Pinkeln auf heiße Steine und Sinn des Lebens

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Podium / Foto: Constanze Cremer

OBERHAUSEN. (hpd) Im Rahmen der "Kulturhauptstadt Ruhr.2010" - Veranstaltungsreihe "Mehr Licht – Die europäische Aufklärung weiter gedacht" gab es am 01.10.2010 im Schloss Oberhausen unter dem Titel „Abschiede von Himmeln und Höllen – eine humanistische Freiheitsübung“ einen lohnenden und kurzweiligen Abend.

Teilnehmer der Diskussion waren der Wissenschaftstheoretiker Prof. Franz M. Wuketits, der Islam-Kritiker und Autor Hamed Abdel-Samad, die Schriftstellerin Karen Duve und der Philosoph Dr. Michael Schmidt-Salomon. Geleitet wurde das Podiums-Gespräch von der Professorin Dr. Ulla Wessels, die an der Universität Saarbrücken Praktische Philosophie lehrt.

Die Zuschauer im bis auf den letzten Platz besetzten Saal wurden zwar nicht Zeugen eines harten und dramatischen Schlagabtauschs – dafür waren die Teilnehmer zu homogen säkular-humanistisch eingestellt. Sie erlebten jedoch einen sehr lohnenden und kurzweiligen Abend, der mit interessanten Gedanken und vielen neuen Impulsen bereicherte.

Zunächst beschrieben die Gesprächsteilnehmer, was sie zum Abschied von ihren persönlichen Himmeln und Höllen veranlasst hatte.

Karen Duve verwarf bereits den Kinderglauben-Himmel, da es für sie nicht hinnehmbar war, dass sie ihre geliebten Tiere dort nicht wiedersehen sollte, stattdessen aber ihre Mitschüler, die sie mobbten.

Der in Ägypten geborene Sohn eines Imams, Hamed Abdel-Samad, emanzipierte sich zunächst nur vorübergehend vom Himmel der islamischen Machart, als er, der nicht Koran-, sondern Fremdsprachen- und Mädchen-Interessierte, während seines Studiums in Deutschland die „verbotenen Früchte des Abendlandes“ genoss. Nach einer durch sein schlechtes Gewissen herbeigeführten Radikalisierung begriff er aber schließlich, dass man Menschen als Menschen begegnen sollte.

Michael Schmidt-Salomon hatte zwar noch bei seiner Erstkommunion das Gefühl der Erhabenheit verspürt, einen Teil einer über 2.000 Jahre alten Leiche auf der Zunge zu schmecken, aber schon wenig später hatte ihn u.a. die schlechte „PR-Beratung“ des Leichen-Vaters (Offenbarung ggü. Hirten, nicht bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele) nicht mehr wirklich überzeugt, was ihn zum Abschied vom Christen-Himmel veranlasste.

Nämlichem sagte auch Franz Wuketits sein Lebewohl, als ihm als Gymnasial-Schüler die „Metaphern“ von Engeln, Himmel und Hölle schlicht zu albern erschienen.

Welche Moral anstelle der religiösen?

Zur Frage, welche Moral denn an die Stelle der religiösen treten sollte, konstatierte er: „Wenn wir von Natur aus nur Totschläger wären, dann wären wir alle gar nicht hier, dann hätten sich schon unsere steinzeitlichen Vorfahren alle gegenseitig erledigt!“

Von Natur aus seien wir Egoisten und es zahle sich einfach aus, sich fair und kooperativ zu verhalten. Richard Dawkins habe dies auf den Punkt gebracht, indem er sagte, dass „nette Kerle zuerst ans Ziel“ kämen. Problematisch sei hier lediglich, dass diese Erkenntnis bei fehlenden guten Vorbildern, etwa bei Kindern in Slums, mitunter ausbliebe.

Karen Duve fügte hinzu, dass man sich eine auf Mitgefühl basierende Moral, die einfach daher rührt, dass man andere nicht leiden sehen will, nicht anlesen könne.

Michael Schmidt-Salomon stellte daraufhin die Kohlberg'schen Pyramidenstufen vor: Sowohl die erste Stufe, die „Präkonventionelle Moral“, die nur wegen Angst vor Strafe „funktioniere“ als auch die zweite Stufe, die „Konventionelle Moral“, die von oben vorgegeben sei und unreflektiert übernommen werde, allerdings auch schon das Gewissen beinhalte, würden von Religion noch getragen. (Seiner Meinung nach sei es vermutlich sogar Voraussetzung zum Papstsein, nicht über die zweite Stufe hinauszuwachsen).
Die dritte Stufe aber, die „Postkonventionelle Moral“ stelle abstrakte Regeln auf, um Interessens-Konflikte zu lösen. Hier würde das Eigengruppen-Denken wegfallen und neben dem Gewissen hauptsächlich die Frage nach der Fairness zählen.
Diese hoch entwickelte dritte Stufe, sei letztendlich das, was man gemeinhin Ethik nenne.

Notwendigkeit einer „Schrumpf-Moral“?

Wohl um ein wenig Kontroverse in die Runde zu bringen, fragte die Gesprächsleiterin, ob denn diese dritte Stufe nicht eine „Schrumpf-Moral“ sei.
Schmidt-Salomon konterte, dass wir genau diese „Schrumpf-Moral“ bräuchten, sie sei eine größere, eine umfassendere Moral und habe dem Einzelnen viel Freiheit gebracht, indem die jeweilige persönliche Freiheit nur noch dort eingegrenzt werde, wo ein anderer sonst geschädigt würde.
Etwa im Strafrecht habe es bis in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts noch den „Kuppel-Paragrafen“ gegeben, homosexuelle Handlungen und Ehebruch seien strafbar gewesen. Heute hingegen wird Sexualität nur noch dort gesetzlich eingeschränkt, wo sie anderen schaden würde, etwa aus Kinderschutz- und Tierschutz-Gründen.

