Centenarjahrfeier - Gedenken an Robert Mächler

centenarfeier-maechler.jpg

Verleger Matthias Haupt; Zeitzeugen, Korrespondenzpartner Robert Mächlers, Freunde; Mitglieder der Robert-Mächler-Stiftung

BADEN / Schweiz. (hpd) Anlässlich der Erfüllung der Aufgaben der Robert Mächler Stiftung hatten die Stiftungspräsidentin und der Geschäftsführer der Stiftung nach Baden in der Schweiz eingeladen, um im Limmatsaal in Mächlers Heimatort dieses Ereignis würdig zu feiern. Auch mit einer Hommage von Michael Schmidt-Salomon für Karlheinz Deschner.

Der kirchenkritische Schriftsteller Karlheinz Deschner war es, der seinen langjährigen Freund, den kultur- und religionskritischen Journalisten und Schriftsteller Robert Mächler (24.12.1909 / Baden – 15.2.1996 / Aarau) schließlich doch noch, kurz vor dessen Tod, dazu bewegen konnte, der Gründung einer Stiftung seines Namens (RMS) zuzustimmen. Deren Ziele: Nachlassbewahrung (Aargauer Staatsarchiv), Auswahlpublikationen aus seinem Werk und, seit 1999, ca. alle 2 Jahre Verleihung des mit je 20.000 CHF dotierten Robert-Mächler-Preises für kritische Aufklärung und humanitäres Engagement, durften die Mitglieder des Robert-Mächler-Stiftungsrates als realisiert betrachten mit der ihre Arbeit offiziell beendenden Mächler-Centenarjahrfeier am 23.10.2010 in Baden (Vernissage eines letzten Auswahlbandes – Mächlers philosophische Korrespondenzen – durch den Verleger Matthias Haupt und die Editorin Gabriele Röwer, Würdigungen Mächlers durch die Zeitzeugen Werner Morlang, Pirmin Meier und Philippe Dätwyler, Hommage an Mächlers Freund und geistigen Förderer Karlheinz Deschner durch Michael Schmidt-Salomon, den Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung).

Viele waren zu dieser vor allem von Regula Niederer (Präsidentin RMS) und Woldemar Muischneek (Geschäftsführer RMS) umsichtig geplanten und von Benjamin Scheck mit der klassischen Gitarre eindrucksvoll begleiteten öffentlichen Feier in den neubarocken Limmatsaal des Hotels Limmathof im Bäderquartier von Baden, Mächlers Heimatort, gekommen, auch aus Deutschland, rund 150, mehr als erwartet und mehr, als es Plätze gab. Fühlten sich doch verschiedene Gruppen von dem Programm angesprochen: Mächlers Freunde und Leser bzw. Korrespondenzpartner und/oder deren Freunde und Angehörige sowie Anita Schubert aus Bornich (Rhein), zusammen mit Walter M. Schubert Trägerin des Mächler-Preises für humanitäres Engagement 2007 (siehe damaligen Bericht im hpd); ebenso Leser und Freunde Karlheinz Deschners und seines Laudators Michael Schmidt-Salomons, auch aus dem Umkreis der Giordano-Bruno-Stiftung; Herbert Steffen, seit den 90er Jahren Förderer Karlheinz Deschners und (der RMS freundschaftlich verbundener) Gründer der GBS mit dem Ziel der Förderung eines evolutionären Humanismus, nahm ebenso teil wie GBS-Mitglieder in der Schweiz. Obschon die Konzentration der Gäste, nach Aussage des Verlegers Matthias Haupt ein „geisteswissenschaftlich hochkarätiger Kreis“, in diesen zweieinhalb Stunden durch die Redner sehr gefordert war, äußerten sich viele beeindruckt von der geistigen und menschlichen Dichte der von Christoph Bopp (RMS) moderierten Beiträge, sei’s in Gesprächen beim anschließenden Apéro oder am Büchertisch, sei’s danach in Rückmeldungen an die Mächler-Stiftung. Nach Abschluss von deren Arbeit wird eine Website weiterhin auf das Werk Robert Mächlers aufmerksam machen, auch durch Verlinkung mit der Website der GBS und Karlheinz Deschners.

