! Und dass man die Austrittsbescheinigung bis an sein Lebensende verwahren muss, weil sonst die Kirche wie in Berlin mit Hilfe des Staates ("Rasterfahndung") Kirchensteuer-Nachzahlungen erhebt, wird kritisiert. Es "muss ein System gefunden werden, das den Kirchenaustritt für alle Beteiligten rechtssicher macht". Alles in allem hat der Bericht die Ungerechtigkeiten des Kirchensteuersystems gut beschrieben, aber hat den Mut zu einer wirklichen Reform nicht aufgebracht.
  15. Zu den "Staatsleistungen", die nach Art. 138 WRV iVm Art.140 GG abzulösen sind, fordert der Bericht die Einrichtung einer Expertenkommission. Nachdem sich der Gesetzgeber 100 Jahre lang geweigert hat, sich an die Umsetzung von Art. 138 zu machen, ein Fortschritt. Aber wenn es dann weiter heißt, es ginge dort um große Summen, die auf die öffentliche Hand bei der Ablösung zukommen, ist man schon wieder desillusioniert: nachdem Kirchen seit 1803 (Reichsdeputationshauptschluss) 200 Jahre lang Entschädigungsleistungen kassiert haben, dürfte m.M nach die Ablösesumme heute bei Null liegen, um "große Summen" kann es also nicht gehen.
  16. Zu begrüßen ist die Passage zur Beschneidung. Es wird vorgeschlagen, das Gesetz vom 12. 12. 2012 nach einer Frist von 5 Jahren zu evaluieren.

Alles in allem ein Fortschritt. Wenn man aber bedenkt, dass z.B. das FDP-Kirchenpapier schon vor über 40 Jahren schreibt, dass der Status einer ö-r- Körperschaft für Kirchen nicht geeignet ist und stattdessen ein neues Verbandsrecht fordert, dass die Kirchensteuer durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen ist, dass fast überall in vergleichbaren Ländern in Europa mit großem Erstaunen die enge Verflechtung von Staat und Kirche in Deutschland gesehen wird, bleiben aus der Sicht konsequenter Säkularer entscheidende Wünsche offen.