Ein Erlebnisbericht

Dortmunder Westfalenhalle tagelang von seltsamer Glaubensorganisation besetzt

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In Dortmund fand vergangene Woche der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag statt. Auf dem Messegelände "Westfalenhallen" richtete sich der Kirchentagsveranstalter mit einem bunten Standangebot an die Gläubigen. Ungläubige hingegen versetzte dieses Angebot eher ins Staunen. Ein Erlebnisbericht von Ingo Eitelbach.

Mittlerweile ist es schon fast Tradition, dass die alljährlichen Feierlichkeiten der Gemeinschaft der Erbsünder, genannt Christen, vom 11. Gebot, einer Kunstaktion der Giordano-Bruno-Stiftung, aufklärerisch begleitet wird. Im Juni 2019 suchte die evangelische Kirche die Stadt Dortmund heim und ließ sich ihre Fete ordentlich aus staatlichen Geldern mitfinanzieren. Seit dem Katholikentag 2018 in Münster soll es ebenfalls zur Tradition werden, dass das Team die Aktivitäten nicht nur auf den Standort des Moses beschränkt, sondern die wichtige Arbeit mitten in den Kirchentag hineinträgt.

So wollten wir am Samstag bei wunderbarem Sonnenschein einen Ausflug zur Westfalenhalle machen, dem Messegelände der Stadt Dortmund, wo der zentrale Teil des Kirchentags stattfand. Der Weg zur U-Bahn wurde uns jedoch gleich von Anhängern des Kreationisten Werner Gitt versperrt, die ihr Buch "36 Argumente für Gott" verteilten und der festen Überzeugung sind, dass die Erde so um die 6.000 Jahre alt ist. Nach dem üblichen Geschwafel, dass es keine Beweise für den Übergang von einer Art zur nächsten gäbe und es doch nicht sein kann, dass das Leben durch bloßen Zufall entsteht, was ja bei Häusern auch nicht passiert, erhielt der gegnerische Diskutant glücklicherweise einen Anruf, so dass wir uns aus dem Staub machen konnten. Wer eine kurze Einschätzung zur Argumentation von Werner Gitt lesen möchte, dem sei eine Rezension von Martin Neukamm (AG Evolutionsbiologie) empfohlen.

Einen Eindruck vom eigentlichen Zweck des Kirchentages erhielten wir dann auf dem weiteren Weg zur U-Bahn im Kirchentagsshop an der Reinoldikirche in der Innenstadt. Bücher und jede Menge Klimbim wurden dort feilgeboten. Vergeblich suchten wir nach dem exzellenten Buch "Der Jesuswahn" von Heinz-Werner Kubitza. Auch eine kompetente Mitarbeiterin konnte uns nicht helfen. Das Buch war leider schon vergriffen. Wir haben dann kurz überlegt, ob wir den Smiley-Autoschwamm "Sei behütet auf deinen Wegen" für 5,95 Euro (Made in Germany!) oder den Zollstock "Gott ist der Maßstab" für schlappe 5,80 Euro erstehen sollten. Da wir uns nicht einigen konnten, haben wir einfach alles dagelassen und die U-Bahn, die für Dauerkarteninhaber des Kirchentages (108 Euro!) kostenfrei benutzbar war, geentert.

Haupteingang des Kirchentags in den Westfalenhallen am Samstagnachmittag. Foto: © Daniela Wakonigg
Haupteingang des Kirchentags in den Westfalenhallen am Samstagnachmittag. Foto: © Daniela Wakonigg

