Religion und Kindesmissbrauch

Innaiah Narisetti fordert die Vereinten Nationen auf, religiösen Kindesmissbrauch zu unterbinden

Innaiah Narisetti ist der Vorsitzende des indischen Center for Inquiry. Dieser Artikel ist ein Auszug von einem Dokument, das er bei einem Kongress des Center for Inquiry in China kommenden Oktober vorstellen wird.

Über die letzten Jahre ist dem Thema Kindesmissbrauch weltweit beträchtliche Aufmerksamkeit geschenkt worden. Die Vereinten Nationen haben sich durch ihre Sonderorganisationen wie die UNESCO (die Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) auf dieses Thema konzentriert und die schlimmsten Formen eines solchen Missbrauchs erkannt. Dazu gehört Kinderarbeit, woran schätzungsweise 250 Millionen Kinder angesichts praktizierter Sklaverei in irgendeiner Weise beteiligt sind, Knechtschaft aufgrund familiärer Schulden oder Leibeigenschaft; sowie die erzwungene Rekrutierung und Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten, Kinderpornographie und Prostitution und die Produktion und Verbreitung von illegalen Drogen.

Die Internationale Arbeitsorganisation, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) und die UNESCO diskutieren regelmäßig auf verschiedenen Ebenen und organisieren internationale Tagungen. Die UN hat eine weltweite Erklärung für den Schutz von Kindern angenommen, die Kinderrechtskonvention.

Die Kinderrechtskonvention

Die Menschenrechte von Kindern und die Richtlinien, an die sich alle Regierungen halten müssen, um diese Rechte für alle Kinder durchzusetzen, wurden am prägnantesten ausgedrückt in einem internationalen Vertrag für Menschenrechte: Die Kinderrechtskonvention. Diese Konvention ist das am weitesten akzeptierte Menschenrechtsdokument der Geschichte. Es wurde von jedem Land der Welt ratifiziert, außer von zweien: Den Vereinigten Staaten von Amerika und Somalia. Sie rückt Kinder ins Zentrum der Bemühungen, die Menschenrechte überall durchzusetzen. Durch die Ratifizierung dieses Dokuments haben sich nationale Regierungen dazu verpflichtet, Kinderrechte zu schützen und zu sichern und sie haben sich darauf geeinigt, für diese Verpflichtung vor der internationalen Gemeinschaft Rechenschaft abzulegen.

Obwohl es bedauerlich ist, dass ein mächtiges Land wie die USA die Kinderrechtskonvention noch ratifizieren muss, sind die Bemühungen der UN gewinnbringend und setzen den dringend erforderlichen Akzent darauf, das Leben von Kindern weltweit zu verbessern.

Der Einfluss der Religion

Trotz all des Aufwands und der Rhetorik über den Schutz von Kindern und ihren Rechten gibt es ein erhebliches Defizit in der weltweiten Kampagne zum Schutz der Kinder: Der Einfluss der Religion und ihre fortlaufende Beteiligung an vielen Formen des Kindesmissbrauchs überall auf der Welt.

Ein solcher Missbrauch beginnt mit der unfreiwilligen Beteiligung von Kindern an religiösen Praktiken vom Zeitpunkt ihrer Geburt an. Alle Religionen zielen durch Rituale, Predigten und religiöse Texte darauf ab, Kinder in die tägliche Ausübung einer Religion einzuführen. Dies ermöglicht heiligen Büchern und Schriften, wie auch jenen, die sie lehren, einen frühen Zugriff auf die sich entwickelnden Geister junger Menschen und hinterlässt bei ihnen einen unauslöschlichen Eindruck. In vielen Fällen, vor allem in der katholischen Kirche, war diese aufgezwungene und andauernde Auslieferung von Kindern an religiöse Institutionen ein Schlüsselfaktor für den körperlichen, geistigen und sexuellen Missbrauch von Kindern durch religiöse Führer.

