Gedanken zur intellektuellen Unredlichkeit von Rosinenpickern

Ist Glaube ohne Kreationismus ehrlich?

DEIDESHEIM. (hpd) Weite Teile des Christentums geben sich modern und behaupten, sich vom Kreationismus distanziert zu haben, erklären die Bibel für "naturwissenschaftlich unbedeutend". Doch ist dies aufrichtig? Ist die Bibeltreue z.B. der Zeugen Jehovas nicht ehrlicher? Weil sie die "heilige" Schrift als das sehen, als was sie einst geschrieben wurde und seither publiziert wird: als das Wort Gottes! Unser Autor Bernd Kammermeier versucht mit folgenden Gedanken auf einen unvermeidlichen Wandel hinzuweisen, dessen Konsequenzen sich Gläubige wohl als Letzte bewusst werden.

Kreationisten (Tierarten und Mensch ohne Evolution erschaffen), Junge-Erde-Kreationisten (die Erde ist außerdem nur 6.000 bis 10.000 Jahre alt) und ihre weniger konsequenten Kollegen vom "Intelligent Design" (ID) werden von vielen politisch korrekten Theologen westlicher Industriestaaten als Sonderlinge belächelt. Doch kann es eine aufrichtige theologische – also einem Gott zugewandte – Position jenseits kreationistischer Ideen geben? Kreationisten gehen – wie der Name schon verrät - von einem Schöpfer aus, der am Anfang aller Dinge stand. Dieser habe alles erschaffen oder wenigstens initiiert (ID), um seinen göttlichen Plan zu entfalten. Sehr häufig ist diese Vorstellung neben den Zeugen Jehovas bei evangelikalen Christen und orthodoxen Splittersekten anzutreffen – aber auch bei einzelnen Vertretern der großen Kirchen. Der Grund, warum sie dies glauben, ist monokausal: Es steht so in der Bibel!

Der Kirchenlehrer Augustinus (*354 - Δ430 n.u.Z.) meinte zwar "Irren ist menschlich, aber aus Leidenschaft im Irrtum zu verharren ist teuflisch"; ein Geistesblitz, der das in den Kinderschuhen steckende Christentum ehrlicherweise gleich nach dem Konzil von Konstantinopel (381 n.u.Z.) hätte beenden müssen. Leider erwies sich sein Motto: "crede, ut intelligas" ("glaube, damit du erkennst" bzw. "ich glaube, um zu erkennen") als nachhaltiger und wirkmächtiger. Über 1.000 Jahre später propagierte Martin Luther noch immer vollmundig sein "sola scriptura" ("Nur die [Heilige] Schrift").

So wurde in diesen 1.000 Jahren nicht nur jegliche Kritik an der Bibel im Keim erstickt, sondern sie wurde zur einzigen Quelle jeglicher Erkenntnis schlechthin erklärt. Moderne Wissenschaft, die sich mit Beginn der Aufklärung mühsam aus dem theologischen Einheitsbrei und ihrer inquisitorischen Umklammerung befreien konnte, liefert jedoch keinerlei Rechtfertigung für dieses Dogma. Auch die heutige Distanzierung von der Inspirations-Lehre (der die Abkehr vom Kreationismus folgte) führt streng genommen nur zu einem unredlichen Spagat zwischen Glauben und Wirklichkeit.

Es schiene mir indes redlicher und eher nachvollziehbar, wenn alle Gläubige bereits dem ersten Satz der Bibel glaubten: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde." (1. Mose 1,1; Einheitsübersetzung) Da niemand außer Gott diesen Akt hätte beobachten können, muss der Text von Gott selbst stammen, von ihm übermittelt an Propheten, die diese Offenbarung wörtlich niederschrieben. Aber auch folgende Sätze: "Dann sprach Gott: Das Wasser wimmle von lebendigen Wesen, …" (1. Mose 1,20), "Dann sprach Gott: Das Land bringe alle Arten von lebendigen Wesen hervor, …" (1. Mose 1,24) und "Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, …" (1. Mose 1,26) können nur von Gott selbst stammen, denn kein Mensch hätte seine eigene Erzeugung beobachten und davon berichten können.