Angekommen an der Westfalenhalle folgten wir dem dünnen Strom der Gläubigen, denn viel los war wirklich nicht. Am Westeingang fragten wir, ob es möglich sei, dass man Atheisten kostenlos Einlass gewähren kann, da es aus Marketinggründen doch von Vorteil sein könnte, wenn man uns bekehrt. Das junge und wahrscheinlich unbezahlte Personal konnte dies jedoch nicht entscheiden und bat uns am Haupteingang nochmals vorstellig zu werden. Voller Zuversicht versuchten wir unser Glück und wurden nach einer Weiterleitung von der Kasse am Infotresen von einer Mitarbeiterin begrüßt, die unser Anliegen in einem Hinterzimmer mit der hauptverantwortlichen Person besprach. Wir konnten nicht sehen, um wen es sich gehandelt hat, jedoch erhielten wir eine Absage und das auch noch ohne Bedauern. Es stellte sich nunmehr die Frage, ob wir uns lediglich in den weißen Verblendungszelten auf dem Vorplatz tummeln wollten oder doch noch eine Möglichkeit finden würden, die Halle mit evidenten Informationen zu fluten. Der christliche Gott (andere Götter übrigens auch) handelt häufig im Verborgenen, im Geheimnisvollen und außerhalb des Raum-/Zeitkontinuums, so zumindest Klaus von Stosch, Professor für systematische Theologie, bei einem Streitgespräch am selben Abend mit dem Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung Michael Schmidt Salomon. Dieses Wunder gelang auch in der Westfallenhalle, als die nudeligen Anhängsel des Fliegenden Spaghettimonsters zwei Ketzer segneten und unbeschadet an den Einlasskontrollen vorbeiführten, ohne die eigentlich geforderten 35 Euro pro Person in den Klingelbeutel des Jesuskonzerns wandern zu lassen. Hallelujah!

In der Fotoausstellung, Foto: © Ingo Eitelbach
In der Fotoausstellung, Foto: © Ingo Eitelbach

Eine unangenehme Erfahrung mussten wir allerdings bereits im Foyer der Halle machen, wo eine Fotoausstellung installiert war. Neben primitiven Klischeevorstellungen (Schwule in Leder), nackten Menschen, die mit Nägeln (!) werfen, präsentierte man den Zuschauern die muslimische Schönheitskönigin Menerva Hammad im Hijab. Zum ideologischen Hintergrund der muslimischen Verhüllung von Frauen hat sich unter anderem der Zentralrat der Ex-Muslime positioniert. Von Seiten der evangelischen Kirche in Deutschland wird es für die kritische Position des Zentralrats der Ex-Muslime offensichtlich keine Unterstützung geben. Ganz im Gegenteil, so kann man Frau Hammad im ersten Bild noch mit Gesicht sehen, im zweiten Bild ist das Gesicht nicht mehr vorhanden. Im Begleittext ist zu lesen, dass das Kopftuch befreit und ein Teil von ihr ist. Auf diese Form der Freiheit können wir zumindest verzichten.

Der Eindruck, dass der Kirchentag viele politische Aussagen transportieren soll, wurde auch in der Halle bestätigt. Neben aus humanistischer Sicht unterstützenswerten Positionen zum Klimaschutz und zur Rettung von ertrinkenden Menschen, überraschte uns wie unbedarft naiv (oder war es bewusst?) an zahlreichen Ständen mit dem Kinderkopftuch umgegangen wurde. So präsentierte sich die christliche Entwicklungshilfeorganisation "World Relief" mit einem strahlenden Mädchen im Alter von ca. 6 Jahren mit strengem Kopftuch.

Auch fiel eine eher israelkritische Positionierung einiger Aussteller auf, da zumindest nach unserem sicher unvollständigen Eindruck auf die von Israel kontrollierten Gebiete abgestellt wurde. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Hamas und Hisbollah fand nicht statt.

Nun aber zu appetitlicheren Themen, denn die Nuklear-Seelsorge im Weltatomerbe Braunschweiger Land bot die einmalige Möglichkeit, Atomkraftwerke für eine Spende von nur 1 Euro endgültig und strahlungsarm zu vernichten. Dabei konnte man sogar zwischen weißen und braunen Meilern wählen. Uns war das allerdings zu teuer.

Zum Hintergrund: das Atommüll-Lager Asse II und andere befinden sich im Gebiet der evangelischen Landeskirche Braunschweig und die "Pastoren und Pastorinnen der jeweiligen Kirchengemeinden waren doppelt betroffen. Sie mussten sich ihr eigenes Bild von der Lage machen und wurden gleichzeitig mit den Fragen und Sorgen ihrer Mitglieder konfrontiert. Der seelsorgerische Auftrag war damit gegeben." (Zitat aus einem Infoblatt entnommen).

