BERLIN. (hpd) Brittany Maynard, eine unheilbar an Krebs erkrankte junge Frau aus dem US-Bundesstaat Oregon hat - wie von ihr seit einiger Zeit angekündigt - mittels Medikamenten am vergangenen Wochenende ihr Leben beendet. Der Fall der 29-Jährigen fand weltweit Beachtung. Nicht nur in den USA, auch in Deutschland hat ihr Schicksal die Debatte über die Sterbehilfe neu belebt.
Die an einem aggressiven Hirntumor erkrankte Brittany Maynard erklärte in einer bewegenden Videobotschaft, warum sie Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollte. Nach der Diagnose ihrer Ärzte, dass sie nur noch wenige Monate zu leben habe, schrieb Maynard, sie wolle nicht sterben, aber ihr Tod sei unausweichlich. Sie wollte selbst entscheiden, wie und wann sie sterben sollte. Sie ging offen mit ihrem Schicksal um und sie setzte sich dabei für die selbstbestimmte Sterbehilfe ein: “Ich möchte, dass alle Amerikaner die gleichen Rechte haben.” Um ihre eigene Entscheidung umsetzen zu können, siedelte sie mit ihrer Familie aus Kalifornien nach Oregon über.
Oregon war der erste Bundesstaat, der es Ärzten erlaubte, sterbenskranken Patienten auf deren Wunsch todbringende Medikamente zu verschreiben. Voraussetzung ist aber, dass der Patient in der Lage sein muss, die Medikamente allein zu nehmen. Rund 750 Menschen haben bisher von diesem Recht Gebrauch gemacht.
Sterbehilfe in Deutschland: Reicht Rechtsprechung aus?
Der Fall macht - wieder einmal - deutlich, wie drängend das Problem der Sterbehilfe ist. Ähnliche Fälle wie den von Brittany Maynard gibt es auch in Deutschland. Es besteht dringender Regelungsbedarf. Das Problem ist dabei nicht die Rechtsprechung.
In den letzten Jahren ist kein Urteil bekannt geworden, das die Selbstbestimmung der Menschen eingeengt hat. Im Gegenteil: gerade der Bundesgerichtshof räumt dem Recht auf Selbstbestimmung einen hohen Stellenwert ein. Zuletzt entschied der BGH, dass auch der mutmaßliche Wille des Sterbenden zu respektieren ist. Die Rechtsprechung allein ist aber überfordert, diese überaus komplexe Problematik zu regeln. Sie kann immer nur punktuelle bestimmte Fallkonstellationen beurteilen. Ein Gericht kann den Gesetzgeber nicht ersetzen, der sich vor seiner Verantwortung drückt.
Es wäre die originäre Aufgabe des Bundesgesundheitsministers, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das allen Beteiligten Rechtsklarheit gibt, Ärzten, Angehörigen und vor allem den Patienten selbst. Dieses Gesetz müsste das Selbstbestimmungsrecht durch geeignete Vorkehrungen aktiv stärken, beispielsweise durch Hinzuziehung eines oder mehrerer weiterer Ärztinnen oder Ärzte. Hier bedarf dringend einer vom Gedanken der Humanität getragenen gesetzlichen Regelung zum Schutz der Betroffenen. Dieses Gesetz sollte auch die Stellung der Angehörigen regeln, ebenso die Rolle von Vereinigungen, die sich der Begleitung Sterbender widmen.
Bundesgesundheitsminister: Organ der Kirchen und der Bundesärztekammer?
Doch was plant der Minister? Er kriminalisiert die Organisationen, die von den Betroffenen in ihrer Not angerufen werden, weil sie sich nicht anders zu helfen wissen, um ihr Menschenrecht auf ein selbstbestimmtes Ende durchzusetzen. Würden sich Gröhe und sein Anhang mit ihrer Politik “Kriminalisierung statt Hilfe” durchsetzen, wäre praktisch jede Form der Hilfe für Sterbende, die sich nicht unter der Fuchtel kirchlicher Dogmen und weltlicher Segenssprüche der Bundesärztekammer stellt, ein kriminelles Delikt. Leider wird die Geisterfahrt des Ministers auch von Abgeordneten aus den Oppositionsfraktionen auf dem Beifahrersitz begleitet.
Der Meinungsbildungsprozess im Parlament ist aber noch in vollem Gange. Interessant wird eine erste Debatte am 13. November sein. Da werden wir sehen, ob es den klerikal-konservativen Kräften gelingt, eine parlamentarische Mehrheit auf die Beine zu stellen.
