Unschuldig hingerichtet – und heute?

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Titelblatt einer Schrift (1598) von Anton Praetorius (1560-1613), der sich gegen Hexenprozesse und die Folter engagierte

LOCCUM. (hpd) Der Umgang mit der Geschichte ist auch immer eine Frage der heutigen Positionierung. Was hat die evangelische Kirche also mit den Hexenprozessen zu tun? Sehr viel mehr als allgemein bekannt ist und ein evangelischer Pastor fordert vehement die Rehabilitierung der Unschuldigen – zumeist Frauen – im Jahr der „Toleranz“ der Lutherdekade.

In einem Offenen Brief an den Landesbischof, die Kirchenleitung, die Synodalen, die Kloster- und die Loccumer Akademieleitung kritisiert der evangelische Pastor Hartmut Hegeler die Umgehensweise des Klosters und der Akademie Loccum mit den so genannten Hexenprozessen und ihrer unschuldigen Opfer. Die Akademie Loccum gilt als das „geistige Zentrum“ der Landeskirche.

Mangelhafte Tagungsplanung

Die Tagungsplanung zeigt gravierende Mängel in Bezug auf eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den historischen Ereignissen der Loccumer Hexenverfolgung und offenbart die rein apologetische Intention der Veranstaltung.

Nach Jahrhunderten des Verdrängens haben sich das evangelische Kloster Loccum und die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers aus Anlass des 850-jährigen Klosterjubiläums durchgerungen, endlich das dunkelste Kapitel ihrer Geschichte zu thematisieren. Das ist richtig und wichtig, damit einer der größten Massenmorde wieder ans Tageslicht gebracht wird – von Christen an Christen begangen.

Wie allerdings Tagungsprogramm und Veranstaltungsprospekt zeigen, hinterließen die Jahrzehnte des Verdrängens ihre Spuren.

„Hexen“

Da wird von Hexen gesprochen und nicht von unschuldigen Opfern der Hexenprozesse. Diese unreflektierte Wortwahl legt nahe, es habe wirklich eine gefährliche Hexensekte gegeben, gegen die die Verantwortlichen des Loccumer Stiftsgerichts, der klösterlichen Gerichtsbarkeit, vorgehen mussten.

"Wichtigster Wortführer gegen die Hexen in der Region war der Wiedensahler Pastor Heinrich Rimphoff". Er wetterte gegen die, "die mit der Verbrennung der Hexen nicht einverstanden waren."

Natürlich war für die damaligen Zeitgenossen Hexerei ein real existierendes Verbrechen, das bestraft werden musste. Aber aus heutiger Sicht ist jedem einsichtig, dass es "Hexen" im Sinne der Anklage in den Hexenprozessen nicht gab: ein Mensch kann nicht auf einem Besenstiel zum Hexensabbat fliegen oder mit Zauberei Wetterkatastrophen oder Krankheiten bewirken.

Das muss auch sprachlich in einem Veranstaltungsprogramm einer Evangelischen Akademie zum Thema seinen Niederschlag finden.

Wo wird das Leid der Opfer erwähnt?

Besonders hebt das Veranstaltungsprogramm Dokumente aus dem Klosterarchiv hervor: Geständnisse, Urteilsvorschläge, Begnadigungsschreiben, Kostenabrechnungen.

Die Wortwahl erweckt den Eindruck, die Angeklagten hätten Geständnisse abgelegt und deshalb wären Begnadigungsschreiben besonders erwähnenswert - aber warum ist nicht die Rede von den Folterprotokollen? Wo wird das Leid der Opfer erwähnt und das Schicksal ihrer Familien? Dieser Eindruck wird verstärkt durch den Abdruck des Geständnisses des Teufelspaktes durch einen Angeklagten. Der Veranstaltungsprospekt enthält Ausschnitte aus der Akte des Hexenprozesses, den das Kloster gegen Dietrich Wilhelm durchführen ließ (9.6.1634).

Unkommentiert bringt dieser Akten-Ausschnitt das "Geständnis" des Angeklagten: Wahr sei, dass er das schändliche Laster der Zauberei gelehrt und von Gott sich gewendet. Und er Gott verleugnen müssen. Hätte am Hexensabbat mit Satan teilgenommen und dort Bier getrunken. Hätte mit seiner teuflischen Buhlin geschlafen.

Warum erzählt der Veranstaltungsprospekt das Schicksal eines Mannes, - obwohl fast alle Hingerichteten Frauen waren? Warum enthält der Veranstaltungsprospekt sein unkommentiertes Geständnis der Gottesverleugnung - und kein Wort über die Folter, mit dem diese Geständnisse erfoltert wurden? Als hätten die Angeklagten das freiwillig bekannt!

Auflösung des Rätsels: Bei den Prozessen gab es nur eine einmalige Begnadigung: die des Dietrich Wilhelm. Vielleicht soll dieser Gnadenakt in der Veranstaltung positiv herausgestellt werden, um die Mönche des Klosters in einem guten Licht erscheinen zu lassen. Die nicht begnadigten Frauen werden nicht erwähnt.

Experten für magische und esoterische Subkulturen

Dieser apologetischen Tendenz entspricht, dass die historischen Hexenprozesse nachfolgend in Bezug gesetzt werden zur heutigen Esoterikszene und der Wiccabewegung, welche die Verkündigung der christlichen Kirchen bekämpfen.

Einer der Hauptredner des Tages ist Prof. Dr. Marco Frenschkowski. Er gilt als Experte für magische und esoterische Subkulturen und für phantastische und unheimliche Literatur. Dazu hat er zahlreiche Studien publiziert (zur Geschichte der Alchemie, des europäischen Okkultismus und der Renaissancemagie), u. a. mit der Fragestellung: "Wie wurde aus der "bösen Hexe" der europäischen Tradition die "gute Hexe" der ökofeministischen Esoterikszene und der Wiccabewegung?"

Hier wird die Hinrichtung unschuldiger Frauen durch die Hexenjustiz in Zusammenhang gebracht mit dem Wirken esoterischer Sekten von heute – eine intendierte Begriffsverwirrung. Soll hier nahegelegt werden, dass die Verurteilten doch Hexen waren?

So sieht nicht eine ernsthafte Gedenkkultur für die Opfer der Hexenprozesse aus.

Ob eine ehemalige Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen eine sinnvolle Bereicherung für die abschließende Gesprächsrunde  "Muss die Kirche die Hexen rehabilitieren"  sein kann?

Starker Zweifel ist angebracht, ob in dieser Besetzung ein ernsthaftes Gespräch über Gedenkkultur für die Opfer der Hexenprozesse intendiert ist.

Im Programm folgt nun die Hora – Stundengebet in der Tradition der Mönche, statt eines Gedenkgottesdienstes für die Opfer der Hexenprozesse mit einer Verlesung der Namen aller Hingerichteten.

Amos 5, 23-24: Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Auch die Ankündigung des anschließenden literarisch-musikalischen Abends – für die 11 Euro zu zahlen sind – klingt nicht nach einer theologischen Aufarbeitung der Verantwortung des Klosters für die Durchführung der Hexenprozesse.