Dieser scheinbar in Stein gemeißelten Auffassung machte ausgerechnet ein Theologe aus Shrewsbury einen gewaltigen Strich durch die Rechnung: Charles Robert Darwin! Der eher an Naturkunde, als an Gott interessierte Darwin veröffentlichte 1859 mit "On the Origin of Species" einen Frontalangriff auf die Idee eines lebensschöpfenden, artenschaffenden Gottes. Die Grundlagen der Evolutionstheorie waren geschaffen – von einem Menschen, auch wenn dieser sich in der Tradition der "Physiko-Theologie" des 17. und 18. Jahrhunderts sah, die sich zwar naturkundlicher Erkenntnis öffnete, jedoch hinter der Schöpfung zumindest einen "Designer" vermutete. Der Naturforscher Alfred Russel Wallace (1823 – 1913) hat diese Forschung weitergetrieben, da er jegliche religiösen Dogmen ablehnte.

Seither hielt der unbeschreibliche Siegeszug der Evolutionstheorie an. Alle Funde in der Natur, alle Entdeckungen fossiler Pflanzen oder Knochen, alle weitere Forschung durch Biologie und Paläontologie bestätigte, untermauerte und erweiterte Darwins und Wallace’ Ausgangsthese: Die Tierarten haben sich aus Urformen durch Mutation und Selektion entwickelt, so auch der Mensch. Gott wäre als Schöpfer überflüssig – wenn Dogmen, wie noch von Martin Luther gepredigt, nicht derart tiefe Rillen in Gehirne Gläubiger fräsen könnten.

Trotzdem passte sich das Christentum nach über hundertjährigem erbittertem Kampf der klerikalen Führung gegen diese Blasphemie weitestgehend der neuen Erkenntnisse an. Es entstand aus Gründen gesellschaftlicher Akzeptanz eine wachsweiche Position, die Gott nach Art der Physiko-Theologie nicht aufgeben wollte, ihm aber auch nicht mehr die treibende Rolle hinter der Entstehung des Lebens zuwies.

Die Lösung für diese "nicht Fisch-nicht Fleisch"-Position war die Erfindung der "Mikroevolution", die man zulassen konnte, ohne "Gott" zu verraten. D.h. es gab wohl Variationen innerhalb von Arten, doch die "Makroevolution" – d.h. die Entstehung der einzelnen Spezies durch Mutation aus einem einzigen gemeinsamen Vorfahren (genannt L.U.C.A. = "Last Universal Common Ancestor") – wurde strikt abgelehnt. Der anthroposophische Kreationismus eines Rudolf Steiners, der an den von ihm gegründeten Walldorf-Schulen gelehrt wird, versucht auf eine ähnlich esoterische Weise die Realität mit religiösen Fantasievorstellungen zu verbinden.

Nicht genug damit: Auch Astrophysiker setzten dem Schöpfer des Universums unerbittlich zu. Ihre modernen kosmologischen Theorien vom Urknall, möglicherweise als Folge der Instabilität des "Nichts", vertrieben Gott auch hier von seinem seit 2.600 Jahren (seit der Monotheismus in Babylon festgeschrieben wurde) besetzten Platz als Initiator aller Existenz. Bis dahin war für Gläubige kein Widerspruch zwischen Bibel und Wirklichkeit erkennbar. Ganz einfach, weil die empirische Erforschung der Welt von klerikalen Kräften blockiert wurde, die aufgrund interner Informationen den Widerspruch mehr und mehr ahnten. Der Selbsterhaltungstrieb des Klerus führte zur erfolgreichen Verdrängung dieses unliebsamen Fortschritts. Jeder sah weg, weil es gesünder war, den Widerspruch zu übersehen. Nicht nur Giordano Brunos Verbrennung im Rom des Jahres 1600 schreckte allzu fortschrittliche Geister ab, ihre Erkenntnisse zu publizieren. Und das Volk? "Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm: Halt du sie dumm,- ich halt sie arm!" Treffender als in diesem Reinhard Mey-Lied hätte man die fatale Wechselwirkung zwischen Politik und Religion zu allen Zeiten nicht ausdrücken können.