Man mag mit der Arbeit einiger dieser “Sterbehilfe-Organisationen” einverstanden sein oder nicht: sie füllen aber eine Lücke, die der Staat in seiner klerikal dominierten Verantwortungslosigkeit lässt. Wir müssen uns vor Augen halten, dass Strafrecht immer das schärfste Mittel des Staates ist, gegen besonders schwere Verstöße gegen gesellschaftliche Normen vorzugehen. Strafrecht darf aber keinesfalls als Instrument missbraucht werden, Menschen am Ende ihres Lebens von der Wahrnehmung ihrer letzten persönlichen Verantwortung auszuschließen. Sollten sich die Konservativen mit der Kriminalisierung der Sterbehilfe durchsetzen, wäre das ein schwerer Schlag gegen eine große Mehrheit der Bevölkerung, die klipp und klar Selbstbestimmung verlangt und die Entmündigung im Prozess des Sterbens durch Kirche und Staat ablehnt.
Von klerikal-konservativer Seite wird den Befürwortern des Selbstbestimmungsrechts gerne unterstellt, sie würden Menschen in Not sich selbst überlassen. Das ist zwar nichts anderes als eine infame Agitation. Ich teile allerdings die Überzeugung, dass der Staat dem Menschen in seiner letzten Lebensphase viel mehr beistehen muss als bisher und den Dingen nicht einfach ihren Lauf lassen darf. Die Unterstützung der Palliativmedizin ist dabei ebenso notwendig, wie die bessere Ausstattung der Pflege.
Palliativmedizin und Hospize ersetzen nicht Selbstbestimmung
Der Fall der jungen Frau in Oregon zeigt aber auch, dass es zu kurz greift, wenn sich hierzulande Politiker mit dem Hinweis aus der Affäre ziehen, die Palliativmedizin und die Hospize müssten lediglich ausgebaut werden, und das Problem des Umgangs mit dem Wunsch zu sterben, sei damit ein für alle Mal gelöst. Es gibt Krankheitsbilder, bei denen Menschen den klaren Wunsch haben, trotz guter Pflegemöglichkeiten ihr Leben zu beenden.
Von den Vorbehalten gegen Sterbehilfe geht mir eines besonders nahe, weil es tatsächlich von humaner Gesinnung und nicht von kalten Dogmen geleitet ist: Die Politik muss Vorsorge dagegen treffen, dass Menschen aus Armut und Einsamkeit unter gesellschaftlichem Druck entscheiden, ihr Leben zu beenden. Es wäre – hier müssen wir die Besorgnisse sehr ernst zu nehmen - leichtfertig, die Gefahr der Beeinflussung aus Kostengründen zu unterschätzen. “Sterben nach Kassenlage”: ein Horror für jede freiheitlichen und den Menschenrechten verpflichteten Ordnung.
Kein staatlicher Zwang zum Weiterleben unter Qualen
Gerade um dieser Gefahr vorzubeugen. kommt es jetzt darauf an, die Betroffenen und diejenigen, die sich um sie kümmern, nicht durch Strafandrohungen zu verunsichern, sondern vielmehr auf jede sinnvolle Weise zu stützen. Jeder äußere Druck auf Menschen, ihrem Leben ein Ende zu machen, offenbart die gleiche Respektlosigkeit vor der Persönlichkeit, wie staatlicher Zwang, trotz Qualen oder der Gewissheit der Aussichtslosigkeit gegen den erklärten eigenen Willen weiterleben zu müssen. Ich habe in einem offenen Brief Kardinal Marx gefragt, ob nicht Hans Küng mit seiner Frage Recht hat, das ein Verweigern der Sterbehilfe gegenüber Sterbenden nicht ebenso ein Missbrauch sein kann, “wie wenn man einen Schwerkranken zum Sterben drängt?” (Hans Küng, Glücklich Sterben? Pieper-Verlag 2014, S. 62, 63).
Aufklärung
Am Ende ihres Lebens benötigen die Menschen keine mit staatlichen Zwangsmitteln durchgesetzte Ideologie, sondern jede erdenkliche Form der Hilfe und Ermutigung. Dies ist der richtige Weg, sich gegen ungebetene Einmischungen und jede Form der Bevormundung zur Wehr setzen zu können. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist, dass die Betroffenen endlich Rechtsklarheit darüber erhalten, dass nur sie selbst das letzte Entscheidungsrecht darüber haben, wann sie das eigene Leben noch als lebenswert ansehen und wann nicht mehr.
Aufklärung ist eben immer auch der Kampf gegen jede Form der Unmündigkeit.