 

Buchvernissage: „Arme Teufel sind wir alle“ – Briefe von und an Robert Mächler über Gott und die Welt, herausgegeben und eingeleitet von Gabriele Röwer im Verlag Haupt / Bern

„Das Glück des Verlegers“ – Matthias Haupt über das neue Buch

Unter dem Titel „Das Glück des Verlegers“ fasste Matthias Haupt seine persönlichen Bemerkungen zusammen. Dieses Glück sah er zum einen in der guten partnerschaftlichen Kooperation des 1906 gegründeten Haupt Verlags, der immerhin seine verlegerische Freiheit und programmatische Unab-hängigkeit bewahren sowie bereits zwei Bücher Mächlers betreuen konnte, mit der Herausgeberin und den übrigen Stiftungsräten (u.a. Mitfinanzierung des Buchprojektes) seit 2007: „Dass Autoren und Verleger zusammenfinden, sich einigen und einander Vertrauen schenken, das nenne ich Glück.“ Einbezogen in dieses Glück seien analoge Erwartungen und Ansprüche an die Qualität des Manuskriptes: „Denn Verlage müssen kompromisslos Garant sein für (wissenschaftlich) fundierte, seriös recherchierte, sprachlich und formal korrekte und faire Inhalte.“ Matthias Haupts Fazit: „Es ist kein Zufall, dass ‚Arme Teufel sind wir alle…’ im Hause Haupt erscheint, auch wenn das geisteswissenschaftliche Buch in unserem Programm durch eine andere Schwerpunktsetzung etwas in den Hintergrund getreten ist. Ich habe Ihnen aber, liebe Frau Röwer, vor vielen Jahren versprochen, dass Ihr Schlussband eine gute Heimat finden soll. Ich hoffe, wir werden dem gerecht. Dass wir dieses gewichtige Werk verlegerisch betreuen durften, empfinde ich als Glück. Ich danke Ihnen und dem Stiftungsrat herzlich für das Vertrauen in unser Haus.“

 

Ihnen ist es ja ganz wunderbar gelungen, mit klug-guten Köpfen in Verbindung zu leben.“ (Walter Robert Corti)

Gabriele Röwer über Robert Mächler und seine Briefpartner

Im zweiten Teil der Buchvernissage skizzierte die Herausgeberin, mit Mächler bekannt seit 1982, zunächst Vita und Werk des auch über den Aargau hinaus wirkenden Journalisten und Schriftstellers Robert Mächler, sodann Entstehung und Konzeption des Briefbandes nebst wichtigsten Merkmalen von Mächlers Gespräch mit seinen Briefpartnern. Zuvor erläuterte sie die Wahl des Buchtitels, Beginn eines Mächler’schen Aphorismus aus der Sammlung Irrtum vorbehalten (Haupt, 2002): „ ‚Arme Teufel’ sind wir alle: ‚Teufel’, weil wir am Naturbösen teilhaben; ‚arme’, weil wir als vernunftbegabte, ein Stück weit der Natur entlaufene Wesen unter den naturhaften Übeln in erhöhtem Masse leiden.“ In diesem Aphorismus spiegele sich ein Kern seines Lebens und Denkens. Dem Leiden an der conditio humana mit ihrer naturgegebenen Janusköpfigkeit setzte dieser ethische Utopist schon früh, seit der 1928/29 überstandenen Jugendpsychose, die Vernunft entgegen, um die stets und überall spürbaren Folgen der Unvernunft in Schranken zu halten. Unter dem nachhaltigen Einfluss vor allem der ersten kritischen Kirchengeschichte Karlheinz Deschners Abermals krähte der Hahn (1962) trat der einstige christozentrische Barthianer 1963 aus der reformierten Kirche aus und bekämpfte seither – als Rezen-sent nahezu aller der über 50, in zehn Weltsprachen übersetzten Bücher Deschners bald auch dessen wichtigster Kombattant in der Schweiz – „das Unwesen der Religionen“, durch Kritik sei’s ihrer biblischen Grundlagen, sei’s ihrer institutionellen Ausprägungen, voran in den monotheistischen, zumal christlichen Glaubensgemeinschaften. Ihre „Antworten“ auf nicht beantwortbare „letzte Fragen“ seien für ihn Verrat an der intellektuellen Redlichkeit wie ein Mittel des Klerus zur Gängelung der Massen. Trotz seines „nicht zu unterdrückenden Verlangens“ nach einem „guten Sinn des Weltganzen und nach persönlicher ewiger Teilhabe daran“, um sich der „Gefahren des Nihilismus und der Schwermut“ zu erwehren, habe sich dieser „sinnfreundliche Agnostiker“ jeglicher metaphysischer Spekulation enthalten.

