OBERWESEL. (hpd/gbs) “Der öffentliche Friede wird nicht durch Künstler gestört, die Religionen satirisch aufs Korn nehmen, sondern durch Fanatiker, die auf Kritik nicht angemessen reagieren können”, erklärte gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon nach dem Anschlag auf das französische Satiremagazin “Charlie Hebdo”. Die weltweiten Solidaritätsbekundungen nach dem Attentat seien ermutigend, aber keineswegs ausreichend. So müsse in Deutschland endlich der sogenannte “Gotteslästerungsparagraph” (§ 166 StGB) gestrichen werden, der den verhängnisvollen Eindruck erwecke, “religiöse Gefühle” seien bedeutsamer als die Freiheit der Kunst.
“Mit Jean Cabut (‘Cabu’), Georges Wolinski, Stéphane Charbonnier (‘Charb’) und Bernard Verlhac (‘Tignous’) sind vier der wichtigsten Karikaturisten Frankreichs bei dem Anschlag ums Leben gekommen. Sie hinterlassen eine Lücke, die kaum zu schließen ist”, sagte Schmidt-Salomon. Kaum jemand habe solchen Mut gezeigt, den Einschüchterungsversuchen muslimischer wie christlicher Fundamentalisten zu trotzen. Es sei zu hoffen, “dass Cabu, Wolinski, Charb und Tignous weltweit Nachfolger finden, die sich durch das schreckliche Blutbad von Paris nicht abschrecken lassen”.
Schmidt-Salomon bezeichnete es als “ermutigend”, dass die Politik und die Medien auf den Anschlag in Paris deutlich anders – nämlich im Sinne einer Stärkung der Kunst- und Meinungsfreiheit – reagierten, als sie es noch 2006 beim sogenannten “Karikaturenstreit” getan haben. “Damals”, so Schmidt-Salomon, “sind viele Politiker nach den Gewaltexzessen, die durch die Veröffentlichung von zwölf Mohammed-Karikaturen in der Zeitung ‘Jyllands Posten’ ausgelöst wurden, fürchterlich eingeknickt, indem sie falschen Respekt gegenüber den ‘verletzten Gefühlen’ religiöser Fanatiker zeigten.” Einige Politiker hätten sich in der Folge sogar als “Trittbrettfahrer des religiösen Fundamentalismus” betätigt und eine Verschärfung des “Zensurparagraphen 166 StGB” gefordert.
Die Giordano-Bruno-Stiftung hatte darauf postwendend mit einer vielbeachteten öffentlichen Petition geantwortet, die klarstellte, dass die Freiheit der Kunst niemals aus Rücksicht auf religiöse Borniertheit eingeschränkt werden dürfe.
Schon damals hatte die gbs die ersatzlose Streichung des §166 StGB gefordert, der Künstlerinnen und Künstler mit Gefängnis bis zu drei Jahren bedroht, sofern sie Religionen oder Weltanschauungen in einer Weise “verächtlich” machten, die den “öffentlichen Frieden” gefährde. “In der Praxis hat dieser Paragraph zu einer völligen Verkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses geführt”, führte Schmidt-Salomon aus. “Namhafte Künstler wie Kurt Tucholsky oder George Grosz wurden mithilfe dieses Zensurparagraphen gemaßregelt. Tatsächlich aber wurde der öffentliche Friede niemals durch kritische Kunst bedroht, sondern vielmehr durch religiöse oder politische Fanatiker, die nicht in der Lage waren, die künstlerische Infragestellung ihrer Weltanschauung rational zu verarbeiten.”
Schmidt-Salomon spricht hier aus eigener Erfahrung: Das von ihm komponierte Rockmusical “Das Maria-Syndrom”, eine Hommage an den amerikanischen Musiker und Bürgerschreck Frank Zappa, wurde 1994 mithilfe des §166 verboten. Einer der Hauptgründe damals: Katholische Fundamentalisten hatten ihn nach Presseberichten über das Stück mit Morddrohungen überzogen.
