Angst vor Globalisierung oder Angst vor sozialem Abstieg?

Ende November stellte die Bertelsmann-Stiftung eine für die EU repräsentative Befragung vor, aus der hervorging, dass Europa gespalten ist: Knapp die Hälfte der Bevölkerung sieht in der Globalisierung eine Bedrohung. Die Werte schwanken zwischen 36 Prozent in Großbritannien und 55 in Österreich, für den EU-Durchschnitt ergaben sich 45 Prozent. Die Anhänger rechtspopulistischer Parteien wie der AfD (78 Prozent), des französischen Front National (76) und der FPÖ in Österreich (69) sehen sich durch die Globalisierung deutlich stärker bedroht als die anderen EU-BürgerInnen.

Wer hinter die Angst vor Globalisierung schaut, fragt sich erstaunt: Haben die Menschen Angst davor, wenn die Autokonzerne die Farbe ihrer Blinklichter vereinheitlichen oder wenn Firmen aus der EU erfolgreich ihre Waren exportieren? Gewiss nicht. Schaut man sich Untersuchungen an, die nach der Angst vor sozialem Abstieg fragen, so wird deutlich, dass mehr als die Hälfte der Deutschen Befürchtungen in diese Richtung haben. Das bedeutet, diese Ängste sind auch in weiten Teilen der Mittelschicht virulent. Von daher ist zu vermuten, dass die Bedrohung durch die Globalisierung vor allem in den negativen Folgen für die eigene Situation gesehen wird. Die Angst vor der Globalisierung ist im Kern die Angst vor dem sozialen Abstieg. Bedauerlicher Weise haben die Autoren der Bertelsmann-Studie diesen Zusammenhang nicht genauer nachgefragt.

Und in der Tat haben viele Menschen gute Gründe diese Art der Globalisierung zu fürchten: Seit Bundeskanzler a.D., Gerhard Schröder, unter der rotgrünen Bundesregierung ab 2003 seine neoliberalen „Reformen“, besser bekannt als Harz IV, umgesetzt hat, ist die soziale Gerechtigkeit unter die Räder gekommen. Die Sozialsysteme erlebten einen Kahlschlag sonder Gleichen, viele Menschen müssen unter prekären Verhältnissen leben und rund ein Viertel der Beschäftigten arbeitet im Niedriglohnsektor, in dem sie weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns verdienen. Vor allem die reichsten zehn Prozent der Bundesbürger haben von dieser neoliberalen Ausrichtung der Globalisierung profitiert. Die Globalisierung diente und dient als Vorwand um die neoliberalen Grausamkeiten zu legitimieren und durchzusetzen.

Am meisten fürchten sich die Globalisierungsgegner nach den Ergebnissen der Bertelsmann-Umfrage vor den Flüchtlingen in ihren jeweiligen Ländern. Auch bei der Flüchtlingsfrage liegt die Vermutung nahe, dass es weniger um die Angst vor Fremden geht als um die Befürchtung, das Wenige, das man noch hat, mit anderen Bedürftigen teilen zu müssen. So ist kaum zu bestreiten, dass die Flüchtlinge die Konkurrenz um günstige Wohnungen, Arbeitsplätze und soziale Leistungen verschärfen. Wer seit Jahren oder Jahrzehnten erleben muss, wie er oder sie sich von prekärer Arbeit nur mühsam oder nur mit einem zweiten Job über Wasser halten kann und eine Rente zu erwarten hat, die nicht oder nur unwesentlich über dem Grundsicherungssatz liegt, wird nicht gerade optimistisch in die Zukunft blicken. Wer dann erleben muss, wie die Politik, die ihn hat fallen lassen, für die Flüchtlinge Hunderte von Millionen Euro für Wohnungen und Integration in den Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen kann, wir vermutlich mit Angst, Verunsicherung oder Wut reagieren. Viele von diesen Menschen werden nicht unbedingt zu Fremdenfeinden, aber sie orientieren sich an populistischen Parolen und Parteien, um es der Politik, die sie vergessen hat, endlich einmal zu zeigen.

Ausdrücklich sei hier festgehalten, das weder ein Automatismus zwischen prekärer Situation und Fremdenfeindlichkeit konstruiert noch Fremdenfeindlichkeit entschuldigt werden soll. Vielmehr geht es darum, nach einer Erklärung für das Verhalten vieler Mitläufer und Wähler rechtspopulistischer Parteien zu suchen. Dass die Köpfe dieser Parteien ganz andere Interessen und Motive haben, ist unbestritten.

Wenn Politiker ernsthaft verhindern wollen, dass die Populisten weiterhin Zulauf bekommen, sollten sie als eine der ersten Maßnahmen den Niedriglohnsektor eindämmen und den Mindestlohn kräftig erhöhen, so dass die Betroffenen ein menschenwürdiges Leben führen können.