Selbst 1995 schrieb noch einer der "führenden Wissenschaftsautoren diesseits und jenseits des Atlantiks" (New York Times), Paul Davies, in seinem Buch "Der Plan Gottes" (Frankfurt am Main und Leipzig): "Die Spezies Homo zählt vielleicht nicht, aber die Existenz von Geist und Verstand in einem Lebewesen auf einem Planeten im Weltall ist sicherlich eine höchst bedeutungsvolle Tatsache. Durch bewusste Wesen wurde im Universum Bewusstsein erzeugt. Dies kann keine triviale Einzelheit sein, kein unwichtiges Nebenprodukt sinnloser, zielloser Kräfte. Wir sind dazu da, hier zu sein." (S. 280)

Also doch alles für uns? Damit "Gott" seine Liebe beweisen kann, wie weiter unten von einem Theologen behauptet wird? Einen mindestens 90 Mrd. Lichtjahre durchmessenden Raum, gefüllt mit ca. 100 Mrd. Galaxien mit wenigstens 70 Trillionen Sternen und für all das ca. 13,8 Mrd. Jahre Zeit… Das alles nur, um nur auf einem einzigen lächerlichen Staubkörnchen am Rande einer unbedeutenden Galaxis für einen in kosmischen Maßstäben extrem begrenzten Zeitraum eine unvollkommene Lebensform zu kreieren? Wesen, die sich seit einem Wimpernschlag ihrer selbst bewusst sind, die auf dem Boden eines dünnen Luftozeans leben und mit ihrer begrenzten Lebenszeit kaum je genügend Wissen werden anhäufen oder verstehen können, um die Rätsel ihres "Hierseins" zu klären? Rätsel, die einfachen Gemütern in der Bronzezeit suggerierten, es gäbe einen Sinn in alledem?

Spätestens, als im 19. Jh. die religiöse Position des Menschen als "Krone der Schöpfung" nicht mehr haltbar war, explodierte regelrecht die Vielfalt persönlicher Glaubensüberzeugungen – reformerische Theologen auf der einen und stockkonservative auf der anderen Seite. Der innere Kampf gerade der reformerischen Theologen ist leicht nachvollziehbar: Studiert wurde noch die Genesis, woraus sich das Selbstverständnis des Menschen als "Geschöpf" und das Verständnis aller Tiere als minderwertige "Kreatur" ergab. Selbst dunkelhäutige Sklaven waren als Abkömmlinge Hams (des bösen Sohns Noachs) gerechtfertigt. Sie hätten sich halt einen geeigneteren Vorfahren aussuchen sollen.

Nun sollte das alles nicht mehr so sein? Nur weil Paläontologen ein paar versteinerte Knochen gefunden haben? Starker Tobak! Ein Affront gegen theologische Grundüberzeugungen; ähnlich unverrückbare, wie Befruchtung durch den "heiligen Geist", Jungfrauengeburt, Sühneopfer, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu. Die Wissenschaft nagte also am Sinn aller Buchreligionen, aller Monotheismen; nagte nach und nach das mythologische Fleisch ab, legte die hässlichen Knochen uralten Irrtums frei, die man in ihrer Nacktheit niemandem mehr präsentieren konnte – ein Irrtum, der laut Augustinus (siehe sein Zitat oben) das Christentum als "teuflisch" entlarvt hätte. Daher die konservativen Gegenströmungen, die zumindest den Schein wahren wollten.

Der evangelische Theologe Helmut Thielicke verfasste 1960 das Buch "Wie die Welt begann – Der Mensch in der Urgeschichte der Bibel" (Stuttgart). Er beschrieb darin das Risiko für "Gott", den Menschen geschaffen zu haben. "Geht es bei den Menschen um die Krönung der Schöpfung oder geht es um ihre Kreuzigung? Erreicht die Schöpfung ihren Gipfel, wenn ihren Kreaturen jetzt ein Wesen zugestellt wird, das sich über die Dumpfheit des Unbewussten erhebt, das wissend und wissensbegabt, das als Partner und Mitarbeiter Gottes unter seinem Schöpfer leben darf – oder ist mit der Erschaffung dieses Wesens ‘Mensch’ die erste Stufe in einem unerhörten Gefälle betreten -, in einem Gefälle, das aus dem Garten Eden zu einer verwüsteten und beunruhigten Erde führt, das aus dem Kind und Ebenbild Gottes einen Räuber und Rebellen werden und durch ihn Krieg und Kriegsgeschrei auf die fernen Planeten tragen lässt?" (S. 32)