Dieser frühe Zugriff ist so stark, dass nur wenige Menschen, wenn sie schließlich erwachsen sind, jemals die Möglichkeit bekommen, ihre Haltung zu ändern, obwohl sie Wissenschaft und rationalem Denken, oder sogar anderen religiösen Systemen, ausgesetzt sind. Religiöse Glaubensannahmen gedeihen, indem sie sich leicht beeindruckbaren Geistern aufzwingen und ihre blinde Folgsamkeit gegenüber bestimmten dogmatischen Praktiken erreichen. In gewisser Hinsicht bildet dies die Grundlage für ständigen psychologischen Missbrauch junger Kinder, indem es Erwachsenen die Verwendung der Religion als Vorwand für diverse andere Formen des Missbrauchs ermöglicht, zum Beispiel, indem man sie dazu zwingt, im Namen von Religion und Volkszugehörigkeit in Kriegen zu kämpfen. Im Verlaufe des Jahres 2004 haben weltweit etwa
300 000 Kinder in nationalen Armeen als Soldaten gedient.

Was die aufgezwungene Einimpfung von Religion und die resultierenden Kindesmissbräuche im Namen der Religion betrifft, bleiben die UN und alle ihrer Sonderorganisationen unerschütterlich still.

Die Zurückhaltung der UN

Auf die eine oder andere Weise verstoßen alle Religionen gegen Kinderrechte. Dennoch ist sich eine Einrichtung wie die UN, welche dem Vatikan erlaubt, unter ihren Mitgliedsländern repräsentiert zu sein, nicht im Klaren darüber - oder wahrscheinlicher - nicht in der Lage und nicht Willens, dem Vatikan in Punkto religiöser Missbrauch von Kindern Paroli zu bieten. Vom Vatikan geht ein erheblicher Druck aus, um jedweden Beschluss zurückzuziehen oder zu verwässern, der auf Religion als Ursache von Missbrauch oder Konflikt verweist. Denken Sie außerdem daran, dass die UN nicht bereit ist, ihre Mitgliedsländer damit zu konfrontieren, vor allem jene der muslimischen Welt, die auch eine Menge Druck ausüben können, wenn es um den Missbrauch von Kindern in ihren religiösen Schulen (Koranschulen) geht, wo Kinder zum Beispiel gezwungen werden, sechs tausend Koranverse auswendig zu lernen, ein Vorgang, der sowohl geistigen als auch körperlichen Missbrauch einschließt.

Ein Ergebnis davon ist, dass die UN und die mit ihr verbundenen Organisationen dazu neigen, nur die Symptome zu bekämpfen und nicht die Wurzel, die einige der heimtückischsten Formen des Kindesmissbrauchs verursacht. UNICEF weigert sich zum Beispiel, obwohl sich jeder gegen Genitalverstümmelung ausspricht, dies als religiöse Praxis anzuerkennen und zu verurteilen. Stattdessen redet sie von Bildungsgemeinschaften und gibt Millionen von Dollars für Erste-Hilfe-Kästen aus, um die Kinder zu behandeln, die bereits verstümmelt wurden. Weil sie nicht deutlich auf die wahren Schuldigen hinweist - religiöse Praktiken - verpasst die UN nicht nur eine gute Gelegenheit, das Problem an der Wurzel zu packen, sondern verbindet außerdem eine sehr tiefe Wunde mit einem viel zu dünnen Verband.

Geschlechterdiskriminierung

Ein anderer Bereich, in dem Religionen zu Kindesmissbrauch beitragen, ist explizite und implizite Geschlechterdiskriminierung, die zu ungleichen Rechten und Chancen von Jungen und Mädchen führt und zu weiteren Missbräuchen beiträgt. Obwohl wirtschaftliche Faktoren ebenfalls einen Anteil haben, liegen die Wurzeln dieser Ungleichheit bei religiösen und gesellschaftlichen Sitten. Wie kann die UN hoffen, das Problem der Kinderarbeit in den Griff zu kriegen, oder die fehlenden Bildungsmöglichkeiten für Kinder in 130 Entwicklungsländern, die keine Grundschulen besuchen, davon die meisten Mädchen? In der islamischen Welt ist es einigen Schülerinnen gestattet, bestimmte Koranschulen zu besuchen. Sie werden jedoch dazu gezwungen, in Klassenzimmern oder sogar Schulen zu lernen, die von denen ihrer männlichen Altersgenossen getrennt sind.

