Genitalverstümmelung ist ein globales Problem

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Simone Schwarz / Foto © Evelin Frerk

BERLIN/HAMBURG. (hpd) Es scheint, als wäre die weibliche Genitalverstümmelung (FGM) nicht nur bei Opfern und Tätern ein Tabu, sondern auch in unserer Gesellschaft und der Öffentlichkeit. Es gibt einige wenige Initiativen, die sich des Themas annehmen und versuchen, es in die Medien zu tragen. Dabei ist Genitalverstümmelung ein globales Problem, das z.B. in Teilen des östlichen Afrikas quasi jede Frau betrifft.

Auch in Deutschland müssen bis zu 50.000 minderjährige Mädchen nach Schätzungen als gefährdet eingestuft werden. Grund genug, um sich mit der Thematik zu befassen.

Der gemeinnützige Verein „Task Force für effektive Prävention von Genitalverstümmelung e.V.“, mit Sitz in Hamburg, hat sich des Schutzes der Mädchen angenommen, die von Genitalverstümmelungen bedroht sind. Der hpd sprach mit dem Vorstandsmitglied Simone Schwarz.

 

hpd: Hallo Simone! Magst Du Dich kurz vorstellen?

Erstmal vielen Dank für die Einladung! Wir sind immer gern zu Gast beim Humanistischen Pressedienst, weil ihr wichtige Fragen der Gleichberechtigung und Menschenrechte immer wieder aufgreift. Mich selbst lässt die mangelnde Umsetzung von Frauen- und Kinderrechten seit dem Politikstudium nicht mehr los. Ich bin überzeugt, der Schlüssel zur Bewältigung einiger akuter Menschheitsprobleme liegt in der Überwindung geschlechtsspezifischer Gewalt, wie der Verstümmelung kleiner Mädchen. Deshalb setze ich mich seit 2009 in der TaskForce für den Schutz vor Genitalverstümmelung in Deutschland und in Entwicklungshilfeprojekten ein - also dort, wo die Chancen auf ein baldiges Ende der Verstümmelungen am besten stehen.

Weißt Du Näheres, woher diese Praktik an jungen Mädchen stammt? Und was siehst Du als die Ursachen dafür an?

Neueste Erkenntnisse legen nahe, dass die Ursprünge der Praktik in der griechisch-römischen Antike mit ihrer ausgeprägten Entmenschlichung der Frau zu finden sind: Frauen wurden eher als Tiere, Objekte und Sklaven angesehen, denn als Mitmenschen.

Was die Ursachen dieser systematischen Gewalt angeht, drückt es für mich am treffendsten der aus Kongo stammende Autor Amouna Ngouonimba aus, der in seinem aktuellen Buch die Wahrnehmung weiblicher Genitalverstümmelung als “afrikanische Tradition” gerade auf den Kopf stellt:
“Die Gründe für Genitalverstümmelung lassen sich in drei Begriffen zusammenfassen: Unterwerfung von Frauen, ihre Geringschätzung und Degradierung zum Objekt. Genitalverstümmelungen sind in erster Linie ein Instrument zur Unterwerfung von Frauen – das ist der Kontext, in dem wir dieses Phänomen begreifen müssen.” (Quelle: Interview mit dem Autor)


Ich weiß, dass es einen Streit schon allein um die Begrifflichkeit gibt. Ist es denn nicht gleichgültig, ob man von “Verstümmelung” oder von “Beschneidung” spricht?

Sprache und Begriffe sind ja von enormer Bedeutung, wenn es um die Änderung von Haltungen und Handlungen geht. Wer sich ernsthaft für die Beendigung der Verstümmelungen einsetzt, kommt um die Verwendung der korrekten Terminologie “Genitalverstümmelung” nicht herum. Verharmlosungen wie z.B. “Beschneidung” oder “Cutting” behindern die Bemühungen zur Abschaffung dieser Gewalt. Die Dipl. Psychologin und Trauma-Expertin Monika Gerstendörfer wies immer wieder auf diesen Zusammenhang hin: “Wenn also schon die sprachliche Umschreibung deutlich zeigt, dass das Phänomen überhaupt nicht erfasst und verstanden wurde, wie soll man dann jemals Lösungsmöglichkeiten finden?”

Unsere afrikanischen Partner, insbesondere das Inter-African Committée (IAC), rufen deshalb die westlichen Organisationen zur konsequenten Verwendung des Begriffs “Genitalverstümmelung” auf, z.B. 2005 eindringlich mit der Bamako-Deklaration. Wir agieren als Sprachrohr, damit diese Forderungen Gehör finden.

Sehe ich das richtig, dass es vor allem um die Macht von Männern über Frauen geht? Also um die Verfestigung patriarchalischer Gesellschaften?