Von über 400 Briefpartnern wählte die Herausgeberin 53 aus – 6 Literaten und Theologen für die Jah-re vor dem Kirchaustritt 1963 (Hermann Hesse, Thomas Mann, Rudolf Borchardt, Leonhard Ragaz, Jonas Fränkel – von der eingebräunten Schweizer Germanistik einst verfemter Spitteler- und Keller-Philologe – sowie Karl Barth), aus den Jahren danach 47 Philosophen (kein einziger Schulphilosoph) und philosophisch Interessierte mit unterschiedlichsten beruflichen und geistigen Interessen, Schweizer und Deutsche bzw. Deutschstämmige (u. a. Karlheinz Deschner und Kurt Marti, Max Brod und Werner Kraft, Walter R. Corti, Hans F. Geyer [Hans Rütter] und Ludwig Hohl, Alfred Fankhauser und Rudolf Jakob Humm, Max Daetwyler, der weltweit mit der weißen Friedensfahne demonstrierte, und Willi Gautschi, Arnold Künzli und Hans Saner, Adolf Muschg und Hans Werthmüller). Das Gespräch mit all diesen, langjährige Freunde darunter, widerlege die Vermutung, dem zurückgezogen im Souterrain eines Einfamilienhauses wohnenden religions- und kulturkritischen Essayisten und Rezensenten, diesem Querdenker und literarischen Anwalt von Außenseitern wie Henri F. Amiel, Friedrich Glauser oder Robert Walser, habe es an, obendrein hochinteressantem, Austausch gefehlt. Weithin schätzte man seine gedanklich wie sprachlich unübertreffbar luziden Kolumnen und Diskussionsbeiträge. Als Biograph Robert Walsers wie als Partner im mehrfach aufgelegten Streitgespräch mit dem Dichter-pfarrer Kurt Marti über Gott und die Welt wurde Mächler auch über die Schweiz hinaus bekannt, an beidem entzündeten sich zahlreiche der im Band versammelten Briefgespräche.

Ziel des Buches sei es vor allem, die Besonderheit des Sinnsuchers Robert Mächler wie auch die eindrucksvolle Vielfalt der Wege zu verdeutlichen, auf denen seine Briefpartner, Gläubige wie Ungläubige, nach einem Sinn ihres Lebens fragen (oder ihn bezweifeln), oft über die Grenzen der Immanenz hinaus, und dabei jeweils auch den konkreten „Sitz im Leben“ dieser Korrespondenzen deutlich werden zu lassen. So sei dieser bebilderte Briefband mit seinem ausführlichen Personenregister, trotz Bemühens um genaue Faktenermittlung in den Einleitungen, Anmerkungen und Exkursen, weniger als Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion denn als eine Art Lesebuch konzipiert, das Anregungen bieten möchte zur Auseinandersetzung mit eigenen und unterschiedlichsten fremden Denk- und Lebensmustern. Alles in allem könne der Band auch gelesen werden als geistiger, zumal religionsphilosophischer Zeitspiegel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – nicht nur für die Deutschschweiz.

Weit mehr als die im Anhang des Buches Genannten wirkten daran mit insbesondere die Adressaten ihrer Buchvorstellung: Alle Mitglieder der Robert-Mächler-Stiftungsrates seit 1997, Matthias Haupt und sein Verlagsteam, Freunde und Briefpartner Robert Mächlers sowie deren Angehörige und Freunde. Ihnen allen dankte die Herausgeberin für vielerlei hilfreiche Unterstützung.