“Wenn den deutschen Politikern die Kunstfreiheit wirklich so wichtig ist, wie sie behaupten, sollten sie den längst überfälligen Schritt vollziehen und den alten Gotteslästerungsparagraphen abschaffen!”, fordert Schmidt-Salomon. “Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass sich der Freiheitsgrad einer Gesellschaft nicht zuletzt darin bemisst, welchen Freiraum sie Satirikern gewährt. Denn sie sind die ersten, die totalitärem Denken zum Opfer fallen, geht doch Totalitarismus stets mit einer ausgeprägten Humorallergie einher. Ein moderner Rechtsstaat sollte daher den Freiraum für kritische und vor allem satirische Kunst nicht nur schützen, sondern die Künstlerinnen und Künstler in ihrer kulturellen Aufgabe bestärken, althergebrachte Sichtweisen infrage zu stellen. Dies jedoch wird nur möglich sein, wenn religiöse oder politische Fanatiker in ihre Schranken verwiesen werden. Hierzu müsste der Gesetzgeber klarstellen, dass die Kritikunfähigkeit totalitär denkender Gruppen niemals mit einer Einschränkung der Kunst-, Meinungs- und Pressefreiheit belohnt werden kann. Dies wiederum verlangt, dass der alte Gotteslästerungsparagraph 166 StGB, der im Kern noch aus der Zeit der Vermählung von Thron und Altar stammt, verschwindet! Borniertheit, Intoleranz und Humorlosigkeit sind beim besten Willen keine Rechtsgüter, die in irgendeiner Weise geschützt werden sollten.”
Lesen Sie zu diesem Thema auch:
Respekt? Wovor denn? - Kommentar von Michael Schmidt-Salomon (Zeit-Online, 21.9.2012)
Zur Vergabe des Blasphemiepreises “Der freche Mario” - Laudatio von Michael Schmidt-Salomon (München, 10.10.2008)
16 Kommentare
Kommentare
Rolf Schröder am Permanenter Link
Konsequenter sollte man nicht nur den & 166 StGB abschaffen, sondern den Straftatbestand der „Menschenfeindlichkeit unter Berufung auf Gott“ einführen.
1. die Förderung von Wissenschaft und Forschung;
2. die Förderung der Religion;
3. …
Da Religion offensichtlich gemeinschädlich ist, sollte sie aus dieser Liste unbedingt gestrichen werden!
Romana Blechschmidt am Permanenter Link
Bravo, Michael Schmidt-Salomon! Die Abschaffung dieses nach Moder und Verwesung stinkenden Paragraphen wäre die wichtigste Konsequenz aus dem schrecklichen Massenmord in Paris.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich unterstütze diese Initiative ohne Wenn und Aber! Ich sitze zur Zeit an zwei Büchern über die Entstehung religiöser Mythen.
MaNo am Permanenter Link
Nicht Götter und Religionen sondern die Menschen müssen geschützt werden!
Thomas Reutner am Permanenter Link
Hiermit drohe ich öffentlich, dass wenn der religiöse Terrosismus nicht sofort ein Ende nimmt, ich Gott lästern werde!
elb am Permanenter Link
Den Majestätsbeleidigungs Paragraph können wir bei der gelegenheit auch gleich abschaffen:
http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__90.html
Marcel Mänz am Permanenter Link
In dem Bewusstsein meiner eigenen Kleinheit und in dem Wissen, als Einzelner nur wenig bewegen zu können, habe ich heute gleichwohl eine Online-Petition beim Deutschen Bundestag eingereicht.
Armin Kirchmaus am Permanenter Link
Was ist denn draus geworden ? Bis wann müsste man da eine Antwort bekommen ?
Marcel Mänz am Permanenter Link
Hallo Armin Kirchmaus, meine Petition wurde nicht zur Entscheidung angenommen.
Armin Kirchmaus am Permanenter Link
Is ja schade. Nur 11 Tausend. Jedes Jahr gibts allein 25000 Jugendweiheteilnehmer. Ich kenne eigentlich niemanden in meinem Umfeld, der das nicht unterschreiben würde.
