Weniger wäre mehr

Thomas Pikettys Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert"

(hpd) Der französische Ökonom Thomas Piketty legt mit seinem Buch “Das Kapital im 21. Jahrhundert” eine voluminöse Untersuchung zur historischen Entwicklung von Einkommen und Vermögen vor, welche auf Basis umfangreichen Datenmaterials in der Erkenntnis “Wer hat, dem wird gegeben” mündet. Der zunächst gefeierte Autor hat bei allem Faktenreichtum hier und da doch ein paar Rechenfehler begangen, was aber nicht grundsätzlich gegen seine wohlmöglich kürzer formulier- und besser belegbare Kernaussage spricht.

Ist “Das Kapital im 21. Jahrhundert” denn “Das Kapital” im 21. Jahrhundert? Den Sinn dieser Frage versteht man nur, wenn die Anführungszeichen beachtet werden. Mit “Das Kapital” ist der gleichnamige Klassiker von Karl Marx, mit “Das Kapital im 21. Jahrhundert” die umfassende Studie von Thomas Piketty gemeint.

Dafür scheinen Lobeshymnen für den als Professor an der Paris School of Economics lehrenden Autor wie das folgende Statement von dem Ökonomien-Nobelpreisträger Paul Krugman “Dieses Buch wird die Ökonomie verändern und mit ihr die ganze Welt” in “The New York Review of Books” zu sprechen.

Beispielbild

Indessen wäre die Gleichsetzung beider Bücher schon aus inhaltlichen Gründen falsch: Während Marx eine abstrakte Abhandlung zur Analyse der gesamten Funktionsweise des Kapitalismus vorlegte, geht es Piketty in seiner empirischen Studie um die Regeln für die Verteilung der Vermögen. Dazu bedient er sich eines umfangreichen Datenpools, der insbesondere statistisches Material zur sozialen und ökonomischen Entwicklung in Großbritannien und Frankreich enthält.

Seine Analyse gliedert der Autor in vier große Teile mit 16 Kapiteln, die auf fast 800 Seiten die Dynamik von Einkommen und Vermögen mit folgender Ausgangsthese untersucht: “Wenn die Kapitalrendite dauerhaft höher ist als die Wachstumsrate von Produktion und Einkommen, was bis zum 19. Jahrhundert der Fall war und im 21. Jahrhundert wieder zur Regel zu werden droht, erzeugt der Kapitalismus automatisch inakzeptable und willkürliche Ungleichheiten, die das Leistungsprinzip, auf dem unsere demokratische Gesellschaften basieren, radikal infragestellen” (S. 13f.).

Zur Entwicklung dieser Erkenntnis werden zunächst die Grundbegriffe “Einkommen” und “Kapital” erläutert und die Stadien des Wachstums von Produktion und Einkommen seit der Industriellen Revolution dargestellt. Danach geht es um die Entwicklung des Kapitalstocks unter dem Gesichtspunkt seines Gesamtumfangs und seiner Zusammensetzung. Dem folgend steht die Entwicklung der Ungleichheit auf individueller Ebene, aber auch die Rolle des Staates im Zentrum des Interesses.

Bilanzierend heißt es: “Die allgemeine Lehre, die sich aus den untersuchten Daten ziehen lässt, ist die, dass die Dynamik einer auf Privateigentum beruhenden Marktwirtschaft, wenn sie sich selbst überlassen bleibt, machtvolle Konvergenzkräfte freisetzt, die namentlich in der Verbreitung von Kenntnissen und Fähigkeiten liegen, aber auch machtvolle Divergenzkräfte, die unsere demokratischen Gesellschaften und jene soziale Gerechtigkeit bedrohen, die zu ihren Legitimationsgrundlagen zählt. Die mächtigste destabilisierende Kraft liegt in der Tatsache, dass die private Kapitalrendite dauerhaft sehr viel höher sein kann als die Wachstumsrate des Einkommens und der Produktion.” (S. 785). Daraus leitet Piketty dann Lehren für die Zukunft des Sozialstaats im 21. Jahrhundert ab, denn die geschilderten Tendenzen seien keineswegs unumkehrbar. Insbesondere in der Politik erblickt der Autor den entscheidenden Faktor zum Gegensteuern, was etwa in Form der Einführung einer Art globalen Kapitalsteuer als einer Art erstem internationalen Schritt möglich wäre.

Spätestens nach dem Erscheinen einer Übersetzung in den USA avancierte Pikettys keineswegs leicht lesbares Buch zu einem Bestseller und wurde mit euphorischem Lob wie etwa der Rede von eine “intellektuellen Glanzleistung” in der “Washington Post” überschüttet. Nach einer Phase der euphorischen Begeisterung folgte aber auch eine Phase der kritischen Kommentierung, wobei dies insbesondere in der wirtschaftsnahen Presse wie dem “Economist” oder der “Financial Times” geschah.

Auch wenn manche Einwände ideologisch oder interessenbezogen motiviert sein mochten, waren Datenignoranz und Rechenfehler bei Piketty nicht immer so einfach von der Hand zu weisen. Dies muss den Autor, der so stolz auf seinen empirischen Ansatz ist, mehr als nur am Rande treffen. Indessen sprechen seine Fehler nicht notwendigerweise gegen die Kernaussage, welche aber eben auch nicht besonders neu ist. Andere Autoren haben gleiche Tendenzen für Deutschland (z.B. Heinrich August Winkler) oder die USA (z.B. Joseph Stiglitz) kürzer und überzeugender belegt.

Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, München 2014 (C. H. Beck-Verlag), 817 S., 29,95 Euro