Ein wirklicher Höhepunkt unseres Besuchs war das Gespräch mit einem Mitarbeiter der Bundespolizei (kein Seelsorger), der am Stand der "Evangelischen Seelsorge" aus seinem Alltag berichtete, insbesondere waren seine Schilderungen von Gewaltsituationen sehr transparent und haben uns beeindruckt. Wir wiesen darauf hin, dass wir keineswegs die Arbeit der Bundespolizei kritisieren, sondern nicht verstehen können, warum nicht mehr ausgebildete Psychologen anstatt weltanschaulich einseitig geprägter sogenannter Seelsorger sich um Mitarbeiter in Krisensituationen kümmern.

Stand der Bundspolizei auf dem Kirchentag. Foto: © Daniela Wakonigg
Stand der Bundspolizei auf dem Kirchentag. Foto: © Daniela Wakonigg

Weiter ging es zu einer Organisation, die sich für die Alphabetisierung in Entwicklungsländern einsetzt. Der Mitarbeiter erklärte uns, dass in vielen Ländern Kindern keine Bücher in ihrer Landessprache zur Verfügung stünden und es deshalb dringend erforderlich sei, entsprechendes Material bereitzustellen. Unsere Kritik, dass dieses Material nun ausgerechnet aus der Bibel besteht und damit vor allem der christlichen Mission dienen soll, lächelte er sanft weg und wir wollten dann auch nicht weiter stören.

Wir führten noch kurze Gespräche zum "Beten für den Frieden – Zahlen für den Krieg", einer Gruppe, die unter anderem die Militärseelsorge kritisiert und der Meinung ist, dass Beten nachhaltig hilft, den Frieden zu fördern. Ein Mitarbeiter der Kirchengewerkschaft unterstützte unsere Forderung nach Abschaffung des Dritten Weges im Gegensatz zu anderen am Stand, die nicht nachvollziehen konnten, dass das Streikverbot für kirchliche Mitarbeiter ein Problem ist.

Geradezu anekdotisch verlief das dreimalige Aufeinandertreffen mit einer Dame, die sich erst beim letzten Gespräch als ehemalige Freikirchlerin und Religionslehrerin outete. Unsere Kritik am Religionsunterricht in Deutschland konnte sie nicht verstehen. Sie würde die Kinder nicht indoktrinieren und überhaupt sei die Behauptung, dass ein Unterrichtsziel die Ehrfurcht vor Gott sei, völlig falsch. An dieser Stelle muss man sich wieder einmal in Ehrfurcht vor der wissenschaftlichen Methode zum Gewinn von evidenten Erkenntnissen verneigen, die uns unter anderem dazu in die Lage versetzt, sofort Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. So konnte ich ein aufgrund dieser Vorgehensweise magisch arbeitendes Gerät aus der Hosentasche ziehen, das innerhalb von wenigen Millisekunden den Lehrplan für evangelische Religionslehre für die Grundschulen des Landes Nordrhein-Westfalen auf dem Bildschirm präsentierte. Und, siehe da, an sehr prominenter Stelle (Abs. 1.1) konnte man folgendes lesen: "Das Fach Evangelische Religionslehre erschließt das Erziehungsziel 'Ehrfurcht vor Gott und Achtung vor der Würde des Menschen ...' nach evangelischem Verständnis." Mit Mission hat der Unterricht natürlich nichts zu tun.

Zum Abschluss unserer anstrengenden Aufklärungsarbeit durften wir am Stand der Siebenten-Tags-Adventisten, einer protestantischen Freikirche, noch erfahren, dass Jesus bald wiederkommt. Im Gegensatz zu Jehovas Zeugen will man sich allerdings nicht so genau auf ein Ankunftsdatum festlegen. Möglicherweise ist dies aus taktischen Gründen sehr viel klüger, denn die Zeugen haben das ein oder andere Weltuntergangsdatum bereits revidieren müssen. Und da ja schon der Apostel Petrus wusste, dass Gottes Tage tausend Jahre dauern und umgekehrt (2. Petrus 3,7–9), kann es ja auch noch ein wenig dauern. Welch ein Glück für uns Ungläubige, dass wir bis dahin noch das ein oder andere Jesusspektakel heimsuchen können, bevor der Herr auf die Erde zurückkehrt und uns niedermetzelt.

In diesem Sinne, Bierelujah!