Horst Herrmann

Ein paar Worte über Gott

"… Was jedermann oft für ausgemacht hält, verdient am meisten untersucht zu werden" (Georg Christoph Lichtenberg). Und am eindeutigsten ausgemacht scheint das Bild zu sein, das Millionen sich von Gott machen. Horst Herrmann nimmt das nicht hin und versucht, andere Perspektiven aufzuzeigen.

Findet sich für das Christentum, wie wir es kennen lernten, eine Zukunft? Nein. Hat die Kirche, die wir direkt oder indirekt bezahlen, mit Gott zu tun? Nein. Ist die Bibel Gottes Wort? Nein. Ist Jesus von Nazaret selbst Gott? Nein. Existiert ein Gott in drei Personen? Nein. Lebt überhaupt ein Gott? Ja.

Genug zu fragen. Zu antworten auch. Eine Herausforderung jedenfalls, für manche eine Kampfansage, eine Brüskierung sogar. Allerdings: Wie ich die Verhältnisse kenne, wird die Attacke zumeist auf eine Masse von gelangweilten Gläubigen treffen.

Unwissen, Angst, mangelnde Fairness finden sich bei kirchlich gebundenen Menschen - und besonders bei ihren geistigen Führern. Die vom Landpfarrer über den Theologieprofessor bis zum Papst anzutreffenden Finessen der Argumentation versuchen, Vernunft und Glauben in Einklang zu bringen. Sie verfangen immer seltener. Gleichwohl verneinen oder verdrängen Gläubige die Widersprüche ihrer Konfession - und diese wird von staatlicher Seite nach wie vor besonders geschützt. Keine Symptome für den Zustand unserer Gesellschaft?

Ich respektiere gläubige Menschen. Ich habe ein Leben lang mit ihnen zu tun gehabt. Gerade deswegen lässt mir eine Erfahrung keine Ruhe: Die meisten ziehen immer noch die Welten ihres Kinderglaubens einer aufgeklärten Realität vor.

Was mich seit Jahrzehnten aufregt: Christen wissen kaum etwas von ihrer eigenen Konfession. Einige wenige wissen zwar einiges. Doch sie sind nicht mutig genug, Konsequenzen zu ziehen und Trauerarbeit zum Ende des Christentums zu leisten. Immer wieder sehen, nichts wissen wollen, nichts tun. Millionen von Opfern, die das Christentum auf dem Gewissen hat, schlucken - nichts bereuen. Ein Sehen, das nicht hilft, ein Wissen, das nicht nutzt.

Doch immer mehr Menschen spüren mittlerweile, dass etwas nicht stimmt. Und nicht nur mit der Kirche, sondern mit dem Gott, den sie uns präsentiert. Mit dem Bild, das sie von ihm zeichnet. Mit dem Glauben, den sie vorschreibt. Ich gehe davon aus, dass nicht wenige wissen wollen, was los ist - und kein Eingeweihter es verrät. Weil keiner den Ast absägt, auf dem er sitzt.

Doch einen "Amtsgott", der allein in die klerikale Schublade passt, achte ich nicht. Ich hoffe, dass sich niemand auf eine falsche Fährte locken lässt von jenen, die Jahrhunderte hindurch mit endgültigen Unwahrheiten Geld gemacht haben und es weiter machen. Hoffentlich ist unser Mut groß genug, sich nicht mehr anlügen zu lassen. Hoffentlich verfliegt der Weihrauch. Hoffentlich wird eines Tages die Luft so rein, dass Menschen atmen können. Religiöse Diktate leben von Legenden und von der Angst der Menschen.

Ein Gott der Liebe, der Angst verbreiten lässt? Welche Schuld haben Verantwortliche über Jahrhunderte hinweg auf sich geladen? Dürfen Menschen dazu da sein, auf den Knien zu liegen und jene auch noch zu bezahlen, vor denen sie knien?

Ein gewandeltes Gottesbild ist dringend nötig. Bitte. Liebe Atheistinnen und Atheisten, macht es Euch nicht zu einfach und erklärt, es gäbe überhaupt keinen Gott. Diese Antwort ist mir, dem Agnostiker, zu vorschnell – und sie ist auch nicht geeignet, die Zig Millionen Gottgläubiger zu überzeugen, die den Kirchengott nach wie vor für den einzig wahren halten.

