Denken der Elite und „soziale Herkunft“

(hpd) Der Soziologe Michael Hartmann geht in seiner Studie der Frage nach, wie die Angehörigen besser gestellter gesellschaftlicher Kreise über die soziale Entwicklung denken und welche Einflussfaktoren dafür von besonderer Bedeutung sind. Der Autor kann überzeugend den hohen Einflussfaktor der „sozialen Herkunft“ identifizieren und warnt vor den mit dieser Entwicklung einhergehenden Gefahren für die Demokratie.

Nicht nur in Deutschland lässt sich ein steigendes Auseinanderklaffen von Arm und Reich ausmachen. In der Bevölkerung findet diese Entwicklung laut Meinungsumfragen eine kritische Kommentierung, welche sich aber weder in Protesten noch in Wahlentscheidungen manifestiert. Doch wie reagiert eigentlich die Elite in Politik, Staat und Wirtschaft auf diesen gesellschaftlichen Prozess? Welche Deutungsmuster lassen sich dort ausmachen und worin können die Ursachen für ihre Ausrichtung gesehen werden?

Diesen Fragen geht der Darmstädter Soziologe Michael Hartmann nach. Bekannt geworden ist der Eliteforscher durch Studien wie „Der Mythos von den Leistungseliten“ (2002), worin deutlich aufgezeigt werden konnte: Die soziale Herkunft und nicht die individuelle Leistung bildet immer noch den entscheidenden Faktor für den sozialen Aufstieg in die Elite. In seiner neuen Studie „Soziale Ungleichheit. Kein Thema für Eliten?“ geht es Hartmann um die Gründe für die Deutung der angesprochenen Entwicklungen durch Führungsrepräsentanten.

Am Beginn stehen Ausführungen zum Sozialprofil der deutschen Elite, die überdurchschnittlich alt, überwiegend männlich und in der alten Bundesrepublik geboren sei. Als noch herausragende Besonderheit gilt Hartmann die überproportional hohe soziale Herkunft aus den oberen vier Prozent der Bevölkerung. Zwar entstammten auch zwölf Prozent der Arbeiterschaft, aber fast zwei Drittel aus Bürgertum und Großbürgertum.

In seiner Studie fragt der Autor nun danach, inwieweit die unterschiedliche soziale Herkunft von Eliteangehörigen auch zu unterschiedlichen politischen Deutungen der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung führen. Dabei unterscheidet er Teilbereiche wie etwa Justiz und Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Während etwa im Bereich der Politik der Anteil von Arbeiterkindern mit fast 22 Prozent noch relativ hoch in der Elite sei, sei er im Bereich der Wirtschaft mit knapp sechs Prozent besonders niedrig. Dies spielt dann auch für das Meinungsbild der Elite eine herausragende Rolle:

„In den meisten Fragen, von dem Verhältnis zwischen Leistung und sozialen Unterschieden über die Ursachen der Finanzkrise bis hin zu den notwendigen politischen Maßnahmen in der Finanz- und Arbeitsmarktpolitik zeigt sich neben deutlichen sektorellen Einflüssen, vor allem zwischen den gesellschaftlichen Organisationen und der Politik auf der einen sowie Wirtschaft und Verwaltung auf der anderen Seite, durchweg auch ein entscheidender Einfluss der sozialen Herkunft. Arbeiterkinder antworten in der Regel anders als Großbürgerkinder, Mittelschichtenkinder häufig anders als Bürgerkinder, und zwar quer durch alle Sektoren“ (S. 162f.).

Bei der Frage „Warum kam es zur letzten Finanzkrise?“ ließ sich dieser Kontext gut beobachten: Während die Eliteangehörigen aus höheren Kreisen die Staatsverschuldung durch Sozialleistungen dafür verantwortlich machten, stellten die Eliteangehörigen aus der Arbeiterschicht auf die Folgen der Deregulierung des Sozialstaates ab. Somit ist die Einstellung der Eliten „eindeutig geprägt von ihrer sozialen Herkunft“ (S. 170).

Erneut legt Hartmann, einer der wenigen ausgewiesenen und kritischen Eliteforscher, eine beachtenswerte und überzeugende Studie zur Entwicklung in den oberen Etagen der Gesellschaft vor. Ihm gelingt es im Unterschied zu manch anderen Soziologen auch, die Ergebnisse seiner Untersuchung gut strukturiert und verständlich zu präsentieren. Seine folgende Konsequenz bedarf auch aus demokratietheoretischen Gründen der Aufmerksamkeit: „Das bedeutet, dass die Eliten in ihrer Gesamtheit sich von der Bevölkerung sowohl in ihrer sozialen Zusammensetzung als auch in ihrer gesellschaftspolitischen Grundhaltung deutlich unterscheiden. Sie sind horizontal recht gut integriert, vertikal aber relativ schlecht“ (S. 180).

Ganz im Sinne der Rede von der „Postdemokratie“ (Colin Crouch) warnt Hartmann vor einer schleichenden Aushöhlung der Demokratie, die mit den Hinweisen auf „Alternativlosigkeit“ und „Sachzwänge“ zu einer immer stärkeren Abkopplung der Politik von der Mehrheitsgesellschaft im Interesse der Wirtschaftselite führt.

Armin Pfahl-Traughber

Michael Hartmann, Soziale Ungleichheit. Kein Thema für die Eliten?, Frankfurt/M. 2013 (Campus-Verlag), 250 S.