Der Begriff der "Schrumpf Moral" wurde dann im Laufe der Diskussion auch verworfen, da er abwertend aufgefasst werden kann und den Sachverhalt nicht konkret trifft: es gehe schließlich um die Überwindung von "falscher Moral"...

Ohne Religion eine bessere Moral?

Zu einer wirklichen kleinen Kontroverse kam es dann, als Hamed Abdel-Samad entgegnete, dass die Abschaffung von Religion nicht unbedingt eine bessere Moral nach sich zöge.
Man könne Religion mit Alkohol vergleichen, denn es komme auch hier auf die Menge an: die Flasche der Dogmen in jeder Situation sei schädlich. Schwierigkeiten gebe es nur mit zu hochprozentigem Glauben. Seine Großmutter z.B. sei keine „Alkoholikerin“ gewesen, aber gläubig. Man müsse doch nicht gleich alles falsifizieren, sondern Religion Privatsache sein lassen.

Karen Duve widerlegte ihn jedoch sofort mit der Feststellung, dass dies doch nicht funktioniere, denn jemand, der wirklich glaube, sehe seine Inhalte als bindend für alle an.

Franz Wuketits gebrauchte zur Illustration dieses Zusammenhangs ein griffiges Bild: Wenn es jemandem schlecht gehe und er davon überzeugt sei, dass es ihm besser ginge, wenn er auf einen heißen Stein pinkeln würde – und es ihm danach sogar tatsächlich besser gehe, wolle er selbst aber nicht von ihm dazu gezwungen werden, genauso zu handeln! Der andere könne aber natürlich gerne weiter so verfahren, das gebiete die Toleranz...

Schmunzelnd meldete Michael Schmidt-Salomon dazu aber gewisse Bedenken an: für Massen von Urinierenden in Städten müssten dann jedoch gesellschaftliche Regeln gefunden werden... Wuketits überlegte daraufhin, dass man ja vielleicht „Urinier-Zonen“ einrichten könne, ähnlich der mittlerweile eingeführten Trennung von Rauchern und Nichtrauchern...

Alle stimmten dann allerdings Hamed Abdel-Samads Äußerung zu, dass ihn die ständige Forderung nach Toleranz auf die Nerven ginge: er könne z.B. nicht jemanden tolerieren, von dem er wisse, dass er selbiges nicht mit ihm täte, wenn der die Macht dazu hätte...

Sinn des Lebens?

Zum Abschluss fragte Frau Prof. Wessels nach den Meinungen der Teilnehmer zur Frage nach dem Sinn des Lebens.

Karen Duve erklärte, den Sinn darin zu sehen, erwachsen zu werden und sich damit abzufinden, dass man keinen Platz im Plan eines Gottes habe. Aus dieser Erkenntnis heraus könne man sich dann etwas suchen, was einen im Leben ausfüllt und Sinn verleiht...

Hamed Abdel-Samad zitierte den Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch, der gesagt habe, der Sinn des Lebens sei es, Kaffee zu trinken und aufs Klo zu gehen. Und wenn das nicht ausreiche – das Ganze noch einmal... Es gebe zwar die ganz großen Fragen, aber keine großen Antworten.

Michael Schmidt-Salomon stellte fest, dass der Sinn des Lebens nicht gefunden, sondern erfunden werden müsse!

Franz Wuketits veranschaulichte dies am Beispiel der Raben, die Straßen dazu nutzen, um darauf Nüsse zu knacken, sie also den „Straßen-Sinn“ genau darin sähen; obwohl Straßen für uns Menschen ja eine ganz anderen Sinn haben...
Und Sinn könne nie von oben kommen, sondern immer nur von unten.

Diskussion

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde die Frage gestellt, wie man denn begründen könne, dass die vorgetragene Weltanschauung den religiösen überlegen sei. Michael Schmidt-Salomon erklärte, dass seine Position allein schon deshalb überlegen sei, weil sie überlegt sei.

Kritische Rationalität habe entschiedene Vorteile, weil man dabei nachdenke, nicht nachbete. Bei letzterem müsse man scheuklappenblind sein, so wie Benedikt XVI.
Er selbst hingegen würde, wenn er widerlegt werde, sofort das Gegenteil von dem vertreten, was er jetzt vertritt.

Er warte schon seit Jahren darauf, dass ihn endlich, endlich einmal jemand widerlege. Das wäre nämlich großartig für seine Karriere: würde er wieder in die katholische Kirche eintreten, wäre er ein Star und hätte ausgesorgt. Mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu: dann müsse er nicht mehr die „blöden Kinderbücher“ schreiben...

Zur Frage, ob es auch so gesehen werde, dass die deutsche Regierung immer mehr vom Christentum geprägt sei (Stichwort Wulff), mutmaßte er, dass es sich dabei wohl um eine Reaktion auf den Untergang dieser Kultur handele. Das Haus des Christentums sei marode und man versuche, es mit einem neuen Außenanstrich zu retten...

Dann kündigte er noch an, dass es in ca. zwei Monaten eine große Kampagne des KORSO geben werde, in der gegen die Privilegien der Kirchen protestiert werde, die aus einer Zeit stammen, als es in Deutschland noch keine Demokratie gab... Am folgenden Applaus ließ sich die Erleichterung darüber ablesen, dass es nun endlich einmal „los geht“ mit einem tatsächlich wahrnehmbaren KORSO.

Im Anschluss hatten die Zuschauer noch Gelegenheit, sich die aktuelle Ausstellung zum gbs-Beiratsmitglied Janosch anzusehen, in deren Räumlichkeiten die Veranstaltung stattfand.

Constanze Cremer