Um diese Menschen, die da mitten unter uns leben und sich die herrschende Gottesindustrie nach wie vor bieten lassen, kümmere ich mich hier. Ich würdige das oft lebenslange Leiden vieler am Glauben. Ich mache es freilich so kurz wie möglich und biete nur einige thesenhafte Perspektiven an.

  1. Gott ist für viele etwas, woran sie glauben, weil sie glauben, dass alle daran glauben. Und Darstellungen des Glaubens verkommen zu Beschäftigungstherapie und Folklore. Speziell in Deutschland erfriert der Glaube unter der Decke wärmster Kirchenfinanzierung.
  2. Das Einzige, was wir über Gott wissen, ist, nichts zu wissen. Mancher Philosoph sieht sich freilich der  wunderlichen Aufgabe ausgesetzt, Beweise für Doktrinen beizubringen, deren Gültigkeit Priester bereits beschlossen haben (Ludwig Klages). Wo Gott drauf steht, ist aber Kirche drin. Diese ist freilich fundamental verschieden von einem jungen, nicht ausgezehrten Gott, der sie nicht gewollt hat.
  3. Wer sich kritisch mit dem Bild eines Amtsgotts auseinandersetzt, wie es die Kirche noch immer verbreitet, wird folgerichtig mit dieser brechen. Doch hat er damit nicht mit Gott gebrochen.
  4. Es waren Menschen, die Gott gefesselt haben. Es sollten Menschen sein, die ihn befreien.
    Es waren Menschen, die sein Tun verkürzt haben. Es sollten Menschen sein, die es weiten.
    Es waren Menschen, die Gott überladen haben. Es sollten Menschen sein, die ihn entlasten.
  5. "Man nennt Gott geduldig, und das muss er auch sein, sonst hätte er die Geistlichkeit schon längst ins Verderben gestürzt für die grausigen Anerkennungen, die sie ihm bezeugt" (Mark Twain).
  6. "Gott schweigt. Und er schweigt, weil er Atheist ist"(Miguel de Unamuno y Jugo).
  7. Kein Wunder, dass der Höchste zugleich der Allwissende und Allmächtige sein musste. Und im patriarchalen Umfeld machte sich ein Vatergott besonders gut. Er ließ alle frühen Muttergottheiten unter sich.
  8. Ich könnte weder mit einem Gott als Herrn noch mit einem patriarchal gesicherten Vatergott leben, doch immer mit einem Freund. Ich gehe davon aus, dass es sehr vielen ebenso geht.
  9. Die Bibel besitzt kein Monopol auf Gotteserfahrungen. Ein solches ist ihr erst aus ziemlich eigennützigen Gründen zugeschrieben worden. Sollte Gott wirklich Waschanlagen für Gehirne wollen? Vernunftreduzierte Menschen suchen? Ein Psycho-Spiel treiben, das an Perfidie kaum zu toppen ist? Eine Dreistigkeit der Leerformeln schätzen, die einer religiösen Maschinerie und ihren Betreibern Macht erhält?
  10. Wir sollten einen geduldigen Gott schätzen, wenn überhaupt. Freundschaft braucht Geduld. Und warum sollte Gott nicht mit Geduld auf das reagieren, was Menschen mit ihm anstellen? Indem sie irrige Gottesbilder fabrizieren und diese noch als die richtigen ausgeben? Ich plädiere für eine Haltung, die ich hypomonistisch (vom griech. hypomonä, Geduld) nenne. Wir sollten Geduld aufbringen für einen seinem Wesen nach geduldigen Gott - und für uns selbst. Geduld in diesem Sinn hat mit Nachhaltigkeit und Hoffnung zu tun. Die Kategorie der göttlichen wie der menschlichen Geduld wird allerdings noch viel zu wenig beachtet. Sie ist bisher weder in der Theologie noch in der Anthropologie zu Hause. Geduld ist eine besondere, wenn auch meist völlig unterschätzte Haltung Gottes. Wir können sie überhaupt nicht angemessen einordnen, weil unsere Kategorie Zeit nicht auf Gott zutrifft. Gott rechnet nicht in unseren Zeiträumen. Seine Geduld betrifft die Bereitschaft, nicht nur die Entwicklung der Evolution, sondern auch die des einzelnen Menschen abzuwarten. Er plant die Evolution nicht, steckt ihr keine Ziele. Den Menschen als Krone der Schöpfung auszugeben, ist eine evolutionsferne Unart.