Eine verunglückte Kapitalismuskritik

Banken als Zombies?

(hpd) In dem Gesprächsband "Revolution oder Evolution. Das Ende des Kapitalismus?" diskutieren die beiden bekannten Kapitalismuskritiker David Graeber und Tomás Sedlácek über die Entwicklung des ökonomischen Systems. Zwar werden ab und an beachtenswerte Reflexionen vorgetragen, insgesamt erschöpft sich der Band aber in diffusen Monologen – wobei die ständige Bezeichnung von Banken als "Vampire" oder "Zombies" leider einen Tiefpunkt des intellektuellen Niveaus erreicht.

Nach der Auflösung der politischen Systeme des "real existierenden Sozialismus" kursierte Anfang der 1990er Jahre in linken Kreisen der Satz "Der Kapitalismus hat nicht gesiegt, er ist nur übriggeblieben". Spätestens die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 hat der Skepsis gegenüber der Auffassung, der freie Markt würde alles irgendwie schon regeln, gut begründete Nahrung gegeben. Mitunter gestanden sogar konservative Intellektuelle und Journalisten ein, die politische Linke habe mit ihren Warnung richtig gelegen.

In der Folge der damit einhergehenden Debatte erschien eine Fülle von kapitalismuskritischer Literatur, wozu etwa auch "Schulden: Die ersten 5000 Jahre" von David Graeber und "Die Ökonomie von Gut und Böse" von Tomás Sedlácek gehörten. Beide Bücher avancierten zu Bestsellern und prägten mit die öffentliche Debatte über die Legitimationsprobleme des gegenwärtigen Wirtschaftssystems. Dabei kam der Frage, welchen Anteil der Kapitalismus an den Auswüchsen der Finanzkrise hatte, herausragende Bedeutung zu.

Genau dazu gab es auch von den genannten Autoren unterschiedliche Einschätzungen: Während Graeber, der als Professor an der London School of Economics and Political Science lehrt, als bekennender Anarchist für eine Überwindung des Systems plädierte, trat Sedlácek, der als Professor an der Prager Karls-Universität lehrt, bei aller Kritik für die Beibehaltung und eine Reform des Kapitalismus ein. Angesichts der Differenzen in dieser Frage bei gleichzeitiger Akzeptanz grundlegender Einwände gegen das ökonomische System, führte der Journalist Roman Chlupartý beide Autoren zu einem Streitgespräch zusammen. Es erschien als Buch unter dem Titel "Revolution oder Evolution. Das Ende des Kapitalismus?" In sieben Kapiteln diskutieren Graeber und Sedlácek über unterschiedliche Aspekte der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch über die Perspektiven von Protestbewegungen gegen diese. Hierbei findet Occupy, Graeber gehört zu deren Organisatoren, besonders große Aufmerksamkeit.

Die präsentierten Positionen können anhand von zwei beispielhaften Aussagen veranschaulicht werden: "… die Regel des freien Marktes”, so Sedlácek, “lautet: Reguliere ihn nicht! Auf keinen Fall! Mische dich nicht ein! Er wird uns in die Zukunft führen. Wir brauchen nicht zu wissen, wie und wohin, wir müssen nur an diese institutionelle, halb-spontane, halbkünstliche Einrichtung glauben. Komme ihm nicht mit moralischen Kategorien!… Ich halte dies für vollkommen falsch. Wir brauchen uns dann nicht zu wundern, wenn wir in einer Sachgasse landen" (S. 23f.) Und Graeber meint: "Sich am politischen System zu beteiligen und zu versuchen, es zu verändern, wäre … unsinnig … Der einzig gangbare Weg besteht … darin, eine Art radikale Gegenposition zu beziehen, und genau das haben wir getan" (S. 33). "Wir bieten Visionen. Was wir nicht anzubieten haben, sind politische Vorschläge. Diese können nur in den institutionalisierten Strukturen realisiert werden, zu denen wir eine Alternative zu entwickeln versuchen" (S. 115).

Bei dem Gespräch bringen Graeber und Sedlácek immer wieder bedenkenswerte Einwände gegen einen Kapitalismus ohne Steuerung vor. Darin liegt der Erkenntnisgewinn des Buchs. Indessen findet man die gemeinten Positionen in anderen Werken weitaus besser belegt und entwickelt. Leider reihen die Autoren meist nur Allgemeinplätze aneinander, wobei der Eindruck des Geschwafels ohne Präzision in Monologform domniert.

Beide Autoren scheinen privat gern Horrorfilme zu sehen. Denn bezogen auf den Kapitalismus ist ständig die Rede von "Frankenstein-Kreaturen" (S. 98), "Vampir-Banken" (S. 25) "Werwölfen" (S. 46) oder "Zombies" (S. 19). Derartige Dämonisierungen erklären nichts, wodurch ihnen eine aufklärungsfeindliche Dimension zukommt. Insofern diskreditiert das Buch mehr eine seriöse Kapitalismuskritik als ihr zu nützen. Wenn etwa Sedlácek hervorhebt, der demokratische Kapitalismus habe "die Möglichkeit eröffnet, nach schönen Mädchen Ausschau zu halten" (S. 136), dann gibt er ein ernstes und wichtiges Anliegen der Lächerlichkeit preis.

 


Tomás Sedlácek/David Graeber, Revolution oder Evolution. Das Ende des Kapitalismus? Gespräch mit Roman Chlupatý, München 2014 (Carl Hanser-Verlag), 144 S., 15,90 Euro