Streit um die Knabenbeschneidung

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URANIA / Fotos: Frank Nicolai

BERLIN. (hpd) Montagabends in der URANIA: die Besucherplätze sind nur zur Hälfte gefüllt. Als wäre das Thema des Abends nicht mehr interessant genug: „Der Streit um die Knabenbeschneidung – symptomatisch für das Verhältnis von Staat und Religion in Deutschland?“

Auf dem Podium sitzen sich Michael Schmidt-Salomon und Frieder-Otto Wolf gegenüber. Vom Moderator Norbert Kunz (HVD Berlin-Brandenburg) als Philosophen vorgestellt soll es an diesem Abend um die Verflechtung von Staat und Kirche in Deutschland gehen. Ein Ziel, das nicht ganz erreicht wird.

Denn Ziel der Debatte sollte es sein, noch einmal grundlegend über die Konsequenzen nachzudenken, die mit der Legalisierung des Rituals verbunden sind: Ist mit dem Gesetz schon das letzte Wort in Sachen Beschneidung gesprochen? Könnte mit gleicher Begründung auch das Verbot der weiblichen Genitalbeschneidung fallen? Wie kommt es, dass deutsche Politiker in vielen Fällen dazu tendieren, religiöse Interessen stärker zu gewichten als säkulare Rechtsnormen? Ist die politische Entscheidung in der Beschneidungsfrage symptomatisch für das Verhältnis von Staat und Religion in Deutschland?

Richtig ist, dass sich gerade am Zustandekommen des „Gesetzes über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes“ hervorragend aufzeigen lässt, wie wenig rationale Argumente in einer solch emotional hochgekochten Diskussion wie der um die Knabenbeschneidung zählen. Hierin waren sich Schmidt-Salomon (gbs) und Frieder-Otto Wolf (HVD) einig. Beide verwiesen in ihren Eingangsreden darauf, dass etwas mehr Besonnenheit und Vernunft der Diskussion gut zugestanden hätten.

Allerdings vertraten sie insofern gegensätzliche Meinungen, als dass Wolf sich gewünscht hätte, dass das Gesetz – wie in einem Memorandum gefordert – über einen längeren Zeitraum mit Fachleuten besprochen hätte werden müssen. Schmidt-Salomon verwies darauf, dass die GBS mit Ihrer Kinderrechtskampagne deshalb erst zu einem Zeitpunkt gestartet ist, als klar wurde, dass der Bundestag einen völlig übereilten Schulterschluss mit einigen Religionsgemeinschaften suchte. Für ihn ist eine gesetzliche Regelung völlig unnötig; denn es gab Bestimmungen, die ausreichten.

Besonders verwiesen wurde auf die rechtliche Ungleichbehandlung von Jungen und Mädchen als einen klaren Verstoß gegen grundgesetzlich verankerte Rechte. Schmidt-Salomon hält die Tür zur Vaginalverstümmelung von Mädchen mit diesem Gesetz für geöffnet. Denn die Begründungen, die dabei – genau wie bei der Beschneidung von Jungen – gegeben werden, ähneln sich. "Überall dort, wo Jungen aus kulturellen oder religiösen Gründen beschnitten werden, betrifft das auch Mädchen."

Doch ganz konnte der Abend die Erwartungen nicht erfüllen. Das lag sicherlich auch daran, dass sich sowohl das Podium als auch das Publikum zu einig waren in ihrer Ablehnung des Gesetzes. Hier wäre es gut gewesen, wenn ein Verfechter der Beschneidung wenigstens unter den Zuschauern gesessen hätte.

Die einzig wirkliche Diskussion entzündete sich an dem Punkt der "geistigen Zurechnungsfähigkeit" von Politikern. Während Frieder-Otto Wolf den verantwortlichen Politikern keinen bösen Willen oder gar Dummheit unterstellte, verwies Michael Schmidt-Salomon darauf, dass er im Zusammenhang mit der PID-Debatte den Eindruck gewann, dass etliche der Entscheidungsträger tatsächlich keine Ahnung haben von dem, worüber sie beschließen (er drückte das drastischer aus).

Etwas weiter gehend debattierten das Podium dann auch die Frage, ob Religionsunterricht – und auch weltanschaulicher Unterricht! – in Schulen noch angemessen ist. Hier zeigte sich die einzige Differenz zwischen der Auffassung der GBS und des HVD. Während Wolf die Meinung vertrat, dass nur ein staatlich überwachter (?) Religionsunterricht verhindere, dass extremistische Auffassungen die Oberhand gewinnen – er verwies dabei auf die USA – lehnte Schmidt-Salomon jeglichen Religionsunterricht als Bekenntnisunterricht strikt ab. Er plädierte für einen Ethikunterricht, der über die Religionen informiert ohne jedoch einer davon den Vorzug zu geben oder gar deren Glaubensinhalt als Schulunterricht vermittelt.

Auf Fragen aus dem Publikum hin blickte Schmidt-Salomon positiv in die Zukunft der säkularen Szene. Vor zehn Jahren wäre undenkbar, dass man die GBS oder den HVD bei ethischen oder weltanschaulichen Fragen gehört hätte. Heute hingegen sind diese – im Vergleich zu den Kirchen finanziell und personell bedeutend schlechter ausgestatteten – Organisationen anerkannter  Teil der Gesellschaft. Davon hätte man vor zehn Jahren nicht zu träumen gewagt.

Umso fragwürdiger ist es, wenn sich diese Verbände in Einzelfragen streiten und sich voneinander abgrenzen anstatt miteinander zu arbeiten.

F.N.

Fotos der Veranstaltung auf der Folgeseite