Erstes Treffen von Konfessionsfreien und Verfassungsrichtern in Karlsruhe

Säkulare beim Bundesverfassungsgericht

KARLSRUHE. (hpd) Am Montagnachmittag fand im Bundes­verfassungs­gericht in Karlsruhe das erste offizielle Treffen zwischen Verfassungs­richtern und Vertretern säkularer Verbände statt. Das Gespräch, das bereits vor Monaten in die Wege geleitet wurde, erhielt durch den aktuellen Beschluss des Gerichts zum kirchlichen Arbeits­recht zusätz­liche Brisanz.

In der Vergangen­heit haben sich die Karlsruher Verfassungs­richter immer wieder mit Vertretern der Religions­gemeinschaften, insbe­sondere der beiden christlichen Groß­kirchen, getroffen, um mit ihnen über Fragen des Religions­verfassungs­rechts zu diskutieren. Am Montag­nachmittag kam es erstmals zu einem Gespräch mit Repräsentanten der knapp 30 Millionen Menschen, die keiner Religions­gemeinschaft angehören.

“In Deutschland gibt es mehr religions­freie Bürgerinnen und Bürger als Katholiken oder Protestanten. Viel zu lange wurden die Interessen dieser großen Bevölkerungs­gruppe ignoriert. Insofern kann man das heutige Treffen als historisches Ereignis werten”, sagte Staats­minister a.D. Rolf Schwanitz, der neben Ingrid Matthäus-Maier (Kampagne gegen religiöse Diskrimi­nierung am Arbeits­platz), Helmut Fink (Koordi­nierungsrat säkularer Organi­sationen), Michael Bauer (Humanistischer Verband Deutsch­lands), Michael Schmidt-Salomon (Giordano-Bruno-Stiftung), Gerhard Czermak (IBKA / Bund für Geistes­freiheit) und Carsten Frerk (Forschungs­gruppe Weltan­schauung in Deutschland) der säkularen Delegation angehörte.

Eines der Ziele des rund zwei­stündigen Gesprächs bestand darin, die Verfassungs­richter – Gabriele Britz, Reinhard Gaier und Wilhelm Schlucke­bier vom Ersten Senat sowie BVerfG-Präsident Andreas Voßkuhle und Peter Müller vom Zweiten Senat – für die Situation nicht­religiöser Menschen in Deutschland zu sensibi­lisieren. Zur Sprache kamen dabei zunächst die verschiedenen Kirchen­privilegien, die von konfessions­freier Seite als Verstöße gegen das Prinzip der weltan­schaulichen Neutralität des Staates gewertet werden, etwa Kreuze in Gerichten, Behörden und Schulen, die staatliche Finanzierung (“Staats­leistungen”) von Bischofs­gehältern, Theologischen Fakultäten und Militär­seelsorge, der staatliche Einzug der Kirchen­steuer, der Eintrag der Konfessions­zugehörigkeit auf der Lohn­steuer­karte sowie der über­proportionale Anteil von Kirchen­vertretern in Rundfunk- und Ethikräten.

Besonders ausführlich fiel die Debatte über den aktuellen Beschluss des Bundes­verfassungs­gerichts zum kirch­lichen Arbeits­recht aus (“Kündigung eines Arztes im katholischen Kranken­haus wegen Wieder­verheiratung als Geschiedener”). Ingrid Matthäus-Maier trug dabei den Standpunkt der Delegation vor, das Gericht habe das in der Verfassung verankerte Selbst­verwaltungs- und Ordnungs­recht der Religions­gesellschaften (Art.140 GG iVm Art. 137  Abs.3 WRV ) entgegen dem Wortlaut zu einem fast unbe­schränkten Selbst­bestimmungs­recht ausgedehnt, wodurch die individuellen Selbst­bestimmungs­rechte der Bürgerinnen und Bürger aus­gehebelt würden. Eine solche Rechts­auslegung sei durch die Verfassung nicht gedeckt und würde angesichts der weit voran­geschrittenen Säkularisierung in Deutschland auf Unver­ständnis in der Bevölkerung stoßen, zumal viele Menschen “zwangs­konfessionalisiert” seien, das heißt: ihr Recht auf Religions­freiheit aufgrund der Über­macht konfessioneller Träger in der Medizin, der Pflege und im Bereich der Jugend-, Bildungs- und Sozial­arbeit nicht in Anspruch nehmen könnten.

Die säkularen Vertreter kritisierten darüber hinaus die staat­liche Förderung religiöser Missionierungs­versuche sowohl in kirchlichen wie auch in nicht­kirchlichen Kitas und Schulen sowie die Privilegierung des konfessionellen Religions­unterrichts. Obwohl der Humanismus wesentlich zur Werte­bildung in unserer Gesellschaft beige­tragen habe und beitrage, seien seine Entfaltungs­möglichkeiten noch immer auf unzulässige Weise beschränkt. So sei die Gleich­stellung der Humanisten mit religiösen Menschen, auch was das Eltern­recht der welt­anschau­lichen Erziehung ihrer Kinder betrifft, vieler­orts nicht eingelöst. Dies werde am Beispiel des Schul­fachs “Humanistische Lebens­kunde” deutlich, das vieler­orts nicht als gleich­wertige Alternative zum Religions­unterricht ange­boten werden kann. Auch ein verbindlicher Ethik­unterricht für alle Schülerinnen und Schüler, der dem weltan­schaulichen Dialog über Konfessions­grenzen hinweg dienen könnte, werde von den Religions­gemeinschaften in fast allen Bundes­ländern verhindert.

Obwohl die Gesprächs­partner insbe­sondere in der Einschätzung des jüngsten Gerichts­beschlusses zum kirchlichen Arbeits­recht zu recht unter­schiedlichen Stand­punkten gelangten, ent­wickelte sich ein konstruktiver Dialog, der in Zukunft fort­gesetzt werden soll. Dies aller­dings sei auch dringend nötig, meinten die Teilnehmer der säkularen Delegation. Immerhin dürften die Konfessions­freien in abseh­barer Zeit die Mehrheit der deutschen Bevölkerung stellen. Ihre Interessen müssten daher sehr viel stärkere Beachtung finden als bisher – nicht nur in der Politik, sondern auch vor Gericht.