Geschichte einer geraubten Kindheit

IMG_4866_2.JPG

Jenö Alpár Molnár. Foto: Fiona Lorenz

TRIER. (hpd) Jenö Alpár Molnár wurde mit zehn Monaten in Österreich von der amerikanischen Militärpolizei entführt und 14 Jahre in zwei Kinderheimen versteckt, in denen er zum Teil brutal misshandelt wurde, andererseits aber auch erfolgreich Widerstand leistete. Der hpd sprach mit Molnár über seine Lebenserfahrungen sowie über die Unterschiede zwischen der Heimkinderbewegung in Deutschland und jener in Österreich.

Sein Buch ist nach Ansicht verschiedener Leser „authentisch und mit Herzblut“ geschrieben– „man hat das Gefühl, man marschiert mit ihm durch diese Einrichtungen“. Molnár hat seine Geschichte innerhalb von vier Wochen geschrieben, eigentlich nur zur persönlichen Verarbeitung seiner Erfahrungen. Doch dann entdeckte ein Kunde seines Copyshops das Manuskript, blätterte zunächst heimlich darin und fragte dann den Autoren, ob er sich dieses Buch ausleihen könne. Nicht nur der Kunde, auch dessen Frau, eine Deutschlehrerin, war von dem, was sie lasen, begeistert und drängten ihn, einen Verlag zu suchen. Bei besagtem Kunden handelt es sich um den Soziologen PD Dr. Waldemar Vogelgesang von der Universität Trier. Das Buch wurde bereits 2008, also zwei Jahre vor den skandalösen Enthüllungen in Deutschland, veröffentlicht. Es ist nicht anklagend, nicht pädagogisch.

Molnár spricht schnell und kaum verständlich, allerdings nimmt er doch stets eine eindeutige Position ein. Ihm gefällt beispielsweise nicht, wie die Heimkinderbewegung in Deutschland vorgeht:
„Hier gibt es so viel Tamtam, soviel Unnötiges. Man muss das Unwesentliche vom Wesentlichen unterscheiden. Wie erreichen wir das Ziel am Besten und am Wirkungsvollsten?“ Die Politiker, die trotz Einladung nicht zur Heimkinderdemo in Berlin kamen, waren nach Molnárs Meinung „verschreckt. Bei dem Rummel, der schon im Vorfeld gewesen ist. In Österreich ist genau das Gegenteil passiert. Hier war die Strategie zu aggressiv, zu provozierend und anklagend. Man muss den Leuten auch die Gelegenheit geben, dass sie selber enttabuisieren. Wenn man ihnen das immer nur vorwirft und vorwirft und dann fordert und fordert, kommen sie gar nicht dazu, selbst einmal nachzudenken und mal für sich selbst zu entscheiden: ‚Okay, ja, der hat recht.’ Das dauert manchmal Zeit, das kann vierzehn Tage, drei Wochen dauern. Es kann natürlich daran liegen, dass Deutschland größer ist als Österreich. In Deutschland gibt es viel mehr Betroffene, Hunderttausende, da gibt es natürlich ein viel größeres Aggressionspolster als in Österreich.“

Meine Geschichte erfahrbar machen

Jöri, der Spitzname der ehemaligen Kinder und Leidensgenossen, wird von ihnen freundschaftlich heute noch so genannt. Jenö Alpár Molnár ist heute 64 Jahre alt. Ihm geht es darum, seine Geschichte sichtbar und erfahrbar zu machen, nicht seine Geschichte „einfach nur so zu erzählen“, eine bewusste Strategie – nicht nur für sich selbst, sondern auch vielmehr für jene anderen Mitbetroffenen, die dazu nicht in der Lage sind sich zu artikulieren. Ohne seine Initiative und seinen Mut wären die Heimkinder in Österreich wohl nie so weit gekommen, wie sie jetzt sind. Er wurde im Fernsehen porträtiert und in der österreichischen Wochenzeitschrift Profil wurde im März 2010 über ihn berichtet. Sein Buch bewegte Politiker dazu, ihn nach Wien ins Parlament zu Lesungen einzuladen, damit sie sich ein Bild machen können. Andere Landesparlamente wie Salzburg, Innsbruck oder Linz folgten.

Anlass für sein Buch war ein Film über einen Jungen eines Gauleiters, der sich mutig gegen seinen Vater stellte und sich resigniert das Leben nahm. „Albrecht, so hieß der Junge, hat meine Nerven strapaziert und seine Entscheidung hat mich ziemlich deprimiert. Dass jemand so in Konflikt steht mit der Gesellschaft, mit den Institutionen. Ich konnte mich nicht umbringen, ich habe keinen Gedanken daran verschwendet. Da habe ich mich hingesetzt und das Buch geschrieben, hab’s richtig reingedonnert, 330 Seiten.“

Besonders von den Bewohnern des Dorfs, in dem das Heim steht, in dem Jöri untergebracht war, erhält er positives Feedback. Sie bestellen sein Buch, ein Heimbewohner nach dem anderen. Obwohl das Heim vom Dorf isoliert war, gingen die Heimkinder mit den Söhnen und Töchtern von den Dörflern in die Schule. Aber die Dorfbewohner hatten keine Ahnung, was in dem Heim passierte. Einige der Schwestern aus dem Heim und einige Heimkinder sind in dem Dorf geblieben, haben sich dorthin verheiratet.

Nach der Veröffentlichung seines Buchs haben sich 17 weitere ehemalige Heimkinder bei ihm gemeldet. Es sind alles Leute, „die es geschafft haben. Die sich nicht gemeldet haben, die, die abgestürzt sind, die Sorgenkinder, die das nicht verkraftet haben – die finde ich nicht. Einige, die mit ihnen in Kontakt stehen oder standen, haben mir von deren Schicksal erzählt. Teilweise sind sie Alkoholiker geworden, einige haben sich auch umgebracht. Mir geht’s um die, verstehst du? Um die, die ihr Leben nach dem Heimaufenthalt ohne Hoffnung wegschmeißen.“

Schlimm war für Jöri, dass er nicht wusste, weshalb er im Heim war. Erst mit 40 fand er seine Mutter wieder, die, im Glauben, dass ihr Sohn beim Vater in den USA sei, eine neue Familie gegründet hatte. Sie war kurz nach Jöris Geburt verschleppt und inhaftiert worden, weil sie als Ungarin eine Beziehung zu einem US-Amerikaner unterhalten hatte. Der Vater wurde vom Militär in die Heimat verfrachtet und versuchte von dort aus, seine österreichisch-ungarische Familie zu finden. Was er nicht wissen konnte: Sein Briefe wurden von der Armee geschwärzt und waren somit für Jöris Mutter fast komplett unleserlich. Er schrieb dann der Oma nach Ungarn und diese teilte ihrer Tochter in Österreich mit, das Jöri nicht in Amerika sein kann.