Aktion gegen die Genitalverstümmlung

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Die Aktivisten der Kampagne/Fotos © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Die größten Patenschaftsorganisationen tolerieren die in Afrika und Asien weit verbreitete Genitalverstümmlung – dabei wäre es gerade für sie einfach dagegen zu agieren. Das Projekt „Whoa! Protect girls from Genital Mutilation“ fordert nun den Schutz dieser Mädchen.

  

 

 

 

Lucy Semiyan Mashua stammt aus einer kenianischen Massai-Familie.
Mit neun Jahren musste auch sie die Prozedur der Genitalverstümmlung über sich ergehen lassen, drei Jahre später wurde sie an einen 53-jährigen Mann verkauft. Heute wäre sie die Königin ihres Stammes - wäre sie nicht geflohen. Sie lernte einen katholischen Priester kennen, der sich gegen die Genitalverstümmelung einsetzte und auch sie dazu ermutigte, als Aktivistin dagegen anzukämpfen. Doch schon bald darauf musste sie ihre Arbeit alleine weiterführen, denn der Priester wurde 2002 in Kenia ermordet.

Patenschaftsprogramme akzeptieren die Genitalverstümmelung

Oft hat die Kenianerin erlebt, wie auch Patenmädchen aus Entwicklungshilfeprojekten die Genitalverstümmlungen erleiden mussten. Deshalb ist sie heute Schirmherrin des Projektes „Whoa! Protect girls from Genital Mutilation“, das es sich zum Ziel gemacht hat, diese Mädchen zu schützen. Denn gerade die Patenorganisationen hätten es als Spendengeber sehr einfach, Einfluss zu nehmen. Es müssten lediglich Vereinbarungen darüber getroffen werden, dass Hilfsleistungen nur zugesichert werden können, wenn auch die Unversehrtheit der Mädchen gewährleistet werde.

Auch Simone Schwarz ist eine ehemalige Patin. Um einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen für Kinder in Afrika zu tun, entschied sie sich für die Teilnahme an dem Patenprogramm von „Plan International e. V.“, eine der größten Organisationen auf diesem Gebiet in Deutschland. Sie suchte sich ein Mädchen aus Niger aus, einem der ärmsten Länder der Welt. Das Prinzip gefiel ihr: Der Spender kann sehen, wo sein Geld hin fließt, denn er erhält eine persönliche Mappe mit Bild und Informationen zu dem Kind. Als die Mappe ankommt, ist Simone Schwarz entsetzt: Sie liest darin, dass es in der Kultur ihres Patenkindes etwas ganz Gewöhnliches sei, wenn Mädchen in jungem Alter beschnitten würden. „Ich habe es als eine Selbstverständlichkeit angesehen, dass die Hilfsorganisation die Mädchen dort vor einem so grausamen Ritual wie der Genitalverstümmlung schützen würde“, erklärt sie. Auf Nachfragen der engagierten Spenderin, entgegnete man ihr bei „Plan International e. V.“, es wäre Kolonialismus, zu versuchen, die fremden Traditionen zu verändern. Heute ist die ehemalige Patin Vorstandsmitglied der Frauen- und Kinderrechtsorganisation TABU e.V. und Mitarbeiterin des Projekts für den Schutz der Patenmädchen.

Ohne Menschenrechte keine nachhaltige Entwicklung

Initiiert wurde das Projekt von Ines Laufer, die auch bereits die TaskForceFGM für effektive Prävention von Genitalverstümmelung Hamburg ins Leben gerufen hat. Die Menschenrechtlerin sieht es als eine Täuschung der Spender, wenn die großen Patenorganisationen damit werben, sie würden die Kinder mit Hilfe der Spendergelder vor Gewalt schützen, die Genitalverstümmlung bei den Mädchen dabei jedoch akzeptierten. Sie verweist auf die riesige Summe von 5 bis 72 Millionen Euro, die durch die Programme an Spendengeldern eingenommen würde.
Ines Laufer beruft sich auf Berichte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeitung und Entwicklung, in denen zu lesen ist: „Wo Menschenrechte verletzt werden, ist keine nachhaltige Entwicklung möglich.“ Die Genitalverstümmelung wirke sich auf die gesamte Gesellschaft aus, wenn Mädchen ihren grundlegenden Menschenrechten beraubt würden.

Die Kampagne

Recherchen hätten ergeben, dass es derzeit bis zu 400.000 Patenmädchen seien, die nicht vor der Genitalverstümmelung geschützt würden. In keiner der größten Patenorganisationen sei dieser Schutz in den Richtlinien verankert, zu ihnen gehören neben „Plan International e. V.“ auch „World Vision e. V.“, „Kindernothilfe e. V.“ und „CCF Kinderhilfswerk/ChildFund“.

Sie alle würden sich bislang weigern, den Einsatz zu zeigen, konkrete Verhandlungen mit den Gemeinden über die Schonung der Mädchen zu führen. Der Druck müsse daher erhöht werden. Die Idee der Kampagne: So viele Menschen wie möglich sollen an die Patenorganisationen schreiben und die nötigen Maßnahmen verlangen. Auf der Internetpräsenz des Projekts sind vorgefertigte Briefe mit konkreten Forderungen zu finden. Zudem gibt es einen Radiospot, dem der Schauspieler und Radiosprecher Martin Umbach seine Stimme geliehen hat.

Und auch die Hip-Hop-Queen Sista Fa aus dem Senegal unterstützt das Projekt. Selbst Opfer der Genitalverstümmelung, engagiert sie sich heute mit ihrer Musik für die nachfolgenden Generationen um ein Ende des Rituals.

Reaktionen

Mit einer Pressekonferenz im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung am Donnerstag hat die Kampagne begonnen. Auch Vertreter von „Plan International e. V.“ und „World Vision e. V.“ waren nach der Veranstaltung vor dem Gebäude anwesend. Über das Projekt herrschte bei ihnen großes Unverständnis. Die Vertreter der Organisationen verteidigten sich, die Gesetzeslage in den jeweiligen Ländern würde es ihnen nicht ermöglichen, den Verzicht der Genitalverstümmelungen einzufordern, dafür seien die Regierungen verantwortlich. Zudem gäbe es so viele Menschenrechtsverletzungen, dass man nicht gegen alle vorgehen könne. Auch wurden Relativierungen geäußert: Bei dem Beschneidungsritual werde den Frauen meist nur ein Teil der Klitoris entfernt und damit beraube man sie nicht ihrer Sexualität.

Sabine H. Vogel

 

Weitere Informationen zur Kampagne