Marcel Mänz am Permanenter Link
Ob es da eine Art "Mindestabstand" für gleichartige Petitionen gibt, ist mir nicht bekannt (ich bin Zivilrechtlicher und im Öffentlichen Recht bin ich alles andere als fit...).
Ich stand auch mit einem Redakteur des SPIEGEL-ONLINE in Kontakt, da er einen kritischen Artikel verfasst hatte (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/kommentar-zu-charlie-hebdo-mehr-blasphemie-bitte-a-1011941.html). Selbst seine "Werbung" über Twitter hat aber nicht für einen größeren Unterstützerkreis gesorgt. Schade ist das...
Armin Kirchmaus am Permanenter Link
Naja, die Bundesregierung ist ja nicht an den wenigen Unterstützern schuld. Öffentlichkeit ist halt ein praktisches Problem. Haben die Humanisten keine Info-Netzwerke ? Ich denke, sowas muss man vorbereiten.
Dass Spiegel-Leser mehrheitlich erst gucken, was ihre jeweilige Politgottheit (Partei) dazu sagt, hätte man ahnen können.
( http://www.humanismus.de/aktuelles/abschaffung-strafgesetzbuchparagrafen-166 )
Marcel Mänz am Permanenter Link
So meinte ich das auch gar nicht. Ich wollte lediglich ausdrücken, dass sich ein gewählter Bundestag vermutlich nicht zwei Mal hintereinander mit der gleichen Thematik befassen wird.
Ich bin seit kurzer Zeit Mitglied beim IBKA. Eventuell wird man dann auch über solche Organisationen den nächsten Versuch begleiten müssen.
Sven Schultze am Permanenter Link
Je suis Charlie!
Ein sehr guter Kommentar von Michael Schmidt-Salomon. Ich unterstütze diese Forderung auch und hoffe, dass endlich Bewegung in die Debatte um die Abschaffung dieses furchtbaren Paragrafen kommt.
Allerdings hätte ich bei so einer furchtbaren Sache, wie dem Anschlag auf Charlie Hebdo und den Tod von 12 Menschen vom humanistischen pressedienst deutlich mehr erwartet! Wie wäre es mal damit, ein paar Karrikaturen hier beim hpd zu ziegen? Am besten in Großformat; eine Woche (oder länger) die besten und originellsten Zeichnungen von Charlie´s Zeichnern hier zu zeigen! Das wäre eine würdige Hommage an getötete Kollegen und an alle Menschen, die auch weiterhin furchtlos ihr Recht auf freie Meinungsäußerung nutzen werden!
Je suis Charlie!
Emanon am Permanenter Link
Ich bin ebenfalls der Meinung, dass § 166 StGB ersatzlos gestrichen werden sollte.
Eine Sache, sollte in der Argumentation aber bedacht werden: Dieser Paragraf schränkt die Freiheit der Kunst nicht ein. Die Kunstfreiheit in unserem Grundgesetz unterliegt nämlich nicht der Beschränkung durch einfache Gesetze wie dem StGB. Meinungs- und Pressefreiheit können durch einfache Gesetze beschränkt werden. Die Kunstfreiheit lässt sich jedoch nur durch andere Grundrechte beschränken.
Versucht man also so zu argumentieren wie der von mir verehrte Schmidt-Salomon, gibt man den Gegnern in dieser Debatte ein einfache Mittel an die Hand zu kontern.
Manfred Polenzky am Permanenter Link
Als ich in der Zeitung las, ein ehemaliger Lehrer sei wegen Gotteslästerung verurteilt worden, kam die Frage auf, in welchem sog. "Gottesstaat" dieses Urteil gesprochen wurde.
Die Meinungsfreiheit ist also eingeschränkt; ich darf also nicht öffentlich machen, dass ich jegliche Art von Gott für eine irreale Figur und religiöse Fanatiker für die Ursache vieler Kriege halte.
Das ist eine neue Erkenntnis, die mich jedoch beunruhigt.