Ahmad Mansour im Interview

Mehr Eigenverantwortung der Muslime erforderlich

mansour.png

Ahmad Mansour

Ahmad Mansour fordert in einem aktuellen Interview, dass die muslimische Community in Deutschland mehr Verantwortung für ihre eigenen Mitglieder übernehmen muss. Denn eine Radikalisierung erfolgt innerhalb der Gruppe und kaum außerhalb dieser. Dazu braucht es Aufklärung und auch einen neuen Umgang mit der Sexualität.

Er warnt in dem Interview mit Deutschlandradio Kultur vor einem "Islam-Verständnis, das Geschlechter-Apartheid schafft und Homosexualität ablehnt". Deshalb – so seine These – sei es notwendig, über Geschlechterrollen und Sexualität zu reden. Mansour wiederholt damit eine These, die Seyran Ates bereits im Jahr 2009 in ihrem Buch "Der Islam braucht eine sexuelle Revolution" vertrat. Ates zeigt sich – im Gegensatz zu Mansour – eher pessimistisch, was die Reformierbarkeit des Islam betrifft. Sie schrieb: "Eine Religionsgemeinschaft, die die Gleichberechtigung der Geschlechter ablehnt und das durch ein Symbol wie das Kopftuch … demonstriert, ist demokratiefeindlich." (S. 123)

Ahmad Mansour weist in dem langen Interview darauf hin, dass die Vorurteile unter den jungen Muslimen zunehmen. Frauenverachtung, Homophobie, Antisemitismus seien immer häufiger verbreitet "weil die Schulen und die Lehrer total überfordert sind, weil wir immer noch nicht verstanden haben, dass wir in einer vielfältigen Gesellschaft leben, die natürlich eine Bereicherung ist, aber auf der anderen Seite neue Herausforderungen mitbringt. Und die Schule, die Ausbildung von Lehrern und Lehrerinnen, die Schulpläne müssen in der Lage sein, dieser neuen Herausforderung zu begegnen." Dem entgegen zu wirken wurde von der Gesellschaft jedoch in den letzten zwanzig Jahre verschlafen. "Deshalb haben wir Lehrer und Lehrerinnen, die einfach überfordert sind, die nicht wissen, wie sie mit solchen Situationen umgehen, die total engagiert sind, alles tun wollen, aber im Stich gelassen werden, vor allem von unseren Politikern, die damit beschäftigt sind, neue Sicherheitsaspekte und Gesetze zu organisieren."

Lehrer werden mit den Problemen, mit denen sie tagtäglich konfrontiert sind, allein gelassen: "Interkulturelle Kompetenz, Islam, Muslime, islamisches Leben in Deutschland sind nicht Teil der Ausbildung, obwohl diese Lehrerinnen und Lehrer manchmal in Schulen arbeiten, in denen neunzig Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund haben. Und die sind nicht auf die Herausforderungen vorbereitet, auf die Problematik, die die Jugendlichen mitbringen."

Mansour nennt die politischen Reaktionen auf das Erstarken dieser Abgrenzungen "Aktionismus". Man müsse nicht allein hinterfragen, ob der Ditib der richtige Ansprechpartner für die Behörden sei, denn "es gibt andere Verbände, die vielleicht noch radikaler in Erscheinung treten werden und getreten sind. Darüber müssen wir eine gesamtgesellschaftliche Debatte führen, und nicht – durch diese Ereignisse in der Türkei – nur Ditib zum Thema machen. Und wir sollten die Muslime, die Menschen, die Jugendlichen viel mehr woanders erreichen als nur über diese Verbände."

Vorschläge, in welcher Art und Weise die Jugendlichen zu erreichen wären, kann Ahmad Mansour aus seiner eigenen, täglichen Arbeit ableiten. "Bei meiner Arbeit im Alltag merke ich, wie man mit solchen Phänomenen umgeht. Und ich merke ganz schnell, dass viele Vereine, viele Projekte eigentlich nichts bringen. Wir lernen voneinander nicht. Das heißt, was in Berlin gut funktioniert, kriegt Hamburg nicht mit. Was in Hamburg schlecht funktioniert, kriegt Berlin nicht mit." Er beklagt, dass es keinerlei bundesweiten Erfahrungsaustausch gibt und schlägt daher die Einrichtung eines Bundes-Integrationsministeriums vor.

Ob es um die Verweigerung des Handschlags geht oder um die Weigerung, an Klassenfahrten oder am Schwimmunterricht teilzunehmen; Ahmed Mansour sieht hier vor allem auch eine sexuelle Komponente. "Ein Islam-Verständnis, das die Sexualität tabuisiert, das Geschlechter-Apartheid schafft, das Homosexualität ablehnt, ist ein Islam-Verständnis, das Teil des Problems und nicht Teil der Lösung ist. Deshalb sage ich immer wieder: Es geht nicht darum, dass wir jetzt alle Moscheen zu Partnern machen, ohne zu gucken, welche Werte sie da vermitteln. Vermitteln sie eine sexuelle Selbstbestimmung? Oder verteufeln sie die Sexualität und lehnen sie einen normalen, gesunden Umgang zwischen den Geschlechtern ab? Wenn sie das tun, dann sind sie Teil des Problems."

Deshalb fordert er "eine Debatte, die innerislamisch durchgeführt wird. … wir Muslime müssen in der Lage sein, die Verantwortung zu übernehmen und wir müssen eine innerislamische Debatte führen, die dann unsere Jugendlichen gegen diese Radikalen immunisiert und die dazu führt, dass die Mehrheitsgesellschaft sieht, dass Vielfalt auch im Islam existiert. Und dass nicht alle irgendwie nur immer wieder versuchen, mit Sätzen wie 'das hat mit dem Islam nichts zu tun', die Debatte zu verhindern."