Ganz genau. Thomas Sankara, der sich von 1984 bis zu seiner Ermordung 1987 als Präsident Burkina Fasos mit aller Kraft für die Rechte von Frauen einsetzte, brachte das präzise auf den Punkt: “Exzision ist ein Versuch, Frauen eine untergeordnete Stellung zuzuweisen, indem man sie mit diesem Stigma versieht, das sie herabsetzt und ständig daran erinnert, dass sie nur Frauen sind, den Männern untergeordnet, dass sie nicht einmal das Recht über ihren eigenen Körper haben oder auf körperliche und persönliche Erfüllung.”


Kann man davon ausgehen, dass dieses Frauenverachtende Menschenbild insbesondere religiös begründet ist? Bei den betroffenen Ländern handelt es sich ja weitgehend um Länder, in denen der sunnitische Islam die vorherrschende Glaubensrichtung ist.

Zunächst einmal finde ich es immer wieder erstaunlich, wie reflexartig westliche Organisationen und Medien darauf hinweisen, Genitalverstümmelung hätte nichts mit Religion zu tun. Es heißt dann meist, die Praktik sei ja weder im Koran noch in der Bibel erwähnt.

Dabei wird übersehen, dass es im Islam weitere wichtige Quellen gibt: die Scharia und die Hadithe. In den Hadithen wiederum finden sich Hinweise, dass Mohammed die Verstümmelungen tolerierte (z.B. Hadith Umm Attia). Innerhalb der verschiedenen islamischen Strömungen wird diskutiert, ob diese Hadithe nun “stark” oder “schwach” bzw. überhaupt authentisch seien. Das lenkt aber davon ab, dass der Islam in der Praxis zum Katalysator der Verbreitung dieser Gewalt geworden ist: So propagieren z.B. die Shafiiten Genitalverstümmelung als “islamische Pflicht”. Im Grunde kann die westliche Öffentlichkeit die Augen nicht länger davor verschließen, dass mit dem Islam die Verstümmelungen über den afrikanischen Kontinent nach Westafrika, sowie nach Asien (Indonesien, Malaysia) und Irak verbreitet wurden.

Für Viele scheint dieses Problem ein allein afrikanisches zu sein. Und der Widerstand dagegen ein „westliches“. Ich denke aber, dass dieser Eindruck täuscht. Selbst Waris Dirie, das wohl prominenteste Opfer weiblicher Genitalverstümmelung, wird durch ihre Arbeit als Model eher als westlich wahrgenommen. Kannst Du etwas über Stimmen gegen die Genitalverstümmlung aus Afrika berichten?

Den Anschein, die Bemühungen für ein Ende der Genitalverstümmelungen sei “westliche Einmischung” in ein “afrikanisches Problem”, haben vor allem die Kulturrelativisten vermittelt: Sie haben das Thema jahrzehntelang für sich beansprucht und geflissentlich ignoriert, dass das Aufbegehren gegen diese Gewalt “von innen” eine lange Geschichte aufweist.
Dieses verzerrte Bild geistert immer noch durch die Köpfe.

Dabei engagieren sich seit Jahrzehnten einheimische Initiativen, z.B. das IAC und viele Graswurzel-Organisationen in den entsprechenden Ländern, damit die Verstümmelungen aufhören und wünschen sich mehr westliche Unterstützung. Die wird ihnen jedoch zugunsten anderer Prioritäten oft verwehrt.

Der malische Künstler Bafing Kul, der sich mit seiner Musik auch gegen die Genitalverstümmelungen wendet und auf unserem Charity-Album VISION ACTION CHANGE mit dabei ist, sagt ganz klar, dass man beim Thema Genitalverstümmelung nicht in den Kategorien “schwarz” und “weiß” bzw. “afrikanisch” und “westlich” denken darf: “This is not a problem of “colour” or “race” – it is a human problem that concerns us all – and that should strongly preoccupy us – no matter where we are!”

Hab Dank für dieses Gespräch. Wir haben heute noch nicht über die Arbeit Eures Vereines gesprochen, der den einzigen bundesweiten Notruf für betroffene Mädchen und Frauen eingerichtet hat. Das verschieben wir auf ein nächstes Gespräch.

Danke ebenso. Lass’uns auf jeden Fall beim nächsten Mal über unser Notruf-Projekt “SOS FGM” sprechen. Wer sich in der Zwischenzeit schon ein Bild machen möchte, ist natürlich auf der Website willkommen: www.sosfgm.org.


Die Fragen stellte Frank Navissi für den hpd.

 

Weitere Informationen:

taskforcefgm

VISION ACTION CHANGE - Künstler gegen Genitalverstümmelung. Das Album.

SOS FGM, das Notruf-Projekt der TaskForce zum Schutz von Mädchen vor Genitalverstümelung.

Die Bamako-Deklaration des IAC.

 

 

Aktion gegen die Genitalverstümmlung 

„Wer eine bessere Lösung kennt, …"