Drei Zeitzeugen gedenken Robert Mächlers

Werner Morlang, Autor, Mitarbeiter von Radio DRS2 und genuiner Kenner Robert Walsers, hatte den Kontakt zu Robert Mächler, den Biographen Robert Walsers, über diesen Dichter gefunden; zeitweilig Mitglied im Stiftungsrat, gab er Mächlers Walser-Aufsätze heraus. Sein Thema: „Robert Mächler und Robert Walser – zwei ungleiche Brüder im Geiste“.

Pirmin Meier, Gymnasiallehrer, ist vielen bekannt als Autor von Büchern u.a. über Klaus von Flüe, Paracelsus oder den Staatsgefangenen Micheli du Crest; 1975 verfocht er als Mitglied des aargauischen Verfassungsrates die Trennung von Staat und Kirche; stets „auf der Suche nach einem Katholizismus der Gesinnung entgegen sklavischer Bindung“. Er referierte über Robert Mächler als „geistige Existenz im Aargau des 20. Jahrhunderts“.

Philippe Dätwyler, Publizist und Autor, früherer Präsident der RMS und Verfasser von je 11 Thesen über Vernunft und Unvernunft anlässlich der einzigen Ehrung Mächlers 1993 in Turgi (abgedruckt als Auftakt zum Briefband), sprach über „Robert Mächler und die Moral“.

Die drei Zeitzeugen schilderten ihre Eindrücke von Mächler:
ein „Nonkonformist“ und „scheuer Utopist“, „eine „schmächtige Erscheinung“, „im Äussern seinem biographischen Gegenstand erstaunlich ähnlich“, einer, der als Walser-Biograph, unter Berücksichtigung des damaligen Forschungsstandes, eine „vorzügliche Arbeit“ geleistet habe: „Ä suberi Büetz“, wie Gerhard Meier gesagt hätte (so Morlang);
ein „Heimlifeisser“, den man in materieller wie in geistiger Hinsicht notorisch unterschätze, ein ernst zu nehmender Religionskritiker, einer, der unter den ihm bekannten Aargauer Landsleuten wie kein zweiter „in vergleichbarem Ausmass eine geistige Existenz“ realisierte, den publizistischen Brotberuf mit humanistischem Engagement verbindend, ein „lebenseinsamer“ und „liebenswerter“, ein „redlicher sauberer geistiger“ Mensch“, dessen „feinsinnige Sprache“ und „geistige Freiheit“ vor allem in den Essays, Aphorismen und Personenporträts nicht geschaffen sei „für ein Pseudo-Geistesleben, in dem nur existiert, was im Fernsehen als Talkshow verbraten wird“ (so Meier, unter Einbeziehung zahlreicher Vertreter des schweizerischen, speziell aargauerischen Geisteslebens);
ein „Findling aus uralter Zeit“ voller „Wachheit und Offenheit, auch Gütigkeit“, ein Einsiedler in mönchischer Askese („Vertiefung, nicht Verzettelung“), bei dem sich anfangs „Geistesgröße und Zimmerenge“ zu widersprechen schienen, einer, dessen scharfe Religions- und Kulturkritik kontrastiere mit der höflich-nobel-kultivierten Schilderung realer Menschen, ein „viel belesenes und viel schreibendes Unikum“, ein intellektuell Redlicher, der sich, konträr zu den „Wendehälsen“ auch in der Zeitungslandschaft, „programmatisch treu“ geblieben sei, seine Kritik der Atomindustrie einbezogen, ein „Moralist im besten Sinne“, Kritiker allen vorschnellen Urteilens mit stetem eigenem „Irrtumsvorbehalt“, einer, der gegen alle Prediger angepredigt habe, „die mit vermeintlich ewigen metaphysischen Wahrheiten hausieren“, ein „skeptischer Agnostiker“, stets eingedenk der Grenzen unserer „Erkenntnis“, einer schließlich, dessen utopisches Ziel eines Zusammenlebens aller Menschen und Völker „in Frieden und Gerechtigkeit“, einer Verminderung des Leidens in und an dieser Welt“ dem Jesus der Bergpredigt nahe komme, trotz aller Ambivalenz von Mächlers Sicht des Nazareners.