Es mangelt weltweit an Bereitschaft, anzuerkennen, dass alle Religionen ihre Bildungseinrichtungen und -programme nutzen, seien es Sonntagsschulen, Koranschulen, oder jüdische oder Hindu-Tempel, um Kinder zu indoktrinieren. Manchmal geschieht dies unter dem Vorwand, gute moralische Werte zu vermitteln, jedoch übt, sagen wir, eine Koranschule kein bisschen weniger Einfluss auf junge Geister aus, als eine christliche Sonntagsschule, auch wenn sie strenger und unverholener vorgehen mag.

Im Endeffekt versucht jedes dieser Programme, den Glauben an die Überlegenheit einer Religion anzuerziehen und kritiklosen Glauben an dieses System einzuimpfen.

Die Debatte muss beginnen!

Genauso, wie wir uns der Kinderheirat widersetzen, weil Heirat ein Brauch für Erwachsene ist, und genauso, wie wir Kinder nicht an bestimmten bürgerlichen Pflichten wie Wählen teilhaben lassen, bis sie ein bestimmtes Alter erreicht haben, ist die Zeit nun gekommen, uns über die Beteiligung von Kindern an religiösen Bräuchen zu unterhalten. Während es Einige für eine Sache halten, die man besser den Eltern überlässt, erfordert der negative Einfluss der Religion und folglich ihre Beteiligung am Kindesmissbrauch durch religiöse Glaubensannahmen und Gepflogenheiten von uns, die Frage zu stellen, ob organisierte Religion eine Einrichtung ist, der Grenzen gesetzt werden muss, wenn es darum geht, wie früh sie Zugriff auf Kinder haben sollte.

Dies wird zweifellos eine kontroverse Position sein. Auf jeden Fall gibt es nichts, was die UN davon abhalten sollte, eine globale Versammlung einzuberufen, um über religiösen Kindesmissbrauch zu reden, ein Forum, wo Pro und Kontra offen abgewägt werden, ob man Kinder der Religion aussetzen sollte und wie es mit deren Einfluss auf Kinder steht. Die Weltgemeinschaft kann bei diesem wichtigen Thema nicht still bleiben, nur weil es ein empfindliches und schwieriges Thema ist, auch wenn man die Mitgliedsländer und ihre religiösen Interessen bedenkt. Eine solche Versammlung wäre auch für diejenigen eine Gelegenheit, die über die Vorteile des religiösen Einflusses auf Kinder reden möchten, also sollte die UN eine solche Debatte nicht fürchten.

Falls eine solche Versammlung klar aufzeigen sollte, dass Religion weltweit zum Kindesmissbrauch beiträgt, muss die UN deutlich Position beziehen gegenüber dem Problem aufgezwungener Beteiligung von Kindern an religiösen Praktiken; sie muss sich für die Kinderrechte einsetzen und nicht für das automatische Recht von Eltern und Gesellschaften, ihre religiösen Glaubensannahmen weiterzugeben und sie muss erneut prüfen, ob eine Organisation wie der Vatikan zur UN gehören sollte.

Bis dies geschieht, werden Millionen von Kindern weltweit im Namen der Religion weiterhin missbraucht werden und die Bemühungen der UN werden die Symptome, nicht aber die Krankheit bekämpfen.

Übersetzung: Andreas Müller
Original: Narisetti, Innaiah: "Religion and Child Abuse", secularhumanism.org, 4. Juni 2007

 

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